Rebeccas Schüler. Tira Beige

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Название Rebeccas Schüler
Автор произведения Tira Beige
Жанр Языкознание
Серия Rebeccas Schüler
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783752924428



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11 her­aus; gleich­zei­tig aber auch den für Klas­se 8, falls die Se­kre­tä­rin um die Ecke schau­te.

      Re­bec­ca muss­te eine Wei­le su­chen, bis sie Lous Akte ge­fun­den hat­te. Ne­ben sei­nen No­ten, die er vor mehr als drei Jah­ren ge­sam­melt hat­te, fie­len ihr et­li­che psy­cho­lo­gi­sche Gut­ach­ten in die Hän­de. Sie über­flog die Schrei­ben, die in kom­pli­zier­tem Ärz­te-Deutsch Aus­kunft über sei­nen Ge­sund­heits­zu­stand ga­ben. Im­mer wie­der be­geg­ne­ten ihr Wör­ter wie »ma­nisch«, »de­pres­siv«, »schüch­tern« oder auch »von sich selbst über­zeugt«. Wi­der­sprü­che über Wi­der­sprü­che. Die Me­di­zi­ner, die sich mit Elou­an vor mehr als ei­nem Jahr in ei­ner Spe­zi­al­kli­nik für Kin­der- und Ju­gend­psy­cho­lo­gie aus­ein­an­der­ge­setzt hat­ten, schie­nen ihn gut un­ter die Lupe ge­nom­men zu ha­ben.

      Of­fen­bar han­del­te es sich bei Lou tat­säch­lich um einen geis­tig ge­stör­ten Ju­gend­li­chen. Re­bec­ca über­flog ein Pro­to­koll, das die Schul­lei­tung nach ei­nem Ge­spräch mit ihm an­ge­legt hat­te: »re­gel­mä­ßig Ta­blet­ten ein­neh­men«, mur­mel­te sie vor sich hin. Sie soll­ten sei­ne Lau­nen und Stim­mun­gen im Gleich­ge­wicht hal­ten. Dies stell­te die Vor­aus­set­zung da­für dar, dass er al­lein woh­nen und die Schu­le ge­re­gelt be­su­chen konn­te.

      Re­bec­ca muss­te schmun­zeln, als sie das Da­tum des Pro­to­kolls wie­der­er­kann­te: Es war je­ner Tag, an dem ihr Lou zum ers­ten Mal im Se­kre­ta­ri­at be­geg­net war. Ihr er­schloss sich nun so ei­ni­ges: War­um er so be­drückt wirk­te, als er aus dem Büro des Di­rek­tors kam, wie­so er ge­weint hat, als er in ih­ren Ar­men lag und wes­halb er nicht woll­te, dass je­mand über die feh­len­de Ta­blet­ten­ein­nah­me Be­scheid wuss­te. Dass er aus­ge­rech­net sie und nicht sei­ne Tu­to­rin in sein Ge­heim­nis ein­ge­weiht hat­te, ehr­te Re­bec­ca zu­tiefst.

      Sie hat­te ge­se­hen, was sie se­hen woll­te und wuss­te jetzt, wor­an sie bei ih­rem neu­en Schü­ler war. Sie stell­te bei­de Ak­ten­ord­ner in den Schrank zu­rück, ver­schloss ihn sorg­fäl­tig und gab den Schlüs­sel im Se­kre­ta­ri­at zu­rück.

      Er­schöpft schlurf­te sie zu ih­rem Auto. Es war ein lan­ger Tag. Auf dem Park­platz war au­ßer ih­rem Wa­gen noch das Auto ih­res Chefs zu se­hen. Ihr schnee­wei­ßer Audi be­setz­te eine der vie­len Park­lü­cken in­mit­ten gäh­nen­der Lee­re aus As­phalt.

      Am Auto an­ge­kom­men, such­te sie nach dem Schlüs­sel. Ein Ge­räusch an der Bei­fahrer­tür. Er­schro­cken schau­te sie auf und sah nie­mand Ge­rin­ge­ren als Lou! Er muss­te die gan­ze Zeit über trotz der Käl­te an der Bei­fahrer­tür ge­hockt ha­ben. An­ders konn­te sie sich nicht er­klä­ren, dass er steif von dort auf­stand.

      Re­bec­ca schloss auf, stell­te ihre Schul­ta­sche auf den Rück­sitz und stieg vorn ein. Ihr Schü­ler saß bib­bernd auf dem Bei­fah­rer­sitz. »Was machst du hier, Elou­an?«

      »Ich kom­me Mon­tag wie­der in die Schu­le«, sag­te er knapp, ohne Emo­ti­on in der Stim­me.

      »Wenn du bis da­hin nicht krank bist«, gab sie schmun­zelnd zu­rück, um ihm ein Grin­sen zu ent­lo­cken. Doch Lous Ge­sicht blieb ver­stei­nert. »Dei­ne Tu­to­rin sagt, du seist er­käl­tet.«

      »Das ist ge­lo­gen«, gab er freud­los zur Ant­wort. Er rich­te­te sei­nen Blick stur auf den lee­ren Park­platz. Er schäm­te sich noch im­mer für das, was ge­sche­hen war. »Sie wis­sen es bes­ser. Ich be­dau­e­re, dass ich Ih­nen Diens­tag sol­chen Är­ger ver­ur­sacht habe und dass Sie mei­net­we­gen Ih­ren Un­ter­richt nicht or­dent­lich durch­zie­hen konn­ten. Ich weiß, dass Sie im­mer al­les per­fekt ma­chen wol­len.« Wie gut er sie schon kann­te.

