Reise nach Rûngnár. Hans Nordländer

Читать онлайн.
Название Reise nach Rûngnár
Автор произведения Hans Nordländer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783847656753



Скачать книгу

Eglynth gehört sich selbst“, antwortete Torfrida rätselhaft. „Er lebt oben in den Bergen. Nur selten kommt es zwischen uns und ihm zu Begegnungen.“

      „Freundlicher Art?“

      „Er lässt uns in Ruhe“, meinte sie. „Sonst wären wir nicht hier. [Das war ein Hinweis auf den Ausgang früherer Zusammentreffen mit ihm.] Aber nicht alle Drachen sind friedlich. Zweien von ihnen, Aristoteles und Sokrates, sollte man lieber aus dem Weg gehen. Allerdings leben die weit im Süden und verlassen nur selten ihre Einöde.“

      „Aristoteles und Sokrates?“, wunderte sich Nils.

      Narvidur lachte.

      „Ich wusste, dass du danach fragen würdest. Sie nennen sich tatsächlich bei den Namen dieser beiden Griechen. Zu ihren Zeiten trieben sie im irdischen Griechenland ihr Unwesen, bevor sie wieder in unsere Welt zurückkehrten. Eglynth dagegen ist friedlich, wenn auch wie sie ein Einsiedler. Ich nehme an, er hat sich über die Zustände in Bihaford unterrichtet. Lass uns weitergehen, ja?“

      Die vier wanderten noch den ganzen Nachmittag hindurch durch den Wald, aber schließlich erreichten sie den jenseitigen Waldsaum.

      Und wieder beobachteten sie das freie Feld vor sich. So weit sie sehen konnten, breitete sich vor ihnen eine flache, unbewohnte Graslandschaft aus, die nur wenige Büsche zu ihrem Sichtschutz bot. Das Bild wäre alles andere als aufregend gewesen, wenn sich nicht in einiger Entfernung ein blaugrauer Schleier von der einen Seite zur anderen gespannt hätte, der in der Höhe mit dem Himmel verschmolz. Er war nicht undurchsichtig, denn hinter ihm ging die Landschaft unverändert weiter, aber sie erschien verschwommen und wenig farbenfroh. Das war die Kuppel des Reservates.

      Nils fröstelte unwillkürlich.

      „Da wollt ihr wirklich hinein?“, fragte er zweifelnd. Trotz der späteren Ereignisse war er froh, nicht mehr dort zu sein. „Einladend sieht das nicht aus. Die Kuppel scheint nicht besonders fest zu sein, trotzdem habe ich den Eindruck, dass es schwierig sein wird, sie zu durchdringen. Irre ich mich?“

      „Nein, die Mauer ist für uns unpassierbar“, entgegnete Narvidur. „Es gibt nur noch wenige Tore, die wir benutzen könnten, aber die werden überwacht und keines davon befindet sich hier in der Nähe. Dafür begegnet man in dieser Gegend nur selten Rûngori-Patrouillen. Das ist einer der Gründe, warum wir diesen Weg wählten.“

      „Wenn sie undurchdringlich ist, was wollen wir dann hier? Ich nehme an, wir sind nicht den weiten Weg bis hierher gegangen, nur damit ihr mir das Reservat von dieser Seite zeigen könnt?“

      „Sehr scharfsinnig“, bemerkte Narvidur mit leichtem Spott. „Warte es ab.“

      Und warten mussten sie tatsächlich noch einige Zeit, denn die Rûngori wollten den Wald nicht vor Beginn der Abenddämmerung verlassen und es war erst später Nachmittag. Allerdings hatte das Warten noch einen anderen Grund, von dem Nils nichts wusste.

      So sehr er sich auch bemühte, irgendetwas zu entdecken, das sie ansteuern konnten, es gelang ihm nicht. Es gab nichts, das so aussah, als würde es sich lohnen, dafür bis an diesen Ort zu wandern. Nils´ Begleiter hielten sich bedeckt und dafür gab es eigentlich keinen Grund, fand er, aber es blieb ihm nichts anderes übrig, als zu tun, was Narvidur von ihm verlangt hatte, nämlich abzuwarten. Also legte er sich auf den Rücken und döste ein.

      Plötzlich hörte Nils ein dumpfes Geräusch hinter sich und schreckte auf. Ehe er sich umdrehen konnte, war da eine fremde Stimme.

      „Hey, Freaks, wie lange wollt ihr denn hier noch `rumhängen? Ich warte auf euch schon länger als eine Ewigkeit. Ach so, klar ey, verstehe, genau. Keine Sorge, Leute. Es gibt keine Kriegshelden in unserem Dunstkreis.“

      Nils traute seinen Augen nicht. So eine Figur konnte er sich zwar auf der Erde vorstellen, aber hier erschien sie ihm völlig fehl am Platz. Er wunderte sich, wo der Typ plötzlich hergekommen war.

      „Was ist das denn?“, entfuhr es Nils.

