Reise nach Rûngnár. Hans Nordländer

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Название Reise nach Rûngnár
Автор произведения Hans Nordländer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783847656753



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Völker, die einzelnen Völkern der Erde entsprechen.“

      Nils wusste nicht, ob er darüber erleichtert sein sollte. Vielleicht würden die Rûngori, oder treffender, die rûngnárischen Völker, irgendwann dazu in der Lage sein, die Menschen in dieser Hinsicht zu überflügeln.

      „Aber wo befindet sich Rûngnár, wie du eure Welt nennst, wenn wir auf der Erde von ihr nichts wissen und sie offenbar nur ausnahmsweise besuchen können – und wenn wir einen solchen Einfluss auf euch haben?“, fragte Nils. „Wenn du sagst, dass beide Welten den gleichen Raum einnehmen und damit die gleichen Körper sind, also sozusagen ineinanderstecken, müssten sie doch durchlässiger sein für gegenseitige Besuche.“

      Er musste zugeben, dass er nicht alles verstand, was Narvidur und Torfrida ihm erklärten, aber die Anordnung der beiden Welten hatte er begriffen, wenn er auch keine Ahnung hatte, wie das möglich war.

      „Rûngnár befindet sich zwar am gleichen Ort wie deine Erde, wie ich sagte, nimmt aber einen anderen Zustand ein. Ich will versuchen, es dir an einem Beispiel klar zu machen, mithilfe einer Wissenschaft, die ihr Physik nennt, und -.“

      Nils stöhnte auf. Schon in der Schule hatte er kaum Verständnis für dieses Fach aufbringen können, erinnerte er sich plötzlich wieder, und nun wollte Narvidur, dessen Volk eher eines aus dem Mittelalter zu sein schien, ihn in derartig unverständlichen Dingen unterweisen. Dazu kam, dass er in seinem Zustand auch die Erinnerung an einen Teil seines schulischen Wissens eingebüßt hatte.

      „Geht es dir nicht gut?“, fragte Torfrida besorgt.

      „Doch, doch“, beeilte sich Nils zu sagen. „Es ist nur gerade wieder ein Stück meiner Erinnerungen aufgetaucht. Könnt ihr sie wieder ganz herstellen? Narvidur sagte doch, ihr seid gute Magier, da sollte euch das doch nicht schwerfallen.“

      „Das werden wir, sei unbesorgt“, meinte sie. „Es wird nicht mehr lange dauern.“

      „Wann?“, fragte Nils.

      „Eins nach dem anderen“, sagte Narvidur. „Lass mich dir zuerst das Angefangene erklären.“

      „Vielleicht verstehe ich dich dann aber besser“, meinte Nils spitzfindig.

      „Das glaube ich nicht, weil ich es dir jetzt schon sehr gut erklären werde“, erwiderte Narvidur lachend.

      Nils gab es auf. Er verstand nicht, warum sie ihm nicht helfen wollten, seine Erinnerungen zurückzuerlangen, obwohl sie es anscheinend tun konnten, und bemühte sich, darüber nicht in Zorn zu verfallen. Vielleicht würde er es später verstehen, vielleicht war es auch nicht mehr nötig, falls er auf Rûngnár seine letzten Tage fristen sollte. Eine erneute Schicksalsergebenheit in seine anscheinend hoffnungslose Lage machte sich in ihm breit.

      Unentwegt setzte Narvidur seine Erklärungen fort.

      „Hast du schon einmal gesehen, was geschieht, wenn zwei Wolken zusammenstoßen? Sie werden sich nicht durchdringen, da sie die gleiche Dichte haben, wie ihr es nennt. Ein Vogel jedoch kann mühelos durch sie hindurchfliegen. Er wird sie kaum spüren, außer durch eine schlechtere Sicht und dadurch, dass sich Feuchtigkeit auf sein Gefieder legt. Und so musst du dir den Unterschied zwischen der Erde und Rûngnár vorstellen. Hätten beide die gleiche Dichte, würden sie aufeinanderprallen und Schaden nehmen. Vereinfacht gesagt, ist Rûngnárs Dichte geringer und so kann sie die Erde durchdringen. Zwischen beiden gibt es kaum Wechselwirkungen, aber das beidseitige Leben beeinflusst sich aus verschiedenen Gründen. Und so ist es seit Anbeginn der Schöpfung. Erde und Rûngnár sind Schwestern und untrennbar miteinander verbunden, solange es sie geben wird.“

      „Na schön, das ist zwar nicht einleuchtend, aber ich will es dir glauben. Ich hoffe, du bist damit zufrieden“, sagte Nils, und es hörte sich ein wenig trotzig an. „Aber ein Vogel kann die Wolke sehen. Wir können euch nicht sehen.“

