Medusas Ende. Elisa Scheer

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Название Medusas Ende
Автор произведения Elisa Scheer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783737562607



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      Ich fügte mich, gar nicht so ungern. Frau Thiemig fuhr einen nagelneuen Golf und ich konnte einen Anflug von Neid nicht unterdrücken. Einmal ein eigenes Auto haben! „Haben Sie – ach was, hast du überhaupt schon Gehalt gekriegt?“, fragte sie, als sie vom Parkplatz fuhr. „Ich heiße übrigens Nadja.“

      „Eva“, antwortete ich dankbar. „Nein, aber man hat mich schon gewarnt, dass das ein Vierteljahr dauern kann.“

      „Aber du hast doch eine Planstelle? Dann müsste es eigentlich schneller gehen.“ Ich seufzte. „Ich hab mal bei der Bezügestelle angerufen, aber die waren bloß ehrlich überrascht, dass ich nicht umsonst arbeiten will. Ob ich keine Rücklagen hätte? Ob meine Eltern mir nicht helfen könnten?“

      Nadja schnaubte und setzte den Blinker. „Das ist so was von typisch! Schuften lassen sie einen, aber wenn man auch mal was essen will, soll man bei den Alten schnorren. Weißt du, warum die das machen?“

      „Schikane?“, vermutete ich, durch Erfahrung gewitzt.

      „Ja, das sowieso – aber vor allem legen die das Geld, das sie dir nicht zahlen, gut an und kassieren Zinsen. Und du zahlst für den Dispo, ohne Ende.“

      „Tue ich seit Jahren“, gestand ich. „Ich hab schon das Studium nur mit Schulden hingekriegt. Eltern! Meine Mutter hat gar nicht daran gedacht, mich nach dem Abi noch durchzufüttern, und bei diesen Blödeljobs im Studium wirst du doch wirklich nicht reich.“

      „Stimmt. Wenn es dich tröstet: Sobald das Gehalt mal läuft, kannst du dir durchaus ein menschenwürdiges Leben leisten. Wohnung, Auto, regelmäßige Mahlzeiten, ab und an ein Buch oder ein Duschgel. Wahrscheinlich kriegst du um Weihnachten rum einen ganzen Batzen als Abschlagszahlung und zahlst ein Vermögen an Steuern. Mach bloß im Januar gleich deine Steuererklärung, damit du die Kröten zurückkriegst! Da vorne links, oder?“

      „Genau. Die Gegend haut einen nicht um, aber die Wohnung ist ganz günstig.“

      „Wer schaut denn schon auf die Gegend! Bloß Leute, die sich dann in einem vornehmen Vorort langweilen. Ich finde Selling so schlecht nicht, ich hab hier selbst mal gewohnt.“

      „Aber du bist weggezogen, als du genug verdient hast?“

      „Ja, weil ich eine größere Wohnung haben wollte, möglichst drei Zimmer. Und hier gab´s nichts, was mir gefallen hätte. Bloß eine mit Ofenheizung, und für solchen Stress hab ich keine Zeit. Wie jetzt?“

      „An der zweiten rechts, und das Möchtegern-Hochhaus ist es. Das Legohaus.“

      „Da wohnst du? Wie sind da die Wohnungen?“

      „Winzig. Aber ideal für arme Leute, sie sind ziemlich komplett möbliert. Geschnitten wie ein billiges Einzelzimmer im Hotel, aber mit Bett, Schrank, Tisch, Kühlschrank und Bad. Man braucht bloß noch einen Wasserkocher und die Sache ist geritzt.“ Nadja lachte. „Bescheidene Ansprüche!“

      Ich zuckte die Achseln. „Sachzwänge. Aber man gewöhnt sich an alles, und für das Geld bekäme ich in München nicht mal ein Bett in der Jugendherberge.“ Vor dem Eingang ließ sich mich mit all meinen Tüten und Taschen aussteigen. „Irgendwann musst du mir die Wohnung mal zeigen. Und du kommst mich auch mal besuchen“, schlug sie zum Abschied vor.

      In direkt heiterer Stimmung lief ich den Plattenweg entlang und drückte auf den Liftknopf. Hatte ich jetzt so etwas wie eine Freundin im Kollegium gefunden? Hatte sie mich sechs Wochen lang beobachtet und dann beschlossen, gnädig zu sein? Oder hatte ich ihr Leid getan, weil solche Übelkrähen wie die Bernrieder oder dieser doofe Wallner immer auf mir herumhackten?

      Egal, Hauptsache, ich hatte mal Ansprache. Der Schulleiter kümmerte sich offenbar um gar nichts, und der Stellvertreter kannte zurzeit nur eine Sorge: Wo nehmen wir weitere Räume her?

      Ich fuhr in den fünften Stock, trabte den Gang entlang und schloss meine Tür auf, die wie alles in diesem Stockwerk in einem unbeschreiblichen Lachsrosa prangte. Die Farbzwänge hier waren gewöhnungsbedürftig – man merkte, dass dieses Haus in den Siebzigern das Allerschickste gewesen war, bunt und pflegeleicht.

