Die Klinik am See Staffel 1 – Arztroman. Britta Winckler

Читать онлайн.
Название Die Klinik am See Staffel 1 – Arztroman
Автор произведения Britta Winckler
Жанр Языкознание
Серия Die Klinik am See Staffel
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783740912307



Скачать книгу

spürte, wie der letzte Rest ihrer früheren Liebe zu diesem Mann in sich zusammenbrach. Alles in ihr bäumte sich gegen diese Art von Bevormundung von seiten Peters auf. Sie wollte eine scharfe Antwort geben, schluckte sie aber hinunter, weil in dieser Sekunde Männerstimmen vor dem Zelt zu hören waren. Im nächsten Augenblick tauchten zwei Inder im Zelteingang auf. Die Blicke, mit denen sie Astrid ansahen, waren finster und verhießen nichts Gutes.

      »Sprechen Sie unsere Sprache?« fragte der jüngere von beiden – auf indisch.

      »Was sagt er?« wandte sich Astrid an Peter, von dem sie wußte, daß er die Landessprache verstand.

      Peter wandte sich zur Seite. »Er will wissen, ob du ihn verstehst«, rief er Astrid über die Schulter zu.

      »Das weißt du doch«, gab Astrid zurück. »Sag es ihm!«

      »Sag es ihm doch selbst!« wurde Peter bockig.

      Astrid zuckte zusammen. Sie sah den fragenden Inder an und schüttelte den Kopf. Ihre Englischkenntnisse zusammenraffend, fragte sie nun ihrerseits, ob man englisch miteinander reden könnte. Sie hatte keine Ahnung, was die beiden finster blickenden Inder von ihr wollte.

      In den Augen des jüngeren blitzte es verstehend auf. »Ich verstehe englisch«, erwiderte er in dieser Sprache.

      »Gut. Darf ich fragen, was Sie von mir wollen?« Astrid zwang sich zur Ruhe, obwohl ein banges Gefühl sie überkam.

      »Sie haben das Kind weggenommen«, stieß der Inder hervor. »Was wollen Sie mit dem Mädchen.«

      Astrid bekam einen Schreck. Glaubten die wirklich, daß sie das kleine Mädchen hatte entführen wollen? »Das ist doch absurd«, rief sie erregt aus. Keine sehr angenehme Situation, in der sie sich befand. Noch dazu hier in einem fremden Land, am Rande der Großstadt Kalkutta. Hilfesuchend blickte sie zu Peter hin.

      Der jedoch stand schweigend da, und Astrid kam es vor, als ob er sich sogar über ihre Hilflosigkeit ein wenig amüsierte.

      Unbändiger Zorn kroch in Astrid hoch. Von einer Sekunde auf die andere verschwand in ihr das Gefühl der Hilflosigkeit. Sie zog das kleine indische Mädchen von der Matratze hoch und schob es dem Inder zu. »Ich habe dem Kind geholfen, als es von einem Hund gebissen wurde«, fauchte sie. »Eine Tetanusspritze habe ich gegeben und die Wunde verbunden. Das konnte ich aber nicht auf der Straße. Deshalb habe ich die Kleine mit hierher w genommen. Nehmen Sie das Mädchen wieder mit und sorgen Sie lieber dafür, daß es schleunigst in ärztliche oder klinische Behandlung kommt, statt mir eine Entführung zu unterstellen!«

      Der Inder stutzte. Er betrachtete den Verband am Arm des Kindes. In einem für Astrid unverständlichem Kauderwelsch redete er dann auf das Mädchen ein und bekam auch in derselben Sprache Antworten.

      »Nun?« stieß Astrid fragend hervor.

      »Es tut mir leid, Mamsahib«, sagte der Inder. Sein finsterer Blick wurde um Nuancen freundlicher. »Aber die Frauen sagten, daß Sie ihnen das Kind wegnehmen wollten. Deshalb…«, er lächelte schwach und winkte ab. »Vergeben Sie, daß ich Sie in falschem Verdacht hatte!«

      Astrid nickte. »Schon gut«, murmelte sie.

      »Ich möchte danken für Ihre Hilfe, die Sie einem indischen Kind gegeben, haben…« Der Inder faßte das Mädchen an der Hand und verließ mit ihm und dem anderen Mann das Zelt. Draußen sprach er mit den drei Frauen. Sekunden später verloren sich die Stimmen. Die Inder entfernten sich.

      Gedankenverloren starrte Astrid sekundenlang durch den halboffenen Zelteingang nach draußen. Jetzt erst kam ihr zu Bewußtsein, daß der Inder sich eigentlich ziemlich gewählt ausgedrückt hatte. Auch seine Kleidung – eine helle Hose und ein weißes Hemd – hatte nicht danach ausgesehen, als ob er hier in dem Hütten-Vorort lebte.

      »Das hast du ja gut hinbekommen«, meldete sich in diesem Augenblick Peter, der die ganze Zeit geschwiegen hatte. »Ehrlich – das hätte ich dir gar nicht zugetraut.«

      »Vielen Dank«, gab Astrid hohnvoll, aber auch bitter zurück. »Du hast jedenfalls erreicht, daß sich unsere Wege trennen«, erklärte sie mit fester Stimme.

