Rebeccas Schüler. Tira Beige

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Название Rebeccas Schüler
Автор произведения Tira Beige
Жанр Языкознание
Серия Rebeccas Schüler
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783752924428



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durch, weil der Rest der Grup­pe auf ih­rer Sei­te stand und kei­nen Streit ver­ur­sa­chen woll­te.

      Wäh­rend Re­bec­ca noch ge­bannt der Dis­kus­si­on folg­te, wur­de ihre Auf­merk­sam­keit auf die Grup­pe, in der Lou ar­bei­te­te, ge­zo­gen. »Du spinnst doch!«, rief Ke­vin laut aus, so­dass sich auch an­de­re Schü­ler nach der Drei­er­grup­pe um Elou­an, Ke­vin und Ma­rie um­dreh­ten.

      »Was gibt es bei euch für ein Pro­blem?«, frag­te Re­bec­ca, als sie sich dem Tisch zu­wand­te. Hoch­rot er­klär­te Ke­vin: »Frau Pe­ters. Kla­ge will, dass sei­ne per­sön­li­chen Pro­ble­me in die Rede ein­ge­baut wer­den. Wir fin­den aber, dass die dort nichts zu su­chen ha­ben.« Und an Lou ge­wandt: »Kein Schwein in­ter­es­siert sich für dei­ne pu­ber­tä­ren Pha­sen, du Psy­cho!«

      Er­schro­cken über die Äu­ße­run­gen des Tee­n­a­gers, wies Re­bec­ca Ke­vin zu­recht. Lou aber schien voll­kom­men ge­fasst zu sein. »Kei­ne Sor­ge, Frau Pe­ters. Ich bin ge­wohnt, dass ich we­gen mei­ner Ver­gan­gen­heit aus­ge­grenzt wer­de.«

      Die Mit­glie­der der an­de­ren Grup­pen wand­ten sich nach Ke­vins laut­star­ken Wor­ten wie­der ih­rer ei­ge­nen Ar­beit zu. Man­che schüt­tel­ten den Kopf. Ver­ur­teil­ten sie Ke­vins Wor­te oder Lous Ver­hal­ten?

      Die rest­li­che Un­ter­richts­stun­de ver­lief fried­lich. Tat­säch­lich hat­ten Ke­vin, Elou­an und Ma­rie die per­sön­li­chen Be­lan­ge aus der Rede aus­ge­schlos­sen. Da Re­bec­ca je­doch merk­te, wie an­ge­spannt Lou und Ke­vin nach wie vor ne­ben­ein­an­der stan­den, als Ma­rie die Rede vor­trug, such­te sie am Ende der Dop­pel­stun­de das Ge­spräch mit den bei­den Streithäh­nen.

      »Be­vor ihr geht«, sag­te Re­bec­ca an die Lern­grup­pe ge­wandt, »möch­te ich kurz al­lein mit Ke­vin und Lou spre­chen, um die Si­tua­ti­on von eben noch ein­mal auf­zu­grei­fen.«

      Wäh­rend die Mehr­zahl der Schü­ler das Zim­mer plau­dernd ver­ließ, schlurf­te Ke­vin ge­lang­weilt nach vorn. Lou hat­te sich be­reits vorn am Tisch ein­ge­fun­den und sag­te: »Frau Pe­ters, da gibt es nichts mehr zu klä­ren. Es war mein Feh­ler. Mei­ne Pha­sen in der Ner­ven­kli­nik ge­hö­ren hier nicht her.«

      Re­bec­ca nick­te, dann wand­te sie sich Ke­vin zu: »Ich muss zu­ge­ben, dass mich dei­ne Wor­te sehr ge­schockt ha­ben. Eine Ent­schul­di­gung soll­te zu­min­dest drin sein.«

      Ver­knif­fen brach­te der Ju­gend­li­che ein lei­ses »Ent­schul­di­gung« her­aus, ohne wirk­lich ernst ge­mein­te Ge­füh­le da­bei zu emp­fin­den. Im Grun­de war es al­bern, dass sich Re­bec­ca mit zwei er­wach­se­nen oder fast er­wach­se­nen Ju­gend­li­chen über eine sol­che Lap­pa­lie un­ter­hielt. Da­her schick­te sie bei­de nach drau­ßen. Aber nur ei­ner ging: Ke­vin.

      »War­um ver­bringst du dei­ne Pau­se nicht bei den an­de­ren?«, frag­te Re­bec­ca, als Lou am Lehrer­tisch ver­harr­te.

      »Ich ge­hö­re nicht dazu«, sag­te er dar­auf.

      »Was meinst du da­mit?«

      »Sie se­hen doch, was los ist. Alle wis­sen über mei­ne Ver­gan­gen­heit Be­scheid. Kei­ner will sich mit mir ab­ge­ben. Es könn­te ja sein, dass sie nach­her nicht mehr be­liebt ge­nug sind.«

      Er schau­te auf den Gang hin­aus, er­schien ab­we­send. Dann sah er wie­der zu Re­bec­ca, die jetzt selbst drin­gend Pau­se brauch­te. »Bei Ih­nen füh­le ich mich wohl, Sie neh­men mich ernst und hö­ren mir zu«, sag­te er mit ge­dämpf­ter Stim­me, ein Stü­ck­chen nä­her an sie her­an­tre­tend. Wie er sie an­sah … Sei­ne blau­en Pu­pil­len schie­nen Halt zu su­chen und ver­gru­ben sich da­her tie­fer in Re­bec­cas dunk­len Au­gen. Lou tipp­te ner­vös mit den Fin­ger­kup­pen auf den Tisch.