      „Das ist wahr und ich habe ja auch nicht behauptet, dass es leicht zu verstehen ist“, meinte Narvidur. „Außerdem habe ich dir noch nicht alles erklärt. Du weißt, dass Licht eine magische Welle ist, und die Farbe und Klarheit von Gegenständen und auch Nichtgegenständen, die es euch vortäuscht, hängt von der Wellenlänge ab. So wie das Licht, schwingen auch Körper, vermeintlich feste Stoffe. Je höher sie schwingen, desto unsichtbarer werden sie. Rûngnár schwingt in seiner Grundsubstanz so schnell, und damit auch alles, was auf ihr ist, dass es für das menschliche Auge nicht mehr sichtbar ist.“

      „Unsichtbar und von geringer Dichte“, fasste Nils zusammen. „Dann seid ihr das, was bei uns einige Geister nennen, wenn man daran glaubt. Und Rûngnár ist eine Geisterwelt.“

      Torfrida und Narvidur fingen an zu lachen.

      „Himmel, nein“, meinte sie. „Das sind zwei grundverschiedene Dinge, denn wenn es so wäre, könnten alle eure Geister in unsere Welt gelangen. Das ist aber nur selten der Fall, allerdings auch nicht unmöglich. Trotzdem haben die Rûngnári nichts mit Geistern gemein. Auch Rûngnár besteht aus stofflicher Substanz, aber aus sehr feiner, im Vergleich zur Erde.“

      „Dann gibt es sie wirklich?“, fragte Nils verwundert, denn er hatte seinen Einwand nicht ernst gemeint. „Geister, die Seelen von Verstorbenen und all das?“

      „Und der noch nicht Wiedergeborenen und derjenigen, die niemals geboren werden, ja“, meinte Narvidur. „Doch darüber wollen wir hier nicht reden. Verstehst du jetzt aber, warum Erde und Rûngnár ineinander bestehen können und die eine Welt unsichtbar für die andere bleibt?“

      Nils nickte vorsichtig. Ganz sicher war er sich aber immer noch nicht.

      „Also gut, wir können eure Welt nicht sehen“, sagte er dann. „Aber warum könnt ihr unsere auch nicht sehen? Schließlich ist sie dichter, wenn ich euch richtig verstanden habe.“

      „Das hat einen anderen Grund“, behauptete Narvidur. „Kein Sehorgan auf Rûngnár ist in der Lage, Licht zu erkennen, das so niedrig schwingt wie das von der Erde. Folglich erkennen wir auch keine irdischen Körper.“

      „Aber mich seht ihr doch“, wandte Nils ein.

      „Du bist unserer Welt physikalisch angepasst. Wie sonst könntest du hier etwas sehen oder atmen? Wie sonst könntest du überhaupt hier sein?“

      Unwillkürlich drückte Nils auf seinem Arm herum, weil er fürchtete, sein Körper hatte die gewohnte Festigkeit verloren. Er atmete auf, als er feststellte, dass er sich nicht verändert zu haben schien. Hatte er aber doch, denn durch seinen Übertritt nach Rûngnár hatte er die Dichte dieser Welt angenommen, und die kam Nils jetzt wie die auf der Erde vor. Er konnte in dieser Hinsicht also keine Veränderung an sich feststellen.

      „Hm, na gut“, meinte er, und hörte sich alles andere als verständnisvoll an. „Aber was habe ich nun mit allem zu tun? Und woher wisst ihr das alles?“

      „Du hast doch selbst festgestellt, dass ich ein Zauberer bin, ein Magier. Und ich wäre ein schlechter Magier, wenn ich das und einiges mehr nicht wüsste. In einem gewissen Sinne sind wir alle Magier – aus deiner Sicht. Magie ist angewandte Physik, wie ihr Menschen sagen würdet. Und sie ist umso beeindruckender, je weniger die Zuschauer darüber wissen. Aber ich kann dich beruhigen, mit alldem hast du nichts zu tun.“

      „Dann noch einmal, wie bin ich in eure Welt gelangt?“, fragte Nils. „Schließlich bin ich dafür zu schwer, wenn ich das richtig verstanden habe. Wie konnte ich mich den rûngnárischen Verhältnissen so schnell anpassen, wie du behauptet hast?“

      Narvidur lächelte. Er blieb erstaunlich geduldig.

      „So ähnlich könnte man das tatsächlich sagen. Aber ich habe eine Freundin, die Cereia heißt. Sie hat dich mit ein klein wenig Magie leicht genug gemacht, damit du dich durch eins der Tore zwischen unseren Welten hindurchstehlen konntest. Sie hat auch für die Anpassung deines Körpers gesorgt. Wenn du deine Erinnerung wieder zurückbekommst, dann wirst du dich an sie erinnern. Sie hat dich aufgesucht, um dich dazu zu überreden, zu uns zu kommen. Du siehst, wie wichtig du für uns bist. Du hast Fähigkeiten, die einen großen Wert für uns haben. Da du dich aber gesträubt hast, mit ihr mitzukommen,