Reise nach Rûngnár. Hans Nordländer

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Название Reise nach Rûngnár
Автор произведения Hans Nordländer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783847656753



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Kutsche auf der Straße.

      „Eine Gefängniskutsche“, sagte Nils leise.

      Er erkannte sie wieder. Vielleicht war es nicht die Gleiche, aber immerhin war er mit so einem Gefährt in die Burg von Bihaford gebracht worden. Und wieder waren sechsbeinige Pferde davorgespannt.

      „Sie kommt aus dem Reservat und ist auf dem Weg nach Bihaford“, meinte Narvidur.

      „Wieder mit einem gefangenen Menschen?“, fragte Nils.

      „Vielleicht, aber unwahrscheinlich. Menschen tauchen bei uns nicht alle Nase lang auf. Sie verhaften auch andere Wesen, obwohl....“

      Den Rest ließ er offen. Schon sein »obwohl« hatte sich nachdenklich angehört.

      „Was wollen die denn in Bihaford?“, fragte Nils. „Bei der Unordnung dort.“

      Narvidur musste lächeln.

      „Wahrscheinlich wissen sie noch nichts davon. Ich nehme an, sie werden ziemlich überrascht sein.“

      „Von jetzt an wird unser Weg gefährlicher“, warnte sie Torfrida.

      „Wegen der Kutsche?“, fragte Nils. „Die ist doch weg.“

      „Nein, nicht deswegen. Aber in dieser Gegend patrouillieren wahrscheinlich Steppenkrieger.“

      Sie warteten, bis die Kutsche außer Sicht war, dann machten sie sich wieder auf den Weg. Nils schmunzelte, als er daran dachte, dass Narvidur gerade wieder bewiesen hatte, dass er auch in menschlichen Redensarten bewandert war.

      Das Gras stand hoch, aber die Wärme des Tages und der Wind hatten den morgendlichen Tau vollständig abtrocknen lassen. Torfrida hatte wieder die Spitze des kleinen Trupps übernommen. Während Nils hinter ihr herging, versank er in Gedanken.

      Seit der letzten Nacht hatte er sich immer wieder gefragt, um welch sonderbare Leute es sich bei seinen Begleitern handelte. Offensichtlich waren sie keine Gemeinschaft, die sich offen zeigen konnte. Es schien sich um eine Art von Verschwörern zu handeln. Zumindest taten sie wohl etwas, das den Interessen der Obrigkeit zuwiderlief, denn warum sonst mussten sie sich verstecken und heimlich durch den Wald schleichen. Für einen kurzen Augenblick kamen ihm die sogenannten »Verschwörer Euserias« in den Sinn, mit denen er von seinen Verhörern in der Burg von Bihaford in Verbindung gebracht worden war, doch die erschienen ihm so geheim und von so bedrohlicher Art zu sein, dass er es für ausgeschlossen hielt, jemals mit ihnen Bekanntschaft zu machen, und er war sicher, dass er es auch nicht wollte. Außerdem würden sie bestimmt nur an wirklich wichtigen Bundesgenossen interessiert sein.

      Aber welchen seltsamen Begleitern war Nils dann in die Hände gefallen? Narvidur nannte sich einen Zauberer, obwohl Nils bisher nur kleine und ziemlich unbedeutende »Kunststückchen« von ihm gesehen hatte, und er Narvidur diese Behauptung auch nicht recht glaubte. Der Zauberer wusste sicher eine ganze Menge, aber richtig zaubern konnte er deswegen noch lange nicht. Und die anderen hatten sich nicht dazu geäußert. Tophal wurde als Weiser bezeichnet, als Tchela, was immer das bedeutete. Und Torfrida? Nils konnte sich kaum vorstellen, dass sie die beiden als gewöhnliche Kriegerin und Köchin begleitete. Von ihr wusste er bisher am wenigsten. Immerhin hatten die beiden Männer – und Nils auch – ohne zu zögern, auf ihren Befehl, in Deckung zu gehen, gehorcht.

      So unsanft wie plötzlich wurde Nils von einer starken Hand aus seinen Gedanken gerissen. Bevor er sich auf dem Boden wiederfand, hörte er ein ärgerliches „Träumst du?“ und sah zwei Schatten an sich vorüberhasten. Nils erschrak, als er in seiner Überrumpelung Waffengeklirr hörte. Sehen konnte er nichts, denn der unerwartete Kampf fand hinter einer ausladenden Buschgruppe statt und Narvidur und Tophal hatten schnell gehandelt, als sie Torfrida ihre Waffen ziehen sahen.

      „Was soll das!?“, beschwerte sich Nils, doch niemand war da, um ihm zu antworten. Er sprang auf, zog sein Schwert und eilte seinen Freunden zur Hilfe. Woher er plötzlich seinen Mut nahm, das wusste er selbst nicht.

