Reise nach Rûngnár. Hans Nordländer

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Название Reise nach Rûngnár
Автор произведения Hans Nordländer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783847656753



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Bergkriegern“, sagte er. „Wie können sie dann noch Patrouillen ausschicken?“

      „Du meinst wegen Bihaford? Das ist nur die Hauptstadt eines Fürstentums und noch nicht einmal des größten. Es gibt aber auch ein Königreich der Steppenkrieger. Und das wurde bestimmt durch die Eroberung der Stadt aufgescheucht. Es ist anzunehmen, dass die Zahl der Wächter verstärkt wurde.“

      „Daher ist es gefährlich, hierzubleiben“, mahnte Narvidur.

      „Richtig“, erwiderte Torfrida. „Außerdem sind wir für heute noch nicht am Ziel.“

      Das Treffen der Gegner hatte an einer Stelle stattgefunden, an dem die ausladenden Sträucher das Abknicken des Waldrandes verbargen, deshalb hatte Torfrida die Rûngori-Wächter auch erst gesehen, als sie fast vor ihnen stand. Jetzt folgten sie dem Saum des Waldes, und nachdem er einige Kurven beschrieben hatte, erreichten sie die Stelle, wo er der Straße am dichtesten kam. Die vier zogen sich ein wenig in das Unterholz zurück und beobachteten die Umgebung. Die Straße war weit und breit verwaist und auch auf den Wiesen und Hügeln konnten sie niemanden entdecken.

      „Gibt es hier keine Bauern?“, fragte Nils. „Das Land sieht fruchtbar aus, aber ich sehe kein Vieh.“

      „Ist hier nicht mehr erlaubt“, sagte Torfrida. „Es ist noch nicht lange her, da grasten hier unzählige Rinder, Anseln und Schafe, aber auf Geheiß des Königs der Steppenkrieger wurden die Bauern umgesiedelt.“

      „Wegen des Reservates?“

      „Ja.“

      Nils nickte, dann zog er seine Stirn kraus.

      „Warum grasten hier Amseln?“

      Torfrida lächelte.

      „Ja, die gibt es auch, aber ich meinte Anseln. Fleisch- und Arbeitstiere. Du wirst sie noch kennenlernen. Jetzt schau. Die Baumgruppe dort hinten, da müssen wir hin.“

      „Also schlafen wir heute im Wald?“, vermutete Nils.

      „Warte es ab.“

      Sie wollten sich gerade auf den Weg machen, als Nils seinen Arm hochriss und zum Himmel zeigte.

      „Was ist das? Es sieht aus – es ist ein Drachen!“

      Die anderen hatten ihn bereits gesehen. Es war zuerst ein kleiner Schatten, aber er kam in ihre Richtung und wurde schnell größer. Dieser Anblick war für Rûngori nichts Außergewöhnliches, ganz im Gegensatz zu Nils.

      „Keine Sorge“, meinte Tophal. „Er wird uns nichts tun. Hast du noch nie einen Drachen gesehen?“

      Nils blickte gebannt auf das Fabelwesen und konnte zur Antwort nur den Kopf schütteln. Entweder hatte der Drache viel Zeit und vollführte verspielte Flugfiguren oder er konnte nicht gut fliegen, denn seine Route wanderte einmal nach links, dann wieder nach rechts und erneut zurück. Und auch die Flughöhe schwankte erkennbar. Im Großen und Ganzen hielt der Drachen aber seine Richtung, und er kam geradewegs auf sie zu.

      „Es ist Skorumer“, erklärte Torfrida. „Er ist schon sehr alt. Vor ihm brauchen wir keine Angst zu haben.“

      „Skorumer?“, fragte Nils.

      „Ja, so heißt er“, erklärte Narvidur. „Er ist Mitglied unseres Rates. Du wirst ihn noch kennenlernen.“

      „Ich!“

      „Und schätzen. Los jetzt.“

      Nils hasste es, so angetrieben zu werden, aber im Augenblick sah er keine Möglichkeit, dem zu entgehen.

      Sie verließen den Wald und liefen auf die Straße zu. Nils zog unwillkürlich den Kopf ein, als sich der mächtige Schatten des Drachen über sie hinwegschob. Er konnte nicht zu ihm aufblicken, weil er fürchtete zu straucheln. Was immer Nils von ihm erwartet hatte, er wurde in jeder Hinsicht enttäuscht. Auch wenn seine Begleiter es ihm erklärt hatten, war ein Rest Misstrauen geblieben. Skorumer flog keinen Angriff, er spie kein Feuer und er stieß keine markerschütternden Schreie aus. Er tat nichts, was ein anständiger Drachen in den Sagen der Menschheit zu tun pflegt. Fast lautlos segelte sein unruhiger Schatten über sie hinweg und verschwand hinter dem Wald, aus dem sie gekommen waren. Die drei Rûngori liefen unbeirrt weiter.

