Reise nach Rûngnár. Hans Nordländer

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Название Reise nach Rûngnár
Автор произведения Hans Nordländer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783847656753



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zurückfallen. Viel besser wurde es dadurch aber auch nicht. Torfrida schien nichts dagegen zu haben, denn sie tat nichts, um Nils dazu zu bewegen, wieder enger aufzuschließen. Er drehte sich zu ihr um und blickte in ihre grün leuchtenden Augen. Das Licht ihrer Fackel verursachte unruhige Schatten in ihrem Gesicht.

      „Ja?“ fragte sie.

      Nils zögerte.

      „Ach nichts.“

      Dann wandte er sich wieder nach vorn und ging weiter.

      „Doch“, sagte er plötzlich und drehte sich noch einmal um. Er versuchte so leise zu sprechen, dass Elvis ihn nicht verstehen konnte. So hoffte er wenigstens. „Wegen Elvis und Janis. Ihr sagtet, es sind Erdgeister und ich muss es glauben. Aber warum leben sie dann in Höhlen, also in Hohlräumen. Wenn ich an Geister denke, dann stelle ich mir körperlose Wesen vor, zwar mit einer Gestalt, aber ohne Substanz. Wozu also eine eingerichtete Wohnung?“

      „Weil´s schockt, Alter!“, rief Elvis von vorn. Nils zuckte zusammen. Scheinbar war es nicht leicht, etwas vor ihm zu verheimlichen, wenn er zugegen war. „Hast du wirklich gedacht, wir leben im Gebirge, in Felsen oder feuchter, modriger Erde. Was glaubst du? Das ist uncool ohne Ende. Dort kann sich doch niemand nach seinem Geschmack einrichten, nicht einmal Erdgeister. Und alle von uns haben ihre Wohnungen.“

      „So wie ihr?“

      „Natürlich nicht. Die meisten sind schrecklich spießig eingerichtet. Aber das ist schließlich ihre Sache.“

      „Gibt es denn viele Erdgeister?“, fragte Nils jetzt lauter. Wenn Elvis ihn sowieso verstand, dann konnte er sich auch geradewegs mit ihm unterhalten. „Und wenn die Rûngori die Menschen der Erde verkörpern, entsprecht ihr dann den Erdgeistern bei uns, die es angeblich geben soll?“

      „Bruder, wir sind unzählige, hier wie dort. Eure Erdgeister existieren nicht nur angeblich, aber das ist eine schwierige Kiste. Auf jeden Fall sind sie für uns sehr lehrreich.“

      „Also kennst du wirklich welche?“, fragte Nils erstaunt. „Das ist ja ein Ding! Ich glaube, ich bin noch keinem begegnet.“

      „Sei dir da nicht so sicher“, meinte Elvis. „Sie zeigen sich nur selten in ihrer eigentlichen Gestalt. Eure sind zurückhaltender als wir, und sie wissen warum. Menschen sind unangenehmer als Rûngori.“

      Nils antwortete mit einem nicht sehr lustigen Lachen.

      „Die meisten jedenfalls. Sie sind undankbar und wissen die Ratschläge und Hinweise der Natur nicht zu schätzen. Und sie schmähen die Naturkräfte und rekeln sich in selbstzerstörerischer Selbstüberschätzung. Aber das weißt du ja. Die Rûngori dagegen leben mit ihnen – mit uns.“

      Das war überraschend nüchtern erklärt. Es ging also doch.

      „Hm, wie kann ich ihnen begegnen?“, wollte Nils wissen.

      „Mit offenen Sinnen und offenem Herzen“, erklärte Narvidur. „Aber das ist nicht leicht, und nur wenige Menschen sind dazu in der Lage und auch bereit. Außerdem gibt es dunkle Mächte auf der Erde, die das zu verhindern trachten. Ein Leben im Einklang mit der Natur bedeutet Freiheit.“

      „Dunkle Mächte?“, fragte Nils erstaunt. „Zauberei, Verschwörungen, schwarze Magie und so?“

      Narvidur lachte.

      „Na ja, vielleicht nicht ganz so geheimnisvoll, obwohl einige dieser Dinge nicht von den offensichtlichen Gründen zu trennen sind. Ich meine eure Wissenschaften, machtbesessene Religionen, die Art eurer Wirtschaft und die geistige Trägheit der Menschen. Ich weiß, wovon ich rede. Ich habe die Menschen studiert. Der Tod der geistigen Freiheit ist das Fernsehen in seiner derzeitigen Form und infolge der Nutzung durch die Zuschauer. Da kannst du ja irgendwann einmal drüber nachdenken. Du kannst es aber auch sein lassen, denn ändern wirst du deine Welt nicht.“

      „Hm“, machte Nils. Er hatte gerade begonnen, darüber nachzudenken. Dabei musste er sich erst einmal an einige Dinge erinnern, die er vergessen zu haben schien. Nachdem er aber wieder wusste, was ein Fernsehapparat war, kam er zu der Erkenntnis, dass er gar keinen besaß.