      Seinen ersten Gegner erwischte er durch Zufall und ohne dass er ihn überhaupt angegriffen hatte. Er stolperte ihm förmlich rückwärts in sein Schwert, als Nils um die Ecke bog und nicht rechtzeitig anhalten konnte. Und es war eine tödliche Begegnung. Jetzt nicht denken, sagte sich Nils, als er das Schwert aus diesem Krieger herauszog. Dann griff er an.

      Es herrschte ein ziemliches Durcheinander. Die fremden Rûngori-Krieger waren in der Überzahl. Er sah, dass sich Torfrida gegen zwei Krieger behaupten musste, und kam ihr zur Hilfe. Später erinnerte er sich, wie leicht ihm in diesem Augenblick das Kämpfen fiel. Ob es an der neuen Waffe oder an seiner bisherigen »Kampferfahrung« lag, oder an beidem, wurde ihm nicht recht klar. Auf jeden Fall vermutete er als wichtigsten Grund für sein unüberlegtes Eingreifen die unbewusste Absicht, Torfrida aus ihrer Bredouille zu retten.

      Seinem zweiten Gegner war eine, wenn auch schmerzhafte Flucht vergönnt, denn Nils verletzte ihn so an seinem Arm, dass er sein Schwert fallen ließ und davonlief, nachdem er Nils überrascht und mit flackernden Augen angesehen hatte.

      Nils kämpfte noch ein bisschen weiter und besiegte sogar noch einen dritten Gegner. Der allerdings konnte nicht mehr fliehen. Dann war der Kampf zu Ende. Etwas pustig stützte er sich auf sein Schwert und überblickte das Schlachtfeld. Sie hatten sich gegen acht Rûngori-Krieger zur Wehr setzen müssen und nur einem war die Flucht gelungen. Das erste Mal empfand Nils nach einem Gefecht keine nachträgliche Furcht. Es war wie immer kein schöner Anblick, und dennoch spürte Nils jetzt keine Abscheu und keinen Ekel, dieses Mal empfand er nicht einmal Reue. Da war nichts, außer – ja, doch. Ein sonderbares, unbekanntes Gefühl ergriff ihn. Es war ein Gefühl von Siegesfreude und von Macht, ein Gefühl der Macht über andere Lebewesen. Nils spürte eine Hand auf seiner Schulter und wandte sich um. Er blickte in das Gesicht von Torfrida.

      „Das war großartig“, sagte sie lächelnd. „Du hast dich geschlagen, wie es keiner von uns erwartet hatte. Ob du es glaubst oder nicht, wir alle sind sehr zufrieden mit dir.“

      Narvidur und Tophal nickten einträchtig. Das Überlegenheitsgefühl in Nils wich einer deutlichen Verlegenheit.

      „Danke“, sagte er bescheiden. Aber einen Grund zur Zufriedenheit sah er nicht. „Bist du verletzt, Torfrida?“

      Sie schüttelte den Kopf.

      „Nein, es geht mir gut. Ich glaube, Narvidur und Tophal auch.“

      „So ist es“, sagte der Zauberer. „Und es stimmt, was Torfrida sagte, du hast gut gekämpft, alle Achtung. Unter diesen Umständen bitte ich dich um Verzeihung dafür, dass ich dich so unsanft umgerissen habe. Es wird in Zukunft nicht mehr notwendig sein, wenn du nicht träumst.“

      Nils nickte. Ob das wirklich nicht mehr notwendig sein würde, da war er noch nicht sicher. Narvidurs Einschränkung hatte er anscheinend überhört. Er riss einen Fetzen vom Gewand eines toten Rûngori-Kriegers ab, um damit die Klinge seines Schwertes abzuwischen. Dann steckte er es wieder ein.

      „Ihr lebt in einer sehr feindseligen Welt, dabei bleibe ich“, stellte er fest. „Solche Dinge scheinen bei euch zum Alltag zu gehören. Wie könnt ihr nur unter diesen Umständen existieren. Ich glaube, so traurige Zustände gibt es noch nicht einmal auf der Erde.“

      „Zugegeben, dein Eindruck kann nicht sehr gut sein, nach diesen vier Tagen“, meinte Tophal, „aber du irrst. Wir sind nicht kriegerischer als die Menschen und auch für uns sind diese Tage etwas Besonderes. Ich kann dir nichts versprechen, aber es ist ebenso gut möglich, dass du keine weiteren Kämpfe dieser Art zu bestehen haben wirst, solange du dich in unserer Welt aufhältst. Außerdem ist Rûngnár groß und es gibt wunderbare, friedliche Gebiete, die -.“

      „Ohne Rûngori“, unterbrach ihn Nils, und als nach kurzem Zögern immer noch keine Antwort kam, stellte er fest: „Na ja, immerhin das hat eure Welt mit der Erde gemeinsam. Zu wem gehörten diese Krieger?“

      „Es war eine Patrouille der Steppenkrieger“, erklärte Torfrida. „Wir befinden uns bereits nahe des Reservates und dieses Gebiet wird von ihnen überwacht. Leuten wie uns ist es ein leichtes, ihr Misstrauen zu erwecken, daher war der Kampf unvermeidlich.“