      »Ich schä­me mich so, Frau Pe­ters.« Er dreh­te sein Ge­sicht zu Re­bec­ca her­um, so­dass sei­ne blau­en Au­gen un­ge­bremst auf die ih­ri­gen tra­fen.

      »Lau­erst du mir des­we­gen bei die­sen Tem­pe­ra­tu­ren an mei­nem Auto auf?«, frag­te sie.

      »Die Käl­te in­ter­es­siert mich nicht. Ich woll­te mich bei Ih­nen ent­schul­di­gen.«

      »Wie lan­ge war­test du schon auf mich?«

      Er über­ging ihre Fra­ge: »Frau Pe­ters, im Ernst: Ich möch­te mich ent­schul­di­gen.«

      »Das hast du ge­tan, Lou. Geh nach Hau­se und ler­ne für die an­ste­hen­den Klau­su­ren. Das bringt dir mehr, als mich hier auf­zu­su­chen.«

      Re­bec­ca ließ den Mo­tor an, ob­wohl sie Lou gern in den Arm ge­nom­men hät­te. Das Ge­fühl von Diens­tag war noch zu stark. »Dan­ke. Für al­les«, sag­te er knapp. Re­bec­ca nick­te, war zu er­schöpft. Elou­an er­griff die Klin­ke, ver­ab­schie­de­te sich und ging.

      Don­ners­tag, den 10. März

      Lie­ber Lou,

      dies ist mein ers­ter Brief an dich. Ich weiß nicht, wo­hin mit mei­nen Ge­dan­ken. Da­her schrei­be ich sie auf. Seit ich dich das ers­te Mal ge­se­hen habe, gehst du mir nicht mehr aus dem Kopf. Kannst du dich an die­sen Mo­ment er­in­nern? Ich habe ihn so klar vor Au­gen. Ich spür­te so­fort die Aura, die dich um­gab und noch im­mer um­gibt, wenn du dich in mei­ner Nähe auf­hältst.

      Ich weiß, ich bin dei­ne Leh­re­rin, du mein Schü­ler. Zu­sam­men sein dür­fen wir nicht und wer­den wir ver­mut­lich nie­mals sein. Und trotz­dem ver­strömst du eine An­zie­hungs­kraft, der ich mich nicht ent­zie­hen kann. Pau­sen­los muss ich, wie ein na­i­ver ver­lieb­ter Tee­n­a­ger, an dich den­ken. Wenn ich al­lein bin, zu Hau­se, ge­hen mir ero­ti­sche Ge­dan­ken durch den Kopf. Ich kann ein­fach nicht auf­schrei­ben, wo­nach ich so sehn­süch­tig ver­lan­ge.

      Oh Elou­an, die Lust raubt mir alle Sin­ne. Ich kom­me mir so dumm vor. Ob­wohl ich ver­ge­ben bin, gibst du mir das Ge­fühl, dass ich noch Ver­lan­gen ha­ben darf. Darf ich das wirk­lich?

      Re­bec­ca

      Der Brief war eben­so we­nig vor­zeig­bar, wie der, den sie an Paul ge­schrie­ben hat­te und wur­de da­her so­fort weg­ge­schlos­sen. Re­bec­ca spür­te das sich an­bah­nen­de Ge­fühl­s­cha­os, das sie auf­fres­sen wür­de.

      Ka­pi­tel 5

      Vor fast ei­ner Wo­che hat­te Re­bec­ca das Ge­spräch mit Lou in ih­rem Auto ge­führt. Seit er wie­der im Deutsch­kurs weil­te, hat­te sich sei­ne Po­si­ti­on als Au­ßen­sei­ter wei­ter ge­fes­tigt. Nie­mand ach­te­te auf ihn – mit Aus­nah­me von Ali­cia, die hin und wie­der einen Blick ris­ki­er­te und ihm ein Lä­cheln schenk­te, das Elou­an prompt er­wi­der­te. Er moch­te sie. Die Jun­gen mie­den den Zwan­zig­jäh­ri­gen nach sei­nem merk­wür­di­gen Auf­tritt im Deutsch­un­ter­richt, ver­mut­lich aus Angst da­vor, sich mit ihm se­hen zu las­sen und zum Ein­zel­gän­ger zu wer­den.

      Ins­be­son­de­re in Grup­pe­n­a­r­beits­pha­sen wur­de Lou we­nig in­te­griert. Er hat­te viel zu sa­gen, aber sei­ne Mei­nung war oft­mals so an­ders, dass er kein Ge­hör fand.

      Heu­te soll­ten die Schü­ler in Drei­er- be­zie­hungs­wei­se Vie­rer­teams eine ei­ge­ne Ab­itur­re­de ver­fas­sen. Re­bec­ca wan­der­te in­ter­es­siert durch die Schü­ler­rei­hen und be­merk­te, dass Ali­cia in ih­rer Grup­pe das Kom­man­do führ­te. »Wir soll­ten uns auch beim Haus­meis­ter be­dan­ken. Im­mer­hin sorgt er da­für, dass die Schu­le hübsch aus­sieht und dass wir im­mer