      „Ey, Bruder, gerade du solltest eine solche Frage nicht stellen, schau dich selbst einmal an“, entgegnete der Fremde. „Was gefällt dir nicht?“

      Seine Stimme klang aber weniger gereizt als seine Worte.

      „Ach, äh.... gar nichts. `Tschuldigung.“

      Torfrida kicherte und auch Narvidur und Tophal machten nicht mehr ganz so ernste Gesichter. Vor ihnen stand die Karikatur eines waschechten Hippies aus den neunzehnsiebziger Jahren der Menschheit. Von allem, was Nils bisher an Sonderbarem in dieser Welt gesehen hatte, war er das Sonderbarste. Nils war nicht einmal sicher, ob es sich bei ihm um einen Rûngori handelte, denn aus seinem leicht geröteten, faltenlosen Gesicht blickten ihn rehbraune Augen an. Seine langen, fettigen Haare wurden von einem bunten Stirnband im Zaum gehalten und die untere Gesichtshälfte versteckte sich hinter einem mächtigen Rauschebart. Der Mann trug ein blumengemustertes, halb offenes Hemd, die schlecht gelungene Nachahmung einer Blue Jeans mit einem erstaunlich breiten Gürtel und einer gewaltigen Schnalle und über allem eine offene, blaugrüne Weste. Nur die Füße steckten in den unvermeidlichen Sandalen. Bei der hageren Gestalt dachte Nils unwillkürlich und völlig widersinnig an ein Suppenhuhn und als nächstes an ein Harley-Davidson Motorrad. Nils hatte alle Mühe, ernst zu bleiben. [Tatsächlich zeigte die Gürtelschnalle eine verunglückte Nachahmung des Harley-Davidson Emblems. Das war Nils in seiner Verblüffung aber noch gar nicht aufgefallen.]

      „Das ist Maart“, stellte Narvidur den Fremden vor.

      „Elvis, Leute“, verbesserte ihn Maart. „Nennt mich Elvis.“

      Wie Elvis siehst du aber gar nicht aus, dachte Nils.

      „Entschuldigung, Elvis“, erwiderte Narvidur schmunzelnd. „Natürlich Elvis. Ich vergesse es immer wieder. Also gut, Elvis wird uns helfen, ins Reservat zu gelangen. Heute Nacht werden wir bei ihm verbringen. Elvis, das ist Nils.“

      „Aha, so sieht er also aus, euer Held. Ich habe von dir gehört, Junge. Eigentlich habe ich dich mir anders vorgestellt, Bruder, weniger unscheinbar, eher schillernder, nach allem, was über dich gesagt wird. Aber gut, schließen wir nichts aus dem Äußerlichen. Willkommen in der Welt der Verrückten.“

      Deren du ein würdiger Vertreter bist, dachte Nils. Im ersten Augenblick fiel ihm nichts ein, was er auf das wirre Zeug von diesem seltsamen Kerl erwidern konnte. Dann aber:

      „Was – was wird denn über mich gesagt?“

      „Das, Bruder, sollen dir die anderen erzählen. Ich bin nur dafür zuständig, euch in die Dunkelzone zu schießen. Folgt mir, es ist nicht mehr weit.“

      Das mit dem »Schießen« gefiel Nils überhaupt nicht. Wenn Elvis das meinte, was er darunter verstand, dann befand er sich wieder einmal in der Bredouille. Aber was blieb Nils anderes übrig, als den anderen zu folgen.

      Maart, oder Elvis, sah nicht nur ungepflegt aus, er roch auch so, wie Nils feststellte, als Elvis an ihm vorüberging. Wäre Geruch sichtbar, stünde er bestimmt in einer undurchdringlichen Wolke, die jeder Atmung ein Ende setzten würde. Nils hütete sich, eine Bemerkung darüber fallenzulassen, um Elvis nicht zu reizen, aber er war sicher, dass es kein Steppenkrieger lange in seinem Dunstkreis aushalten würde. Er hatte diesen Ausdruck also schon ganz richtig verwendet, fand Nils, wenn vielleicht auch nicht in dieser Absicht. Nils konnte nicht wissen, dass Elvis der Überzeugung war, dass derjenige, den er darzustellen versuchte, so streng riechen musste. Zumindest für Nils war es in den nächsten Stunden eine ziemliche Überwindung, sich in Elvis´ Nähe aufzuhalten. Dabei sollte er nicht einmal die Möglichkeit haben, ihm aus dem Weg zu gehen. Seinen Begleitern war nichts anzumerken. Immerhin gab Torfrida gegenüber Nils später einmal im Vertrauen zu, dass auch ihr Elvis´ Gegenwart nicht immer angenehm war, was diesen Punkt betraf.

      Sie verließen den Wald. Der Pfad setzte sich in die Steppe hinein nicht fort und sie mussten durch hohes Gras stapfen. Elvis hatte ihnen zwar versichert, dass sich keine Wächter in der Nähe aufhielten, aber ganz geheuer war Nils trotzdem nicht. Immer wieder blickte er sich um und, in Erinnerung an Torfridas Worte über Sokrates und Aristoteles, gelegentlich auch