      Re­bec­ca konn­te sich kaum von sei­nen hel­len Iri­den lö­sen, die un­ab­läs­sig auf ihr la­gen. Sie hät­te zu­ge­ben wol­len, dass auch sie sich in der Ge­gen­wart ih­res Schü­lers ge­bor­gen fühl­te. Statt­des­sen sag­te sie: »Du soll­test dei­ne Pro­ble­me mit dei­ner Tu­to­rin be­spre­chen. Ich kann dir nicht hel­fen, wenn du aus­ge­grenzt wirst. Das muss im Kurs be­spro­chen wer­den.« Lou wuss­te, dass sie recht da­mit hat­te.

      Diens­tag, den 16. März

      Lie­ber Paul,

      kannst du dich dar­an er­in­nern, wann wir das letz­te Mal ein wirk­lich erns­tes, tief rei­chen­des Ge­spräch mit­ein­an­der ge­führt ha­ben? Nein? Ich auch nicht. Ich habe lan­ge dar­über nach­ge­dacht, aber mir fällt kein Da­tum ein. Ich weiß nur, dass ich heu­te eine wirk­lich gute Un­ter­hal­tung mit mei­nem Schü­ler Lou ge­führt habe. Wir spra­chen dar­über, war­um er sich aus­ge­grenzt fühlt. Das Pro­blem liegt in sei­ner Ver­gan­gen­heit. Die Mit­schü­ler leh­nen es ab, sich mit ei­nem psy­chisch kran­ken Jun­gen ab­zu­ge­ben. Ich kann sie ver­ste­hen … Noch bes­ser aber kann ich Lou ver­ste­hen …

      Ich wür­de auch gern mit dir ernst­haf­te Un­ter­hal­tun­gen füh­ren, aber das bringt nichts. Du blockst sie ab, be­vor ich wirk­lich in die Tie­fe drin­gen kann oder ziehst sie der­ma­ßen ins Lä­cher­li­che, dass ich mir wie ein Voll­idi­ot vor­kom­me. War­um machst du das, Paul?

      Fragst du dich nicht auch, worin das Pro­blem un­se­res Zu­sam­men­le­bens be­steht? Wie­so machst du dir nicht über Kin­der oder Hei­rat Ge­dan­ken? War­um blen­dest du aus, mit mir über mei­ne Wün­sche und Sehn­süch­te zu spre­chen? Wel­chen Sinn siehst du in un­se­rer Be­zie­hung? Be­da­rfst du ein­fach nicht sol­cher wei­ter­ge­hen­den Fra­gen oder machst du es dir so leicht, dass dir ein der­ma­ßen ober­fläch­li­ches Zu­sam­men­sein ge­nügt? In die­ser Il­lu­si­on will ich nicht le­ben, Paul. Ich weiß ja nicht ein­mal, ob du mich wirk­lich liebst oder ob du nur aus Rou­ti­ne mit mir zu­sam­men bist.

      Du bist mein Freund. Wie­so fin­de ich nicht den Mut, dir das al­les zu SA­GEN? Weißt du, dass das größ­te Pro­blem un­se­rer Be­zie­hung dar­in be­steht, dass wir nicht mit­ein­an­der RE­DEN (kön­nen)?! SPRICH, Paul. Was stellst du dir un­ter un­se­rer Zu­kunft vor? Kin­der in un­se­rem Haus? Einen ge­mein­sa­men Fa­mi­li­enna­men? Ich habe so ein­fa­che Be­dürf­nis­se. Aber du ver­sagst mir dei­ne Lie­be. SPRICH, Paul. Denn ich kann nicht SPRE­CHEN.

      Dei­ne Re­bec­ca

      Sie war über ihre ei­ge­nen, kla­ren Wor­te der­ma­ßen scho­ckiert, dass sie den Brief so­fort weg­schloss. Gleich­zei­tig setz­te ein hef­ti­ges Schluch­zen ein, als sie er­kann­te, wie sehr die vie­len Jah­re, die sie mit­ein­an­der ver­bracht hat­ten, um­sonst ge­we­sen sein soll­ten. Re­bec­ca frag­te sich, wo­für sie kämp­fen woll­te und ob sich die­ser Kampf noch lohn­te.

      Sie frag­te sich, was sie aus ih­rem Le­ben ma­chen woll­te. Hei­rat? Er­folg im Be­ruf? Ein Haus? Kin­der? Eine har­mo­ni­sche Be­zie­hung? Eine ge­mein­sa­me Zu­kunft mit Paul?

      Die­se gan­zen Il­lu­si­o­nen, de­nen sie sich all die Jah­re hin­ge­ge­ben hat­te – sie er­kann­te nun, je mehr sie sich ih­rem Schü­ler an­nä­her­te, wie ab­we­gig die Wün­sche wa­ren und frag­te sich, was ihr all die­se Träu­me brach­ten, wenn sie da­für mit ei­nem Mann zu­sam­men­leb­te, dem ihre Ge­füh­le egal wa­ren und mit dem sie nicht über ihre Sor­gen spre­chen konn­te. So­gar ihre se­xu­el­len Be­gier­den lit­ten un­ter der Kom­mu­ni­ka­ti­ons­lo­sig­keit der Be­zie­hung. Eine Zu­kunft ohne Selbs­t­ent­fal­tung und ohne Glück? Was wäre das für eine Zu­kunft!