Rebeccas Schüler. Tira Beige

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Название Rebeccas Schüler
Автор произведения Tira Beige
Жанр Языкознание
Серия Rebeccas Schüler
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783752924428



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und Tom sa­hen sich re­gel­mä­ßig, da sie in der glei­chen Fir­ma ar­bei­te­ten. Sie um­arm­ten sich freund­schaft­lich. Nach­dem Re­bec­ca aus­ge­stie­gen war, gab Tom ihr die Hand. Sie kann­te ihn zwar gut, hät­te ihn aber nicht als en­gen Freund be­zeich­nen wol­len.

      Be­vor sie in das Haus tra­ten, schau­te sich Re­bec­ca den Au­ßen­be­reich des Häus­chens an. Was ein ty­pi­sches, spieß­bür­ger­li­ches Wohn­ge­bäu­de: Die Fas­sa­de war von au­ßen ver­klin­kert und mit ei­nem klei­nen Gar­ten ver­se­hen, der von der Stra­ße zur Hälf­te ein­seh­bar war. Vor der Tür hat­te Ly­dia einen Strauß Tan­nen­zwei­ge auf­ge­stellt, der lie­be­voll mit Stroh­s­ter­nen be­han­gen war. Da­ne­ben stand eine grin­sen­de Kat­ze aus Holz. Das Klin­gel­schild aus Me­tall be­saß den ein­gra­vier­ten Fa­mi­li­enna­men. Tom und Ly­dia wa­ren seit zwei Jah­ren ver­hei­ra­tet. Im ver­gan­ge­nen Herbst kam ihre Toch­ter Lea zur Welt.

      Tom be­glei­te­te sei­ne Freun­de zur Haus­tür, schloss auf und ließ sie nach drin­nen ein­tre­ten. Woh­li­ge Wär­me um­fing Re­bec­ca, denn die Fuß­bo­den­hei­zung um­schmei­chel­te ihre Füße. Ly­dia kam ih­nen aus der Kü­che tre­tend ent­ge­gen. Auf dem Arm trug sie ihre Toch­ter, die mit ih­ren sechs Mo­na­ten noch nicht lau­fen konn­te.

      Re­bec­ca schos­sen Ge­mäl­de in den Kopf, auf de­nen die Mut­ter Ma­ria mit dem Je­sus­kind ab­ge­bil­det war. Ge­nau­so idyl­lisch und ver­klärt er­schie­nen ihr ge­ra­de Ly­dia und ihr Baby.

      Die Haus­her­rin um­arm­te Re­bec­ca so gut sie es mit dem Kind auf dem Arm konn­te. Sie trug einen wei­ten, ro­sa­fa­r­be­nen Pull­over und graue, schlab­be­ri­ge Jog­ging­ho­sen. Ihre stroh­blon­den Haa­re hat­te sie zu ei­nem Pfer­de­schwanz zu­sam­men­ge­bun­den. An den Sei­ten stan­den ei­ni­ge Här­chen ab, so­dass die erst Mit­te Drei­ßig­jäh­ri­ge viel äl­ter wirk­te. Ge­nau­so stell­te sich Re­bec­ca das Mut­ter­da­sein vor: kei­ne Zeit für das Aus­se­hen zu ha­ben, da man stets mit dem Kind be­schäf­tigt war.

      Die Klei­ne starr­te die Ein­tre­ten­den schüch­tern an. Als Re­bec­ca sie zart an der Wan­ge be­rühr­te, ver­grub sie das Ge­sicht in das Brust­bein ih­rer Mut­ter.

      »Schön, dass ihr uns mal wie­der be­su­chen kommt«, sag­te Ly­dia höf­lich und bat ihre Freun­de ins Wohn­zim­mer hin­ein. Ir­gen­d­et­was stimm­te nicht! Das Strah­len in ih­ren Au­gen fehl­te. Ly­di­as grü­ne Pu­pil­len wirk­ten blass, fast be­drückt. Re­bec­ca ver­kniff sich eine Nach­fra­ge und schau­te sich statt­des­sen im Flur um.

      Tom stand noch im­mer an der halb ge­öff­ne­ten Haus­tür und klopf­te sich den Schnee von sei­ner Hose ab. Dann kam er hin­ein. Ein Duft von Auf­lauf hing wie ein un­sicht­ba­res Band in der Luft.

      Al­les an der Ein­rich­tung im Haus­flur war spieß­bür­ger­lich kit­schig: An den Wän­den be­fan­den sich Bil­der­rah­men mit Fo­tos der Fa­mi­li­en­mit­glie­der. Oma und Opa mit Lea, ein Hoch­zeits­fo­to von Tom und Ly­dia, Lea als Neu­ge­bo­re­ne. Auf ei­nem der Rah­men stand so­gar »Fa­mi­ly« drauf. Au­ßer­dem gab es rechts vom Ein­gangs­be­reich ein lan­ges Schuh­re­gal, das fein säu­ber­lich auf­ge­stellt un­ter an­de­rem Pan­tof­fel und Stie­fel ent­hielt. Dar­über hing eine bun­te Zeich­nung des Wohn­orts. Auf dem Schrank stan­den klei­ne Kist­chen aus Bast, in de­nen Ly­dia di­ver­sen Krims­krams ver­stau­te.

      Der Flur wur­de zum Wohn­zim­mer und zur Kü­che hin brei­ter und gab auf der lin­ken Sei­te den Blick auf das Ba­de­zim­mer frei. Hier er­in­ner­te vie­les an eine Woh­nung, die lie­be­voll ein­ge­rich­tet wur­de, um in­ne­res Cha­os durch äu­ße­re Ord­nung aus­zu­glei­chen.

