Reise nach Rûngnár. Hans Nordländer

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Название Reise nach Rûngnár
Автор произведения Hans Nordländer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783847656753



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letzten Erklärungen hatte Narvidur erstaunlich freimütig gegeben, denn er hätte wissen müssen, wie Nils darauf reagieren würde, denn….

      „Also doch eine Entführung“, wandte Nils ein. „Und dazu eine, die mich fast das Leben gekostet hat. Und ihr habt mich verblödet, damit ich euch nicht entwische.“

      Narvidur und Torfrida sahen ihn unverkennbar schuldbewusst an, enthielten sich aber einer Äußerung.

      „Ich glaube nicht, dass ich das für eine nette Geste halte“, fuhr Nils mit seiner Beschwerde fort. „Warum sollte ich euch unter diesen Umständen helfen, bei was auch immer? Wie könnte ich euch unter diesen Umständen vertrauen? Vielleicht werde ich ja auch glauben, dass mich eure Probleme überhaupt nichts angehen.“

      „Ich gebe zu, es ist nicht alles so gekommen, wie wir es uns vorgestellt haben“, meinte Tophal, der bis dahin geschwiegen hatte. „Bevor du dich entscheiden musst, uns zu helfen, oder auch nicht, werden wir dir deine Erinnerung wiedergeben. Es war vorgesehen, dich in Empfang zu nehmen, bevor du in die Hände der Wächter fällst. Es war nicht vorgesehen, dass du nach Bihaford gebracht wirst. Narvidur saß nicht dort im Kerker, um dich herauszuhauen. Vor allem war nicht vorgesehen, dass du in die Auseinandersetzung zwischen den Steppen- und den Bergkriegern gerätst. Das waren unglückliche Umstände. Ich sage nicht, dass das alles Zufälle waren, und wir werden noch sehen, ob es nicht auch sein Gutes hatte. Aber in den letzten zwei Tagen ist nichts geschehen, was in irgendeiner Weise der Grund für deine Anwesenheit ist.“

      „Ich habe schon gesehen, dass ihr mich nicht eingeplant hattet“, sagte Nils und zeigte auf die drei Matten am Boden.

      „Sie haben auf mich gewartet, denn sie wussten, dass ich aus Bihaford kommend diesen Weg nehmen würde“, erklärte Narvidur. „Wir hatten es so abgesprochen. Nicht ich sollte mit dir zusammentreffen, obwohl ich davon wusste, dass du zu uns kommen würdest. Aber so, wie es gekommen ist, hätten wir auch in allen anderen Fällen heute Nacht hier verbracht.“

      „Wir haben sogar schon einen Tag früher mit Narvidurs Ankunft gerechnet“, sagte Torfrida. „Von dem Angriff auf die Stadt hatten wir keine Ahnung.“

      „Ich weiß nicht, was ich von alldem halten soll“, meinte Nils. „Aber sagt mir jetzt endlich, warum ich hier bin. Und welche Fähigkeiten ich haben soll, die ihr für so wichtig haltet?“

      „Morgen früh werden wir weitergehen ins Reservat“, sagte Tophal. „In zwei Tagen werden wir dann das Tchelasan abhalten. Nur das darf dir diese Fragen beantworten. Dort wird dir Cereia auch die Erinnerung wiedergeben und dann kannst du frei entscheiden, ob du uns helfen, oder ob du wieder heimkehren willst. Auch wenn du es nicht gern hören willst, so viel Geduld musst du noch aufbringen.“

      „Also gut, bis zu diesem – Tchelasan? Was immer das ist“, meinte Nils und gähnte. „Was ist ein Tchelasan?“

      „Ein Tchela ist ein Weiser“, erklärte Tophal. „Einen Tchelasan würdet ihr als einen Rat von Weisen bezeichnen. Der, den wir meinen, ist nicht der einzige, den es gibt, aber er ist das Haupt unserer Gemeinschaft. Zu ihm werden wir dich bringen.“

      Nils sah Tophal verblüfft an.

      „Bin ich euch wirklich so wichtig?“, fragte er.

      „Haben wir das nicht vorhin erwähnt?“, erwiderte Tophal lächelnd. „Und vor uns brauchst du keine Angst zu haben, denn bei uns ist es nicht üblich, anderen den Kopf abzureißen.“

      „Wie tröstlich“, fand Nils. „Aber warum uns?“

      „Tophal ist einer der Tchelas, der Weisen“, erklärte Narvidur. „Lasse dich nicht von seinem Aussehen täuschen. Bei uns hat Weisheit weniger mit dem Alter zu tun als bei euch. Und jetzt ist es an der Zeit, schlafen zu gehen.“