      Peter lachte leise und kurz auf. »Wie das?« fragte er.

      »Ganz einfach – ich fliege zurück nach Deutschland«, antwortete Astrid ruhig, obwohl ihr Inneres in Aufruhr war.

      »Überleg dir das reiflich!« meinte Peter und wandte sich zum Gehen. »Mich entschuldige jetzt aber, denn ich will noch einige Recherchen anstellen!« Er nickte Astrid zu und ging.

      Astrid sah ihm nach, bis er zwischen den Hütten verschwunden war. Gleich darauf aber wurde sie geschäftig. Sie packte in aller Eile ihre Reisetasche. Ihr war ein Gedanke gekommen – das bundesdeutsche Konsulat in Kalkutta. Dorthin wollte sie sich wenden. Heute noch, jetzt gleich. Ihre Barschaft reichte auf jeden Fall für ein Taxi bis dorthin. Wo sich das Konsulat befand, wußte sie allerdings nicht, doch ein Taxifahrer würde das schon herausfinden. Wo aber bekam sie hier draußen im Vorfeld von Kalkutta ein Taxi? Wahrscheinlich würde sie erst einmal ziemlich weit gehen müssen.

      Astrid überlegte nicht länger. Sie sah sich nochmals im Zelt um und vergewisserte sich, ob sie alle Papiere und das Geld bei sich hatte. Dann griff sie sich ihre gepackte Reisetasche – den kleinen Medizinkoffer ließ sie stehen – und verließ das Zelt. Hierher wollte sie jedenfalls nicht mehr zurückkommen. Es tat ein bißchen weh, als sie sich an den Beginn dieser Reise erinnerte.

      Festen Schrittes ging sie denselben Weg, den sie vor einer guten halben Stunden gegangen war. Wieder saßen Kinder vor den Hütten, Hunde streunten umher oder lagen faul in der Sonne, und teils neugierige und teils mißtrauische Blicke folgten ihr, der weißen Mamsahib.

      Plötzlich schreckte Astrid zusammen. Urplötzlich war ein Inder an ihrer Seite aufgetaucht.

      »Mamsahib, wo wollen Sie mit der schweren Tasche hin?« In englischer Sprache kam diese Frage.

      Astrid wandte den Kopf. »Sie?« stieß sie fragend hervor, als sie den Mann erkannte, mit dem sie kurz vorher noch im Zelt gesprochen hatte.

      »Ja«, antwortete der Inder. »Wohin möchten Sie?« fügte er fragend hinzu. »Es ist für eine weiße Dame nicht sehr gut, sich allein in diesem Viertel zu bewegen.«

      »Ich… ich… suche ein Taxi, das mich in die Stadt bringen kann«, erwiderte Astrid zögernd. Die letzten Worte des Inders hatten sie ein wenig ängstlich gemacht.

      »Da werden Sie hier draußen wenig Glück haben«, erklärte der etwa dreißigjährige Inder. »Aber wenn Sie mir vertrauen, so fahre ich Sie«, fügte er hinzu. »Mein Auto steht nur hundert Meter von hier entfernt.«

      Astrid nahm diese Chance wahr. »Ich nehme Ihr Angebot gern an«, sagte sie und lächelte. Gleichzeitig fragte sie sich in Gedanken, wer dieser freundliche Inder sein mochte und weshalb er ein Auto hatte, mit dem er hier in diesem Elendsviertel auftauchte.

      Die Fahrt in die Innenstadt von Kalkutta verlief schweigend. Astrid hätte auch gar nicht gewußt, was sie mit diesem freundlichen Inder, dessen Namen sie nicht einmal kannte, hätte reden sollen. Sie war auch irgendwie erleichtert, als sie nach zwanzig Minuten Fahrt durch ein Gewirr von Straßen und Gassen am Ziel waren.

      »Dort drüben ist das Konsulat, Mamsahib.« Der Inder deutete auf die gegenüberliegende Seite der hier breiten und europäisch anmutenden Straße.

      »Ich bin Ihnen sehr dankbar.« Astrid holte ihre Geldbörse hervor.

      »Lassen Sie das!« sagte der Inder. Seine Stimme klang kehlig. »Sie haben einem indischen Kind geholfen…«

      Astrid nickte nur schweigend. Sie stieg aus, griff sich ihre Reisetasche und schlängelte sich durch den Verkehr auf die andere Straßenseite hinüber. Sekunden später verschwand sie in dem Haus, neben dessen Eingang eine Metalltafel verriet, daß sich hier das Konsulat der Bundesrepublik Deutschland befand. Hier wollte sie nun versuchen, Hilfe und Unterstützung zu bekommen, damit sie so schnell wie nur möglich nach Deutschland zurückfliegen konnte. Sie war sich natürlich darüber klar, daß das nicht innerhalb einer Stunde