Название | Die Klinik am See Staffel 1 – Arztroman |
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Автор произведения | Britta Winckler |
Жанр | Языкознание |
Серия | Die Klinik am See Staffel |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783740912307 |
Alle taten ihm Bescheid und setzten die Gläser ab. Die beiden Flaschen Sekt waren leergetrunken.
»Hat er getan«, meinte Dr. Bernau und schnalzte mit der Zunge.
»Mehr gibt es nicht, Herr Doktor«, erklärte Marga Stäuber.
»Zwei Glas pro Kopf sind auch ausreichend«, wurde sie von Bettina Sieber unterstützt. »Außerdem ist schon lange Dienstschluß und eine halbe Stunde gemütliches Beisammensein…«
»Wie, waren wir tatsächlich schon eine halbe Stunde hier?« staunte Dr. Hoff, der Frauenarzt und Chirurg. »Mir kam es nicht so lange vor.« Lauschend hob er plötzlich den Kopf. »Was ist denn das für ein Verrückter?« stieß er fragend hervor.
Jetzt hörten auch die anderen den langanhaltenden Hupton vor der Klinik, der dann aber nach einigen Sekunden abrupt wieder abbrach.
Dr. Lindau war schon an der Tür. Er hatte plötzlich das Gefühl, daß etwas auf ihn zukäme, dem er nicht ausweichen konnte. Mit weit ausgreifenden Schritten strebte er der Aufnahme zu. Dr. Anja Westphal, ebenfalls Fachärztin für Frauenheilkunde und gleichzeitig rechte Hand des Chefarztes, folgte ihm. Sie hatte Mühe, Schritt mit ihm zu halten.
Die beiden kamen gerade in der Aufnahme an, als zwei Schwestern mit Hilfe des Pflegers Claus Hartung eine anscheinend bewußtlose junge Frau aus einem dunkelblauen Mercedes, der direkt vor dem Eingang zur Aufnahme stand, herausholten, auf die fahrbare Trage legten und mit ihr in die Aufnahme kamen.
»Meine Frau, helfen Sie bitte! Mit dem Unterleib hat sie es…, ein…, ein… Myom.«
Dr. Lindau gab dem Mann keine Antwort. Er kümmerte sich sofort um die Frau, die in diesem Augenblick teilweise aus ihrer Bewußtlosigkeit in die Gegenwart zurückfand und leise wimmert.
»O Gott, tut das weh…«
Dr. Lindau war durch das Wort Myom wie elektrisiert. Mit einem Blick erkannte er den bedrohlichen Zustand der Frau. Er prüfte den Puls und den Herzschlag, während die Ärztin gleichzeitig den Blutdruck und die Atmung der Patientin kontrollierte.
»Sofort eine Infusion anlegen!« befahl Dr. Lindau dem nun ebenfalls hinzugekommenen Dr. Hoff. »Ein Myomfall, der einen schweren Kreislaufschock im Gefolge hat. Wir müssen das in den Bauchvenen weggesackte Blut schleunigst auffüllen.«
»Verstanden«, murmelte Dr. Hoff. »Eine Volumen-Therapie also…« Er wandte sich an eine der beiden Schwestern und wies sie an, sofort alles für die Infusion vorzubereiten.
Dr. Lindau spritzte in aller Eile ein Herzstärkungsmittel. Der Kampf um das Leben der jungen Frau nahm seinen Anfang. Jeder wußte, was er zu tun hatte. Ohne Überhastung und ohne Hektik geschah das alles.
Besorgt beobachtete Dr. Lindau die krampfartigen Zuckungen am Leib der Patientin. Anja Westphal fühlte die fieberheiße Haut der Kranken. »Akute Peritonitis«, stieß sie hervor.
Dr. Lindau nickte. Auch er war der Ansicht, daß es sich hier um eine akute Bauchfellentzündung handelte. Ihn irritierte nur ein wenig, daß vorhin etwas von einem Myom gesagt worden war. »Wer ist die Patientin?« fragte er die Aufnahmeschwester. »Wie heißt sie und wer hat sie hergebracht?«
»Gisela Hohmann ist ihr Name«, kam die Antwort. »Sie wurde von ihrem Mann hergebracht.«
»Wo ist er? Her mit ihm!« Dr. Lindau wußte, daß jede Minute zählte. Doch er benötigte noch einige Informationen, um eine präzise Diagnose stellen zu können.
Die Schwester rief den im Vorraum wie verrückt hin und her rennenden Thomas Hohmann in die Ambulanzstube.
Thomas Hohmann überfiel den Arzt und die Ärztin sofort mit einem Schwall ängstlicher Fragen, als er seine Frau auf der Trage liegen sah und den Infusionsapparat bemerkte.
