Die Klinik am See Staffel 1 – Arztroman. Britta Winckler

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Название Die Klinik am See Staffel 1 – Arztroman
Автор произведения Britta Winckler
Жанр Языкознание
Серия Die Klinik am See Staffel
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783740912307



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mehr. In ihr war in diesen letzten Minuten etwas zerbrochen. Bitterkeit überkam sie.

      Doch da war noch eine schwache Empfindung in ihrem Herzen. Ernsthaft bemühte sie sich, eine Entschuldigung oder wenigstens eine Erklärung für Peters Verhalten zu finden, denn noch war ihre Liebe zu ihm nicht vollständig zerstört. Schließlich war sie nicht nur wie ein unreifer Teenager in ihn verliebt gewesen, sondern ihre Zuneigung war aus vollem Herzen gekommen. So sehr sie sich aber auch anstrengte, es wollte ihr keine plausible Erklärung einfallen.

      Astrid mußte sich wirklich zusammennehmen, um zumindest äußerlich gefaßt zu wirken, obwohl es in ihrem Innern brodelte. Mehr und mehr aber reifte in ihr der Entschluß, so bald wie möglich wieder nach Europa zurückzukehren – ohne Peter. Einfach war das nicht, denn sie war in jeder Weise hier in dem fremden Land auf ihn angewiesen. Das Geld, das sie hatte, wäre auf jeden Fall zu wenig für einen Europaflug gewesen. Peter aber – das war ihr sehr bald klar – hätte ihr den Rückflug nicht bezahlt, weil er sie bei sich behalten wollte. Ziemlich deutlich hatte er ihr das auch erst vor einigen Tagen zu verstehen gegeben.

      Astrid unterbrach sich in ihren erinnernden Gedanken, als sie Schritte hörte, die sich dem Zelteingang näherten. Peter kam zurück. Hastig legte sie sich zurück und stellte sich schlafend.

      Sekunden darauf schob sich Peters Gestalt durch den Zelteingang. Astrid hörte ihn laut gähnen. Und dann kam seine Stimme.

      »Schläfst du schon?«

      Astrid gab keine Antwort. Sie vernahm ein unwilliges Brummen, dann das Zuziehen des Reißverschlusses am Zelteingang und anschließend das Rascheln von Kleidungsstücken. Sie merkte, wie Peter sich auf die Gummimatratze neben ihr fallen ließ.

      Ohne Übergang kam dann ganz plötzlich der Schlaf über Astrid. Als sie Stunden später wieder die Augen aufschlug, war bereits heller Tag. Von draußen drangen die gewohnten Geräusche der nahen Stadt und das Stimmengewirr aus der Hüttenvorstadt ins Zelt.

      Astrid blickte zur Seite. Die Matratze neben ihr leer war. Peter hatte das Zelt bereits verlassen. Auf seinem Kopfkissen aber lag ein Zettel. Peter hatte ein paar Worte – ganz kurz nur – darauf geschrieben.

      Wollte Dich nicht wecken. Habe Kaffee gemacht. Kekse sind im Behälter. Bin unterwegs und werde erst in zwei oder drei Stunden wieder zurück sein.

      Kein nettes Wort, kein Gruß war auf diesem Stück Papier. Astrid schluckte schwer. Unter solchen Umständen schien ihr das weitere Beisammensein mit Peter in diesem fremden Land mehr und mehr zu eins­er seelischen Belastung zu werden. Und wieder drängte sich ihr der Gedanke an eine Heimkehr nach Deutschland auf.

      Etwas niedergedrückt goß sie sich aus dem Wasserkanister Wasser in eine Schüssel, wusch sich und machte anschließend Toilette, soweit das eben unter diesen Umständen möglich und überhaupt nötig war. Nachdem sie einen Kaffee getrunken und ein paar Kekse dazu gegessen hatte, trat sie vor das Zelt. Überlegend blickte sie sich um. Etwas Interessantes war nicht zu sehen. Vor ihr in hundert Meter Entfernung und ebenso auf der rechten Seite begann das Gewirr der Hütten, zwischen denen schon reger Betrieb herrschte. Abgemagerte Hunde liefen herum. Halbnackte, magere Kinder saßen auf dem Boden und blickten mit ihren großen dunklen Augen teilnahmslos vor sich hin. Einige streckten ihr beim Vorbeigehen bettelnd die Hände entgegen.

      Astrid wollte sich das Herz im Leibe umdrehen bei diesen Bildern. Plötzlich fuhr sie zusammen, als sie eines der Kinder laut aufschreien hörte. Ein kleines Mädchen war es, das wenige Meter weiter vorn an der Ecke einer der Hütten lehnte und nun leise wimmerte. Aus der Hütte kamen im selben Augenblick zwei Frauen gestürzt – eine ältere und eine jüngere. Aufgeregt fuchtelten beide mit den Armen umher. Da begriff Astrid – die beiden Frauen vertrieben einen struppigen Hund, der aufjaulend um die Hütte herum verschwand. Die beiden Frauen redeten nun auf das kleine wimmernde Mädchen ein, betasteten es von allen Seiten und stießen dabei für Astrid unverständliche guttural klingende Worte aus.

