Die vergessenen Kinder. Herbert Weyand

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Название Die vergessenen Kinder
Автор произведения Herbert Weyand
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783847624301



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war mit Paul und Griet befreundet. Als er ihre Nachbarn das letzte Mal besuchte, war sie mit Kurt an der See.

      „So. Jetzt mal Butter bei die Fische“, sagte sie burschikos, als sie aus dem LKW stieg. „Der Typ vom Verfassungsschutz meinte, ich leite diese Aktion, von der ich nicht weiß, dass es sie gibt.“

      „Meine Schuld“, gab Fabian Schröder zerknirscht zu. Sie standen etwas abseits auf dem ehemaligen Schulhof. „Wir wurden schon vergangene Woche auf den Bombenfund aufmerksam. Ich beginne beim Anfang. Ein Kollege unserer Behörde schnappte am gleichen Vormittag deinen Namen in Verbindung mit dem Verfassungsschutz auf. Nicht Landesbehörde, sondern Bund. Sie weiß, dass wir bekannt sind, und unterrichtete mich. Ich hatte auch Paul angerufen und wollte früher hier sein. Doch ich setzte erst einmal meine Abteilung darauf an und streckte die Fühler aus. Wir erfuhren nichts. Bei mir schrillten die Alarmglocken. Denn, wenn du nichts erfährst, gärt im Hintergrund eine große Sache. Du kennst das ja selbst … Bauchgefühl“, er grinste etwas verschämt. „Meine Leute haben auch noch übers Wochenende recherchiert. Nichts. Ich überlegte dich anzurufen, dachte jedoch es sei besser, ich komme hier hin.“ Er unterbrach und strich mit der Hand über die blanke Stirn. „Ich soll dir von Griet und Paul ausrichten, dass es an Zeit sei, noch einmal zu ihnen rüber zu kommen. Also weiter. Ich fuhr heute Morgen nach Aachen zu deiner Dienststelle, als der Anruf kam. In diesem Bunker liegen Leichen. Eben, das Scheiß Bauchgefühl. Obwohl ich schon in der vergangenen Woche mit dem Staatsanwalt über deine Freistellung für den Fall gesprochen habe, wollte er Kollegen der anderen Kommission hierher schicken, weil du dich im Urlaub befindest. Ich konnte ihn in einem langen Gespräch überzeugen, dass du die Beste bist. Deshalb musst du deinen Urlaub wohl oder übel unterbrechen.“

      „Danke“, sagte Claudia und verbarg das Unbehagen, das bei Fabians Schilderung in ihr hochkroch. „Du kommst von Bonn nach Aachen … für nichts. Du willst mich doch hoffentlich nicht für dumm verkaufen?“ Das hatte er doch gar nicht nötig. Er wusste genau, dass er nur mit dem Finger schnippen brauchte und sie stände parat.

      „Du kennst mich, ich kenne dich. Haben wir solche Spiele nötig?“ Er sah sie mit seinem treuesten Augenaufschlag an.

      „Sicherlich nicht“, sie spürte die verräterische Röte, die am Hals hochstieg, jedoch vom hochgeschlossenen Overall verborgen wurde. Das Unbehagen wich jedoch nicht. „Was ist jetzt dort unten?“

      „Wir wissen es noch nicht. Ich habe jeden, bis auf unsere Technik und Gerichtsmedizin aufgehalten, dort hineinzusteigen, bis du hier bist. Der Bauarbeiter dort vorn war im Bunker.“ Sie gingen auf den großen Mann zu. Fabian Schröder reichte ihr einen weißen Schutzhelm, an dessen Stirnseite eine Halogenlampe saß.

      „Wir kennen uns.“ Claudia reichte ihm die Hand. „Josef Dingsbums … Dohmen.“

      „Josef reicht“, nickte er.

      „Sie waren im Bunker?“

      Er nickte. „Das Bild werde ich wohl nie vergessen. Ich habe mich schon zweimal übergeben.“

      „Gehen Sie erst mal nach Hause. Ich werde Sie finden, wenn ich Sie brauche.“ Sie gab Fabian ein Zeichen und sie gingen zum Rand des Baggerlochs, in das zwei dicke Kabel führten.

      „Die Spurensicherung hat den Strom verlegt. Übrigens die vom LKA“, sagte er mit einem kurzen Seitenblick.

      „Und was soll ich dann dort. Du weißt vielleicht noch nicht, dass ich seit der Entführung auf dem Katschhof einen kleinen Krieg mit denen habe?“

      „Ist mir bekannt“, sagte er knapp.