      Der Tunnel zog sich endlos hin und wenn er Biegungen machte, dann waren sie so sanft, dass es nicht auffiel. So kam er Nils schnurgerade vor. Er bemühte sich, die Eintönigkeit zu vertreiben, indem er entweder nachdachte oder nach Dingen fragte, die ihm rätselhaft vorkamen. Dann dachte er über die Antworten nach, bis er wieder Fragen hatte. So erfuhr er, dass dieser Tunnel nicht der einzige war, der ins Reservat führte. Wenn es stimmte, was Narvidur ihm erzählt hatte, und es gab für Nils keinen Grund daran zu zweifeln, dann begannen alle unterirdisch und endeten auch so. Keiner reichte bis an die Oberfläche und sie waren nicht miteinander verbunden. Nils konnte sich zwar vorstellen, aus welchem Grund sie durch die Erde getrieben worden waren, aber nicht, wie. Schließlich musste der Abraum ja irgendwo geblieben sein. Die Erklärung Elvis´ war allerdings einleuchtend. Die Tunnel waren alle in der Nähe von unterirdischen Hohlräumen angelegt worden, die dann die ausgeschachtete Erde aufgenommen hatten. Da hätte ich auch selbst drauf kommen können, sagte sich Nils.

      Jeder Tunnel wurde von einem oder mehreren Erdgeistern »betreut«, die dafür sorgten, dass berechtigte Benutzer von »oben« in ihn hinein und auch wieder hinaus kommen konnten. Nils wollte sich nicht schon wieder beschweren, aber ihm schwante Böses für den Zeitpunkt, wenn sie das Ende des Tunnels erreichten – mit Recht.

      Schließlich wurden die Antworten der Rûngori und des Erdgeistes immer spärlicher und Nils ahnte, warum. Er hörte auf, Fragen zu stellen. Er fand es schon bewundernswert, dass sie überhaupt so lange geduldig geblieben waren. Untereinander fiel zwischen seinen vier Begleitern während der ganzen Zeit kein Wort.

      Dann endlich war der eintönige Marsch zu Ende und sie standen vor einer Wand aus gewachsenem Erdreich.

      „Das ist geschickt“, fand Nils. „Ein magisches Tor nach draußen. Vollkommen unsichtbar.“

      Er flüchtete sich in die Hoffnung, dahinter eine weite Landschaft vorzufinden. Den Gedanken an eine milde Sommersonne verwarf er aber wieder. Sie sollten ja schließlich im Reservat herauskommen, und da gab es bekanntlich keine Sonne. Und warm würde es auch nicht sein.

      „Ein magisches Tor?“, fragte Elvis verwundert. „Wofür, um alles in der Welt, Bruder?“

      „Na ja, ich dachte, weil....“

      „Außer uns kommt hier doch nie jemand lang. Außerdem, sagten wir nicht, dass der Tunnel so endet, wie er begonnen hat. Also sicher kein Tor, weder magisch noch gewöhnlich.“

      Elvis konnte sich ein schadenfrohes Grinsen nicht verkneifen. Nils war entsetzt. Jetzt bewahrheitete sich, was er vor einiger Zeit befürchtet und dann erfolgreich verdrängt hatte.

      „Aber – das heißt doch nicht ...?“

      Torfrida kicherte.

      „Doch, ich fürchte schon“, meinte sie. „Elvis wird uns wieder ein wenig zur Hand gehen.“

      Nils schluckte. Nur zu gut erinnerte er sich an die Nebenwirkungen des letzten Males. Ohne Erklärung verschwand Elvis plötzlich.

      „Wo ist er hin?“, fragte Nils. „Ich denke, er wollte uns hier herausbringen.“

      „Elvis kommt gleich wieder“, erklärte Torfrida. „Er sieht sich oben um, ob die Luft rein ist. Ohne die Hilfe der Erdgeister könnten wir diese geheimen Wege nicht benutzen. Sie bringen uns herab und wieder hinauf. Und sie sichern unser Auftauchen auf der Erdoberfläche. Keiner wird Elvis bemerken, dem er sich nicht zeigen will.“

      „Aber woher wusste er gestern, dass wir oben auf ihn warteten? Hat er unsere Gegenwart von unten festgestellt?“

      „Das wäre zwar auch möglich gewesen, wenn er sich in der Nähe aufgehalten hätte, aber in diesem Fall wusste er von unserer Ankunft, denn wir sind auch hier entlang aus dem Reservat herausgekommen. Außerdem haben wir Möglichkeiten, uns mit Erdgeistern in Verbindung zu setzen.“

      Nils überlegte. Das alles war schon recht merkwürdig.