Rebeccas Schüler. Tira Beige

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Название Rebeccas Schüler
Автор произведения Tira Beige
Жанр Языкознание
Серия Rebeccas Schüler
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783752924428



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ihm ein zar­tes Lä­cheln, be­vor sie nah an ihm vor­bei­husch­te und ihr sein ver­trau­ter Duft in die Nase stieg. »Sie sind sehr zei­tig da.«

      Re­bec­ca dreh­te sich zu ih­rem Schü­ler um, am Trep­pen­ge­län­der zur ers­ten Eta­ge war­tend. »Das Glei­che könn­te ich dich fra­gen. Was tust du so früh hier?«

      Lou lä­chel­te er­neut, schau­te sie mit leicht schrä­gem Kopf an und sag­te: »Ich habe eine ei­ge­ne Woh­nung in der Neu­stadt. Konn­te nicht mehr schla­fen. Hat­te Sehn­sucht nach …« Wie­der grins­te er. Wäh­rend Lou sie ver­schmitzt von der Sei­te mus­ter­te, frag­te sich Re­bec­ca, ob er scham­los mit ihr flir­ten woll­te.

      »Hat­te Sehn­sucht nach der Schu­le, nach all den wun­der­ba­ren Men­schen hier …« Re­bec­ca kniff die Au­gen zu­sam­men und zog die Stirn in Fal­ten. War­um sag­te er so selt­sa­me Din­ge? Und wes­halb be­trat er weit vor al­len an­de­ren Schü­lern das Ge­bäu­de?

      »Lou, was ist los mit dir?« Er ant­wor­te­te nicht, son­dern dreh­te sich wort­los weg und lief zu sei­ner Bank zu­rück.

      Baff von dem merk­wür­di­gen Ver­hal­ten ging Re­bec­ca die Trep­pe zum ers­ten Stock Rich­tung Leh­rer­zim­mer hin­auf, wo­bei sie per­ma­nent an ih­ren Schü­ler dach­te.

      Als sie Elou­an zur Deutsch­stun­de wie­der­sah, stand er nach wie vor ne­ben sich, denn er mel­de­te sich über die Ma­ßen, re­de­te aber von Din­gen, die nichts mit dem Un­ter­richts­the­ma oder dem Lern­stoff zu tun hat­ten. Mehr­fach dreh­ten sich die Mit­schü­ler um, schüt­tel­ten mit dem Kopf oder ver­dreh­ten die Au­gen, als er zum Spre­chen an­setz­te.

      Lou mach­te un­ge­hin­dert mit sei­ner Mär­chen­stun­de wei­ter: »Wuss­ten Sie«, be­gann er, wäh­rend Re­bec­ca den Mit­schü­lern das Ar­gu­men­ta­ti­ons­sche­ma von Sacht­ex­ten be­greif­lich mach­te, »dass die meis­ten Men­schen sich nie trau­en wür­den, das zu tun, was ich ma­che?«

      Sie schau­te auf, be­trach­te­te Lou streng und sag­te un­ter den Au­gen sei­ner Mit­schü­ler scha­rf: »Was um Him­mels wil­len meinst du und was hat das mit un­se­rem The­ma zu tun?«

      »Frau Pe­ters, die meis­ten Men­schen zie­hen sich nach ei­ner Nie­der­la­ge in ihr Loch zu­rück. Sie ma­chen sich Vor­wür­fe, dass ihr Le­ben ver­korkst ist. Aber ich weiß es bes­ser. Ich war schon ganz un­ten«, da­bei stand er auf und hock­te sich hin, »und nun ste­he ich ganz oben.« Elou­an mach­te einen eu­pho­ri­schen Sprung in die Luft.

      Die Mün­der der Mit­schü­ler stan­den of­fen, man­che lach­ten. Ein fie­ser Kom­men­tar fiel.

      Re­bec­ca wuss­te nicht, was sie ant­wor­ten, ge­schwei­ge denn, wie sie re­a­gie­ren und auf den Un­ter­richts­in­halt um­len­ken soll­te.

      Sie be­schloss, bei Ge­le­gen­heit in sei­ner Schü­lerak­te zu blät­tern, um mehr über sei­ne Krank­heit zu er­fah­ren. Es war das ers­te Mal, dass sie ih­ren Schü­ler in ei­ner der­ar­ti­gen Ver­fas­sung er­leb­te. Als ob er nicht er selbst wäre.

      Nach neun­zig Mi­nu­ten er­tön­te das Klin­gel­zei­chen, das die gro­ße Pau­se ein­läu­te­te. »Lou, war­te mal kurz«, sag­te Re­bec­ca, als die Mit­schü­ler des Zwan­zig­jäh­ri­gen ge­ra­de das Zim­mer ver­lie­ßen. Ali­cia warf einen sor­gen­vol­len Blick zu Elou­an, der be­reits sei­ne Ta­sche ge­schul­tert hat­te und am Lehrer­tisch stand.

      In sei­nen blau­en Au­gen wa­ren Schuld­ge­füh­le er­kenn­bar: »Frau Pe­ters, ich weiß, was Sie mir sa­gen möch­ten«, kam er Re­bec­ca zu­vor.

      »So?«, frag­te sie und stemm­te die Faust in die Tail­le.