      Mechanisch trat Astrid näher. Der Schrei des Kindes und das darauffolgende Wimmern sowie das aufgeregte Gehabe der beiden indischen Frauen aktivierten plötzlich die angehende Ärztin in ihr. Kurzerhand schob sie eine der beiden Frauen zur Seite. »Moment, lassen Sie mich mal sehen«, stieß sie hervor. »Ich bin Ärztin. Doktor«, fügte sie betont hinzu, als sie merkte, daß man sie nicht verstand.

      Der Ausdruck »Doktor« schien den beiden Frauen nicht fremd zu sein. »Doktor?« rief die jüngere der Frauen und ließ einen Schwall von Worten folgen.

      Astrid verstand kein Wort. Aber sie entdeckte plötzlich die leicht blutende Wunde am linken Arm des kleinen Mädchens. Im selben Augenblick mußte sie an den struppigen Hund denken, den die beiden Inderinnen Sekunden vorher davongejagt hatten.

      Natürlich, schoß es ihr durch den Sinn, das Kind ist von diesem Hund gebissen worden. Ihre Annahme bestätigte sich auch sofort, als sie die Wunde betrachtete. Eine typische Bißwunde. Nicht sehr groß und wahrscheinlich auch nicht sehr tief, aber für ein kleines fünfjähriges Mädchen schlimm genug. Astrid überlegte nicht lange. Mit ihrem Taschentuch säuberte sie zunächst einmal notdürftig die Wunde. Als Medizinerin wußte sie aber auch, daß das nicht genug war. Der Biß des Hundes konnte eine schwerwiegende Infektion zur Folge haben. Unwillkürlich mußte sie dabei an Tollwut denken. Auf jeden Fall mußte die Wunde schnellstens desinfiziert werden. Eine Tetanusspritze wäre dann anschließend notwendig.

      Astrids Gedanken überschlugen sich. Was sollte sie tun? Hier vor der Hütte konnte sie gar nichts unternehmen, um dem Kind die erste unbedingt notwendige Hilfe angedeihen zu lassen. Drüben beim Wagen, im Zelt, da wäre es möglich. Dort hatte sie nicht nur Desinfektionsmittel und Verbandszeug, sondern sogar etliche Ampullen Tetanus, in ihrem kleinen Medizinkoffer. Den hatte sie von Deutschland mitgebracht.

      Mit einem Durcheinander von deutschen und englischen Worten versuchte sie den beiden Frauen, zu denen sich noch ein paar weitere gesellt hatten, klarzumachen, daß sie das Mädchen mit zum Zelt nehmen wollte, um es dort zu behandeln. Sehr schnell jedoch merkte sie, daß man sie nicht verstand. Die Inderinnen redeten zwar auf sie ein, aber leider war sie der indischen Sprache nicht mächtig.

      »Herrgott, ich muß das Kind doch…«‚ rief sie aufgebracht, vollendete den Satz aber nicht. Statt dessen folgte sie einer blitzschnellen Eingebung, bückte sich und nahm das leise wimmernde Mädchen in ihre Arme. Ohne noch ein weiteres Wort zu verlieren, lief sie mit ihrer leichten Last zum Wagen zurück. Hinter sich hörte sie die aufgeregten Stimmen der Inderinnen, die ihr folgten. Sie kümmerte sich nicht darum. Eine Minute später war sie im Zelt. So schnell sie konnte, behandelte sie die Wunde am Arm des Kindes, gab eine rasch aufgezogene Tetanusspritze und begann, einen Verband anzulegen. Draußen vor dem Zelt aber standen drei aufgeregte Inderinnen und starrten durch den aufgezogenen Zelteingang ins Innere des Zeltes.

      Astrid war gerade mit dem Verband fertig, als der Zelteingang noch weiter auseinandergerissen wurde und Peter hereintrat.

      »Was zum Teufel soll das vorstellen?« fragte er scharf. »Haben wir hier ein Lazarett? Was macht das Kind auf meiner Matratze?«

      Astrid richtete sich auf. Mit wenigen Worten erklärte sie Peter, was geschehen war. »Ich habe das Mädchen nur rasch behandelt und ihm eine Tetanusspritze gegeben…«

      »Verdammt noch mal, Astrid, bist du denn von Sinnen?« begehrte der junge Mann auf. »Den medizinischen Kram brauchen wir für uns. Schaff das Kind weg! Runter von meiner Matratze und raus aus dem Zelt! Ich will mir kein Ungeziefer einfangen.«

      Zuerst sah Astrid entgeistert Peter an. Dann aber wallte Zorn in ihr auf. »Das Kind ist gebissen worden, verstehst du?« zischte sie. »Es mußte behandelt werden.«

      »Aber nicht unbedingt von dir und auch nicht hier in meinem Zelt mit meinen Medikamenten«, konterte Peter unwillig.

      »Die Medikamente habe ich mitgebracht«, erklärte Astrid. »Daß ich gerade das Mädchen behandelt habe, ist doch wohl verständlich. Schließlich bin ich angehende Ärztin und verstehe etwas davon.«

      »Aber eben nur etwas, denn noch bist du keine Ärztin«, entgegnete Peter sarkastisch. »Du bist als meine Begleiterin mit nach Indien gekommen und