      Eine Ver­än­de­rung gab es: Ihr letz­ter Be­such lag fast ein hal­b­es Jahr zu­rück. Da­mals war Lea ge­ra­de einen Mo­nat alt ge­we­sen. Die Wohn­zim­mer­ein­rich­tung jetzt glich ei­nem Schlacht­feld. Auf dem Tep­pich be­fan­den sich Au­tos, Plüsch­tie­re und an­de­res Spiel­zeug. Dass so­gar das Sofa Cha­os ver­brei­te­te, wun­der­te Re­bec­ca, denn sonst war Ly­dia im­mer auf Ord­nung be­dacht – und zwar in sämt­li­chen An­ge­le­gen­hei­ten, was auch die spieß­bür­ger­li­che Ein­rich­tung im Haus­flur ver­deut­li­chen soll­te.

      »Tut mir furcht­bar leid, dass es so wild aus­sieht«, sag­te Ly­dia leicht ge­quält, als ob sie Re­bec­cas Ge­dan­ken hat­te le­sen kön­nen. »Wir kom­men nicht mehr zum Auf­räu­men, seit­dem die Klei­ne krab­belt und al­les durch die Ge­gend wirft.« Sie sah die Schuld­ge­füh­le in Ly­di­as Au­gen auf­blit­zen.

      »Und wie läuft es bei euch?«, frag­te Tom, um vom The­ma ab­zu­len­ken.

      »Du weißt ja, in mei­ner Ab­tei­lung ist im­mer viel los. Erst letz­te Wo­che muss­te ich wie­der mit ei­ner Kol­le­gin ein Per­so­nal­ge­spräch füh­ren, nach­dem sie mir ge­sagt hat­te, dass sie vor­hat, we­ni­ger Stun­den ar­bei­ten zu wol­len.« Wie ge­sprä­chig Paul mit ei­nem Male war!

      In sei­ner Po­si­ti­on als Ab­tei­lungs­lei­ter ei­ner Fir­ma, die sich mit Fi­nan­zen be­schäf­tig­te, hat­te er im­mer viel mit Men­schen zu tun und muss­te stän­dig mit sei­nen An­ge­stell­ten spre­chen. Mit Re­bec­ca hat­te er aber of­fen­bar nicht mehr viel zu be­re­den.

      Tom, der ge­nau wie Paul auch in sei­ner Ab­tei­lung der Lei­ter war, hak­te so­fort nach. Dann tausch­ten sie sich über be­ruf­li­chen Kram aus, wäh­rend Ly­dia und Re­bec­ca da­ne­ben sa­ßen und den Män­nern beim Plau­dern zu­horch­ten. Tom sprach we­ni­ger gest­resst von der Ar­beit, als es Paul tat. Er me­cker­te nicht so viel, schien aus­ge­gli­che­ner zu sein, trotz des Stres­ses zu Hau­se. Ge­ra­de mit Kind.

      Ly­dia hat­te nicht viel zu der Kon­ver­sa­ti­on bei­zu­tra­gen. Vor ih­rer Schwan­ger­schaft und El­tern­zeit hat­te sie im Kran­ken­haus als As­sis­ten­zärz­tin in der Uro­lo­gie ge­ar­bei­tet. Als fest­stand, dass sie schwan­ger war, hat­te sie die Ar­beit so­fort an den Na­gel ge­hängt, um das Kind in ih­rem Bauch nicht zu ge­fähr­den.

      Ly­dia war vor ih­rer Schwan­ger­schaft eine äu­ßerst le­bens­lus­ti­ge, ge­sel­li­ge jun­ge Frau ge­we­sen. Tom und sie wa­ren oft auf Par­tys un­ter­wegs ge­we­sen oder hat­ten Be­kann­te be­sucht. Re­bec­ca kann­te sie als Frau, die gern lach­te und im­mer einen lo­cke­ren Spruch auf den Lip­pen hat­te. Jetzt wirk­te sie in sich ge­kehr­ter, rei­fer, ab­ge­klär­ter. Sie beug­te sich über das Baby, das ne­ben ihr zu quen­geln be­gann und strei­chel­te zärt­lich über die Wan­ge des Mäd­chens. Wie lie­be­voll sie die Klei­ne um­sorg­te.

      Ly­dia führ­te ge­nau das Le­ben, von dem Re­bec­ca träum­te und um das sie ihre Freun­din be­nei­de­te: ver­hei­ra­tet, Kind, Haus, Lie­be.

      Nach dem Es­sen zo­gen sich Paul und Tom mit ei­nem Bier auf die Couch zu­rück. Ly­dia muss­te Lea zu Bett brin­gen und frag­te Re­bec­ca, ob sie sie be­glei­ten woll­te. Sie spür­te, dass Ly­dia et­was auf dem Her­zen hat­te und mit ihr al­lein sein woll­te. Re­bec­ca ver­mu­te­te, dass ihre un­ge­wöhn­li­che, in­tro­ver­tier­te Art, die sie so gar nicht an ihr kann­te, einen Grund ha­ben muss­te.

      Im Kin­der­zim­mer des Ba­bys be­fand sich rechts ne­ben der Tür die Wi­ckel­kom­mo­de, auf de­ren Abla­ge bun­te Bär­chen ab­ge­bil­det wa­ren. Ly­dia leg­te als Ers­tes Lea dort drauf und be­gann da­mit, der Klei­nen neue Win­deln an­zu­le­gen.

      Re­bec­ca schau­te sich im Kin­der­zim­mer um. In der Mit­te stand