      »Ich habe mich falsch ver­hal­ten. Habe Din­ge ge­sagt, die mei­nen Mit­schü­lern und Ih­nen selt­sam vor­ge­kom­men sind.« Zu­min­dest war er in der Lage, sich ehr­lich ein­zu­schät­zen.

      »Ja, du hast dich heu­te sehr merk­wür­dig ver­hal­ten. Das ken­ne ich so nicht von dir. Ich mei­ne …« Sie ge­ri­et ins Sto­cken, da sie nicht wuss­te, wie of­fen sie mit ihm spre­chen durf­te. »Du bist ein net­ter, lie­bens­wür­di­ger jun­ger Mann. Du ar­bei­test schön mit, gibst klu­ge Ant­wor­ten. Man kann gu­ten Un­ter­richt mit dir ma­chen. Heu­te aber nicht.«

      Elou­an sah be­schämt auf sei­ne Schu­he und wipp­te mit den Fuß­soh­len auf und ab. »Ich …« Sei­ne Lip­pen form­ten Wort­bro­cken, wäh­rend er den Kopf ge­senkt hielt. »Ich weiß nicht …« Auch die­sen Satz brach er ab. Plötz­lich, aus hei­te­rem Him­mel, schluchz­te Lou und di­cke Trä­nen lie­fen ihm die Wan­ge hin­un­ter.

      Er wirk­te so zer­brech­lich. Re­bec­ca konn­te nicht er­ken­nen, wel­chen Feh­ler sie ge­macht hat­te oder was Elou­an ernst­lich be­drück­te. »Lou?« Sie trat nah an ihn her­an und leg­te ihre Hand auf sei­nen lin­ken Ober­arm, der durch einen schwa­r­zen Pull­over ver­deckt wur­de. Sanft strei­chel­te sie auf und ab, trös­tend, aber mit dem Ge­fühl, ihn um­ar­men zu müs­sen. Als ob er ihre Ge­dan­ken er­ra­ten hät­te, ließ er sich nach vorn in ihre Arme glei­ten.

      Er wein­te, schluchz­te hef­tig, wäh­rend er sei­ne Hän­de fest um ih­ren schlan­ken Kör­per leg­te. Elou­an konn­te nichts mehr sa­gen, wur­de von sei­nen Ge­füh­len über­mannt.

      Re­bec­ca ge­noss die Nähe, strei­chel­te für­sorg­lich über den Rü­cken des Zwan­zig­jäh­ri­gen, der nun mit den Hän­den an ih­ren Schul­ter­blät­tern ent­lang­fuhr und dann sanft zu ih­rer Tail­le und Hüf­te nach un­ten wan­der­te.

      Ali­cia, die als Letz­te aus dem Raum ge­gan­gen war, hat­te die Tür hin­ter sich zu­ge­wor­fen. Kein Leh­rer, der zu­fäl­lig auf dem Gang vor­bei­kam, konn­te er­ah­nen, was sich im Deut­sch­raum ab­spiel­te.

      Die Zeit schien ste­hen­ge­blie­ben zu sein, die Welt stand still. Noch im­mer ruh­te Lou in Re­bec­cas Ar­men. Ihre Hän­de glit­ten zart über sei­nen Rü­cken und Lou be­rühr­te sanft ihre schlan­ke Sil­hou­et­te. Sei­ne Be­rüh­run­gen wa­ren das Lab­sal, das sie ge­braucht hat­te. Sie ge­noss jede Se­kun­de, in der er ihr nahe war und sie ihn be­rüh­ren durf­te. Erst, als er an ih­rem Po an­kam, hör­te er, schein­bar er­schro­cken über die In­ti­mi­tät, die er ihr ge­schenkt hat­te, auf und blick­te Re­bec­ca, die ihn am liebs­ten nicht mehr los­ge­las­sen hät­te, in ihre brau­nen Au­gen.

      »Frau Pe­ters«, schluchz­te er. »Ich schä­me mich so.« Sie schüt­tel­te mit­leid­voll den Kopf. »Doch. Ich schä­me mich. Die an­de­ren müs­sen mich für einen ab­so­lu­ten Trot­tel hal­ten!«

      »Quatsch, du hat­test einen schlech­ten Tag«, be­ru­hig­te Re­bec­ca.

      Nach ei­ner klei­nen Pau­se sag­te Lou lei­se: »Darf ich Sie um et­was bit­ten?« Sie nick­te. »Bit­te er­zäh­len Sie nie­man­dem da­von, dass ich heu­te mei­ne Me­di­ka­men­te nicht ein­ge­nom­men habe. Wür­den Sie das für mich tun? Er­zäh­len Sie bit­te mei­ner Tu­to­rin nichts da­von und auch mei­nen El­tern nicht, ja?« Wel­che Me­di­ka­men­te? Wie­der konn­te Re­bec­ca nur ni­cken, ohne den tie­fe­ren Sinn hin­ter sei­nen Wor­ten zu be­grei­fen.

      »War­um hast du die Ta­blet­ten weg­ge­las­sen? Darfst du das?«

      Er schüt­tel­te ener­gisch den Kopf. »Nein! Wenn ich sie ver­ges­se, dann er­le­be ich ein Ge­fühl­s­cha­os nach dem an­de­ren. Aber heu­te … Ir­gend­ei­ne in­ne­re Stim­me hat mir ge­sagt, dass ich sie weg­las­sen soll und da habe ich