      Kurz vor der Straße wand sich ein kleiner Graben. Er war in dieser Jahreszeit meistens ausgetrocknet. Dort sprangen die drei Rûngori hinein, um ein letztes Mal aus der Deckung heraus die Straße zu überblicken. Allerdings war dieses Manöver vorher nicht abgesprochen worden und in seinen Schwung übersprang Nils den Graben und merkte erst auf der Straße, dass seine Freunde hinter ihm zurückgeblieben waren.

      „Na, hast du etwas gesehen?“, fragte Torfrida lächelnd, als er zurückkam.

      „Wolltet ihr mich auf den Arm nehmen?“, fragte Nils mit säuerlichem Gesicht.

      „Es war ein Missverständnis“, meinte Narvidur. „Aber du kannst einiges lernen, wenn du unser Tun beobachtest.“

      Torfrida, Narvidur und Tophal kamen aus dem Graben. Gemeinsam mit Nils überwanden sie die Straße, liefen den Hang hinauf, über die Kuppe hinweg und hielten auf eine Lücke zwischen den Bäumen des nahen Waldes zu. Dort begann wieder ein Pfad.

      Sie erreichten den Waldrand jenseits der Straße ungeschoren und verschwanden in den Pfad. Nach wenigen Schritten hielten sie an, um ein wenig zu verschnaufen. Torfrida ging noch einmal zurück bis an den Waldsaum und beobachtete die freie Fläche, über die sie gerade gelaufen waren, einen Augenblick, um sicherzugehen, dass ihnen nicht doch Rûngori-Wächter folgten. Aber so weit ihre Augen reichten, konnte sie niemanden entdecken.

      „Gut“, meinte sie zufrieden. „Weit und breit keine Steppenkrieger. Es sieht so aus, dass uns bis hier noch niemand verfolgt.“

      Torfrida voran, gingen sie tiefer in den Wald.

      Der Pfad unterschied sich nicht von dem, den sie vor der Überquerung der freien Fläche benutzt hatten. Auf dem weichen Untergrund waren ihre Schritte kaum zu hören. Auch hier wuchs das Unterholz wieder so dicht, dass sie nur wenig in den Wald hineinblicken konnten. Und weil aus diesem Grund nur wenig Sonnenlicht den Boden erreichte, wirkte er recht finster. Sie gingen schweigend hintereinander her, bis....

      „Ich habe Hunger“, bemerkte Nils auf einmal. „Ich hätte mir etwas zu essen aus eurem Versteck mitnehmen sollen.“

      „Wir haben auch nichts dabei“, sagte Narvidur. „Denk an etwas anderes. Du wirst noch einige Zeit durchhalten müssen.“

      Das war eine Antwort, die Nils gar nicht gern hörte. Ein wenig mürrisch schritt er hinter Torfrida drein.

      Der Wald schien kein Ende nehmen zu wollen. Aber immerhin stand er in ebenem Gelände, und sie brauchten nicht ermüdend auf- und abzuwandern. Plötzlich vernahm Nils über sich ein leises Rauschen, das sich so fremdartig anhörte, dass er unwillkürlich seinen Kopf einzog. Auch die drei Rûngori hatten es bemerkt und blieben stehen. Prüfend blickten sie in die Höhe und im gleichen Augenblick zog erneut ein dunkler Schatten über sie hinweg. Viel freie Sicht erlaubten die fast ineinander gewachsenen Baumwipfel nicht, aber das Wesen flog sehr tief und schien fast die Spitzen der Kronen zu berühren. Für einen kurzen Augenblick kam eine schuppige Haut ins Blickfeld. Dann verschwand der Schatten wieder und das Rauschen verebbte.

      Die Gestalt in ihrem ganzen Umriss konnte Nils nicht erkennen, aber es gab keinen Zweifel, dass es wieder ein Drache war. Dieses Mal flog er in die entgegengesetzte Richtung.

      „Skorumer?“, fragte Nils.

      Narvidur schüttelte den Kopf.

      „Nein, das war Eglynth.“

      „Bei euch leben viele dieser urweltlichen Fabelwesen, habe ich den Eindruck“, meinte Nils und wunderte sich darüber, wie der Zauberer den Drachen so genau von Skorumer unterscheiden konnte, wo doch nur so wenig von ihm zu sehen gewesen war, und warum er die ersten Tage keine gesehen hatte.

      „Der Eindruck täuscht“, sagte Narvidur. „Es gibt nur sechs von ihnen und es ist merkwürdig, dass