»Augenblick, Herr Hohmann«, fiel Dr. Lindau dem aufgeregten Ehemann ins Wort. »Ich muß zuerst einiges wissen. Hat Ihre Frau diese Schmerzen und Anfälle öfter?«
»Eine ganze Zeit schon«, erwiderte Thomas Hohmann. »Seit Monaten quält sie sich schon mit so einer komischen Unterleibsgeschichte herum. Ein Myom hat sie oder wie das heißt. Dr. Bruckner, unser Hausarzt, hat ihr schon längst zu einer Operation geraten.«
»Haben Sie Adresse oder Telefonnummer dieses Arztes?« wollte Dr. Lindau wissen.
»Ja, Herr Doktor.« Thomas Hohmann nannte dem Chefarzt die Nummer.
Dr. Lindau wandte sich an die Ärztin. »Kümmern Sie sich bitte um Herrn Hohmann!« bat er. »Ich rufe rasch den behandelnden Arzt an.« Er lief in den Nebenraum zum Telefon. Dr. Bruckner meldete sich sofort. Als Dr. Lindau den Namen der frisch eingelieferten Patientin nannte, wußte Dr. Bruckner gleich Bescheid. Im Telegrammstil gab er dem Leiter der Klinik am See alles durch, was er von Gisela Hohmann wußte. Dr. Lindau bedankte sich und beendete das Telefonat. Das Gespräch mit Dr. Bruckner hatte ihm viel zeitraubende diagnostische Arbeit erspart. Zeit aber war jetzt sehr kostbar, denn es ging nicht nur mehr um Minuten, sondern fast um Sekunden.
»Wir haben es mit einer Stildrehung eines subserösen Myoms zu tun, Frau Kollegin«, klärte Dr. Lindau die Ärztin auf. »Was das bedeutet, brauche ich Ihnen wohl nicht zu sagen…«
Die Ärztin erschrak. »Sofortige Operation oder exitus«, stieß sie hervor.
Dr. Lindau nickte. Seine Miene war ernst. Er gab sofort OP-Alarm. »Die Patientin schnellstens in den OP. Dr. Reichel soll schon die Narkose vorbereiten. Dr. Hoff«, rief er dem Chirurgen zu, der gerade alle Maßnahmen ergriffen hatte, um die aus den Fugen geratene Vitalfunktionen bei der Patientin zu stabilisieren, »machen Sie sich für den Eingriff fertig! Frau Westphal übernimmt jetzt die Patientin. Gehen wir!«
Zehn Minuten später lag Gisela Hohmann schon auf dem OP-Tisch. Der Anästhesist Dr. Reichel hatte die Narkose bereits eingeleitet, als Dr. Lindau und Dr. Hoff sich im OP von der OP-Schwester die hauchdünnen Gummihandschuhe und den Mundschutz anlegen ließen.
»Fertig?« Dr. Lindau sah zu Dr. Reichel hin.
»Narkose steht, die Patientin ist bereit«, kam die Antwort.
»Wir beginnen.« Dr. Lindau setzte zum ersten Schnitt an. Es war nicht zu erkennen, wer wem assistierte. Beide – Dr. Lindau wie Dr. Hoff trugen gemeinsam die Verantwortung für diesen Eingriff. Von ihnen beiden hing jetzt das Leben der Patientin ab.
Minuten später lag das Operationsfeld, die Gebärmutterregion, frei. Beide Ärzte erkannten sofort die Situation, aber auch die Gefahr, in der die Patientin schwebte. Eine Geschwulst, tennisballgroß und bläulichrot, hatte Gisela Hohmann die Hölle bereitet.
Dr. Lindau und Dr. Hoff sahen sich an. Beide fragte sich im selben Augenblick, ob der Uterus vollkommen entfernt werden mußte.
»Nein«, stieß der Chefarzt hervor, »wir versuchen das Myom herauszuschälen.«
Dr. Hoff nickte nur. Er wußte ebenso wie Dr. Lindau, daß das bei einem subserös plazierten Myom eine etwas riskante Sache war. Aber er ging ans Werk, unterstützt vom Chefarzt.
Beiden Operateuren standen winzige Schweißperlen auf der Stirn. Kein Laut kam über ihre Lippen. Minute reihte sich an Minute, und dann – Dr. Lindau atmete auf – war es geschafft.
Dr. Lindau blickte den bei seinen Apparaten stehenden Anästhesisten fragend an.
»Atmung gut, Kreislauf hat sich stabilisiert und Herztätigkeit normal«, kam die Antwort.
»Wir vernähen«, murmelte Dr. Lindau.
Wenig später war auch das geschafft.
Dr. Lindau sah nach der Uhr. Eine gute Stunde war verstrichen, seit Gisela Hohmann von ihrem Mann in die Aufnahme gebracht worden war. »Die Frau hat Glück gehabt«, meinte Dr. Lindau, als er bald darauf im Vorbereitungsraum ebenso wie Dr. Hoff sich der OP-Kleidung entledigte und wieder in seinen weißen Arztkittel schlüpfte.
»Wir aber auch«, gab Dr. Hoff lächelnd zurück.
Der Chefarzt erwiderte nichts darauf,