      Das war zu diesem Zeitpunkt ein weiser Entschluss. Nils wusste zwar wieder einmal nicht, wie viel Zeit vergangen war, seit sie in dem Versteck waren, aber er hoffte, dass es noch einige Stunden dauerte, bis die Sonne aufging. Auch er spürte die Müdigkeit, aber sie war nicht so groß, dass seine Unzufriedenheit ihretwegen in den Hintergrund trat. Nils neue Freunde hatten ihm zwar gründlich erklärt, wo er war, obwohl er manches davon nicht begriffen hatte, aber sie waren ihm immer noch die Antwort schuldig geblieben, warum er dort war. Genauso wenig hatten sie ihm erklärt, wer sie waren und was sie von ihm erwarteten. Im Grunde war Nils nicht viel schlauer als vorher, und das wurmte ihm. Aber er wusste, dass er an diesem Abend kaum mehr in Erfahrung bringen konnte. Es waren schon merkwürdige Leute, mit denen er da zusammengetroffen war.

      Es blieb ihm nicht die Arbeit erspart, sich selbst ein Lager zu bauen. Torfrida und Tophal hatten nur mit Narvidur gerechnet, nicht aber damit, dass er noch einen an diesem Ort unerwarteten Gast mitbrachte. Allerdings gab es unter den Vorräten mehr Decken und Matten, als für die vier notwendig waren. Und es beruhigte Nils, dass die Rûngori es nicht als nötig betrachteten, eine Wache aufzustellen, denn dann musste dieser Unterschlupf ein sicherer Ort sein.

      5. Elvis und Janis

      „Ist es schon so weit?“, fragte Nils, als er von Narvidur aus seinem letzten, unruhigen Schlaf geweckt wurde. Er setzte sich auf seinem Lager auf, gähnte und kratzte sich. Seine Stimme verriet, dass er noch nicht ganz da war.

      Nils hatte schlecht geschlafen. Er war am Abend ziemlich erschöpft gewesen, aber all das, was ihm die Rûngori nicht erklärt hatten, hatte ihn noch eine Weile beschäftigt. Er war immer noch unzufrieden darüber, dass sie sich so zugeknöpft gezeigt hatten. Nils haderte mit seiner fehlenden Erinnerung. Es gab einige Dinge, von denen er glaubte, sie bereits irgendwo gehört zu haben, aber – verdammt noch mal – er wusste es nicht mehr. So war er nur in einige kurze Schlummer abgeglitten, die begleitet waren von unangenehmen Träumen, und zwischendurch immer wieder aufgewacht. Er fühlte sich an diesem Morgen nicht besser als am Abend zuvor.

      Nils wusste nicht, ob es draußen schon hell war. Die Rûngori hatten wieder einige Fackeln entzündet und nur in der kleinen Feuerstelle brannten einige Holzstücke. Darüber hing ein Topf, in dem sie, es war kaum zu glauben, eine Art Kaffee zubereiteten.

      „Sicher, wir stehen hier früh auf“, meinte Torfrida. „Wie lange wolltest du denn schlafen? Außerdem haben wir heute noch einen weiten Weg vor uns.“

      „Hm“, machte Nils und kratzte sich am Kinn. Sein Gesicht zog sich nachdenklich in Falten. „Wie lange bin ich jetzt eigentlich schon in eurer Welt?“

      „Warum die Frage?“, wunderte sich Narvidur. „Gefällt es dir hier nicht? Es ist der Morgen des vierten Tages.“

      „Wie könnte es mir gefallen? Schließlich weiß man bei euch am Morgen nicht, ob man abends noch lebt. Aber das ist es nicht. Mein Bart wächst hier nicht.“

      „Sei froh“, meinte Torfrida lachend. „Wir haben hier keine Bartscherer.“

      Nach dem Frühstück öffnete Tophal eine Kiste, die in einer dunklen Ecke hinter einem Regal stand. Er kam mit einem länglichen Gegenstand zurück.

      „Hier ist ein neues Schwert für dich“, sagte er zu Nils. „Dein altes hat weder eine Tasche noch ist es besonders schön gearbeitet.“

      „Aber ich will kein Schwert“, sträubte sich Nils, dem die furchtbaren Bilder des vergangenen Tages noch gegenwärtig waren. „Ich will nicht kämpfen und ich kann auch gar nicht damit umgehen. Außerdem dachte ich, dass es auch nicht mehr nötig sein würde, schließlich sind wir jetzt doch in Sicherheit, habt ihr gesagt.“

      Tophal lächelte.

      „Ich fürchte, noch nicht so ganz. Aber ich weiß, dass dir kämpfen widerstrebt. Sieh es dir wenigstens an. Es ist eine sehr schöne Waffe. Dann kannst du sie mir wiedergeben.“

      Nils nahm sie widerwillig entgegen und er tat es nur, um Tophal einen Gefallen zu tun, aber nicht, weil er sich wirklich dafür interessierte. Narvidur machte Tophal eine Geste und sie gingen unauffällig an den Ausgang.

      „Ich dachte, ihr wusstet nicht, dass er