      „Und?“

      „Nichts und. Krüger ist übrigens nicht dabei.“

      „Wenigstens etwas.“ Sie stieg über die wacklige Bauleiter fünf Meter nach unten und stand vor dem Loch, das in die Unterwelt führte. Was mochte sie erwarten? Vorsichtig stieg sie auf die Mauer und machte zwei Schritte nach innen. Knapp zwei Meter dick, dachte sie. Unwillkürlich lief ein Schauer über ihren Körper. Ein weiterer Schritt, ungefähr fünf Zentimeter nach unten, und sie standen auf dem Fußboden des Luftschutzkellers, der von starken Lampen ausgeleuchtet wurde. Die Decke war etwa zwei Meter zehn hoch, wie sie von der Messlatte ablas, die an der gegenüberliegenden Wand angebracht war. Fünf Mal fünf Meter maß der kahle Raum. Dicke Betonstücke lagen auf dem Boden. Die Decke senkte sich in Blickrichtung und wurde durch Metallstützen am Einsturz gehindert. Sie markierten gleichzeitig einen Durchlass durch die Einsturzstelle, der weiter in die Waagerechte führte. Vielleicht ein Zusammenbruch von dem Erdbeben 1992 dachte sie. Ein für die Gegend ungewöhnlich starkes Erdbeben, dessen Epizentrum nur wenige Kilometer entfernt lag. An der Seite standen die Maschinen, die das Loch freigebuddelt hatten. Alles in allem machte die Szenerie, keinen vertrauenserweckenden Eindruck auf sie. Nach ihrem Dafürhalten brach hier gleich alles zusammen. Ein leichter klaustrophobiescher Zustand stellte sich ein, ähnlich wie in der Röhre für Computertomografien. Sie musste zur Seite treten, weil Kollegen mit Schubkarren Schutt zu dem provisorischen Einzug im Loch schafften.

      „Sie wollen bestimmt nicht, dass ich durch dieses Loch gehe?“, fragte sie den Mitarbeiter des LKA, der abwartend vor dem Loch stand.

      „Wir sind hier im Vorraum, faktisch der bekannte Luftschutzbunker“, erklärte der Techniker der Spurensicherung. „Der Komplex zieht sich hinter dem Durchgang unendlich weiter. Hier ist alles sicher. Wir haben selbst an Stellen Stützen gesetzt, die die Statiker für unbedenklich hielten. Sie wollen durch dieses Loch gehen, da bin ich mir sicher.“ Er lächelte ihr aufmunternd zu. „Wir haben bisher nur einen kleinen Teil gesehen, aber der hat es in sich. Kommen Sie“, er winkte. „Sie sind Hauptkommissarin Plum“, stellte er fest. „Ich kenne Sie aus dem Fernsehen.“

      „Tut mir leid. Ich hätte mich vorstellen müssen.“ Sie lächelte ihm zu.

      „Oberkommissar Koch. Ich komme vom Niederrhein und bin beim LKA gelandet.“

      „Auf gute Zusammenarbeit“, sie reichte ihm die Hand. „Unser BKA Kollege sprach von Leichen?“ Hinter der Einsturzstelle sah der Bunker wieder einigermaßen sicher aus.

      „Ja kommen Sie. So etwas habe ich noch nie gesehen.“ Er schüttelte den Kopf und öffnete eine gusseiserne Türe. Sie stiegen die dahinter liegende eiserne Treppe hinunter. Zweiunddreißig Stufen zählte Claudia. Also ungefähr sieben Meter. Sie liefen durch einen Korridor von dem rechts und links, wie sie vermutete, Schleusen abgingen. Auf den Türen standen mit Schablonen und Farbe aufgebrachte Hinweise: Stab, Funkraum, Schirrmeister, Lager, Küche und viele andere Bezeichnungen.

      „Warten Sie einen Moment Frau Plum.“ Koch hielt sie auf und öffnete eine der vielen Schleusen, die mit ‚Lager‘ bezeichnet waren. „Schauen Sie ruhig hinein.“ Er führte sich auf, wie ein Fremdenführer und leuchtete mit der starken Stablampe, die er bei sich trug, hinein.

      Claudia guckte in einen kaum drei Meter breiten Gang, der rechts und links mit Regalen verstellt war.

      „Mein Gott“, entfuhr es ihr. „Das ist ein Gemischtwarenladen.“ Gartengeräte, Aluminiumtöpfe, Essgeschirre sowie Hunderte anderer Artikel stapelten in den Fächern.

      „Sie haben recht. Ungewöhnlich für eine dörfliche Bunkeranlage. In dieser Anlage können sie Monate, wenn nicht Jahre überleben. Wir haben bisher nur wenig davon gesehen.“ Er sah sie verschwörerisch an. „Und nicht nur das. Als der Bunker errichtet wurde, bot er die Grundmaterialien, eine Zivilisation zu schaffen, wenn rundherum alles zerstört war. Von Atombomben wussten die damals noch nichts.

      „Wie meinen Sie das?“, fragte Claudia.

      „Das Dorf mag vielleicht neunhundert oder tausend Einwohner zählen. Wie ich gehört habe, ist hier Platz für ein Vielfaches von Einwohnern, und dann die Nahrungsmittel und Logistikräume und alle Voraussetzungen um eine Befehlsstruktur zu betreiben. Ungewöhnlich … oder nicht?“ Koch sah sie fragend an.

      „Was wollen Sie damit sagen?“ Claudia hatte sich noch nie Gedanken über Bunker oder Bunkersysteme gemacht.

      „Ach, nichts“, sagte der LKA-Mensch und ging weiter.

      „In