      Meine Wohnung war wirklich winzig, aber geschickt geschnitten. Im Flur waren rechts zwei Schränke eingebaut, die einiges fassten. Natürlich weiß mit lachsrosa Griffen. Links ging es in ein enges, lachsrosa gekacheltes Duschbad, aber es gab immer heißes Wasser in beliebiger Menge. Wenn ich da an früher dachte, an die Klagen meiner Kommilitonen über ihre verkalkten Boiler... Geradeaus kam das Zimmerchen. Links ein schmales Bett mit angenehm harter Matratze, rechts zwei niedrige Regale und ein Schränkchen, in dem sich ein kleiner Kühlschrank verbarg. Geradeaus, unter dem Fenster mit Blick auf weitere Häuser, kahl werdende Bäume und in der Ferne den Stadtring, der Schreibtisch, jungfräulich leer.

      Na, das ließ sich ändern! Ich wuchtete vierunddreißig Fünftklasshefte und einunddreißig Neuntklassmappen auf den Tisch und ärgerte mich wieder über meine schlechte Planung: Bis morgen konnte ich unmöglich fünfundsechzig Aufsätze korrigiert haben!

      Vor allem, wenn mich jetzt schon wieder tiefe Lustlosigkeit überkam. Außerdem fiel mir ein, dass ich morgen in der 11 b in Geschichte unbedingt ein Ex schreiben sollte. Dann hatte ich ja noch mehr zu tun! Und die Stunden für morgen hatte ich auch noch nicht vorbereitet. Im Seminar hatte ich völlig andere Klassen gehabt, so dass ich praktisch wieder bei Null anfangen musste, was einen besonders freute, wenn man wusste, dass ein neuer Lehrplan kam und die meisten Materialien, die man bastelte, keine lange Lebensdauer haben würden.

      Zwei Uhr war es jetzt. Was war am dringendsten? Ich studierte mutlos meinen Stundenplan: Wenn ich gewusst hätte, wie viel Arbeit das alles machte, hätte ich mir wenigstens andere Fächer gesucht! Drei Deutschklassen, darunter einen Grundkurs (den hatte ich auch noch nie gehabt), das war wirklich ekelhaft viel zu korrigieren. Aber morgen war ein schöner Tag, fast nur Geschichte! Dann musste ich die Neuntklassmappen heute noch gar nicht machen. Wenigstens nicht fertig machen. Okay, drei Hefte und dann würde ich über das Ex in der 11 b nachdenken. Attische Demokratie... was sollte ich fragen? Nein, erst die Hefte! Unsinn, zuerst mal was zu essen!

      Ich strich mir ein Leberwurstbrot und füllte den Wasserkocher. Eine Thermoskanne voller Himbeertee war garantiert das Richtige. Und dann würde ich mit den Heften anfangen, ganz bestimmt.

      Es war eine mühsame Arbeit, die allerersten Arbeiten der Fünftklässler strotzten vor Aufbaufehlern und einer mehr als kreativen Rechtschreibung. Auch der Gebrauch von Satzzeichen, den wir doch geübt hatten, war so fehlerhaft, dass ich an meiner Arbeit zu zweifeln begann. Hatte ich den Kleinen so wenig beigebracht? Lieber Himmel, wie mochte dann erst die Schulaufgabe ausfallen! Eine passende Bildergeschichte brauchte ich dafür auch noch. Erst nach den Allerheiligenferien, beruhigte ich mich und griff nach dem nächsten Heft.

      Nach vier Heften hatte ich endgültig die Lust verloren und schon über eine Stunde gebraucht. Wenn das so weiter ging, musste ich morgen mit den Kindern etwas anderes machen, für die Besprechung ihrer Machwerke war ich noch nicht bereit.

      Ich angelte das Geschichtsbuch und meine Unterlagen aus dem Regal neben dem Tisch und überlegte, was ich morgen fragen konnte. Sie sollten die Organe der attischen Demokratie unseren heutigen Gewalten zuordnen... nein, sie brachten die Gewalten ja doch bloß durcheinander. Gerade deshalb! Das war Grundwissen, ermahnte ich mich und schrieb die Frage auf.

      Warum hatte sich die Demokratie als Staatsform langfristig nicht halten können? Das hatten wir ausführlich besprochen. Was versteht man unter Diäten? Wehe, einer schrieb Schlankheitskuren! Was sind Metöken? Und was hielten meine Elftklässler vom exklusiven attischen Bürgerrecht? Was machte ich, wenn sie das gut fanden, weil da nicht so viele Ausländer mitreden konnten? Einen Grundsatzvortrag über die Dummheit solcher Parolen halten? Es taktvoll übergehen? Das musste ich eben riskieren. Ich glaubte nicht, dass sie absichtlich Blödsinn schreiben würden, dazu hatten sie viel zu viel Angst um ihre Noten. Obwohl, so ein Ex – das zählte eigentlich nicht allzu viel. Ich schloss meinen etwas altersschwachen Laptop (vor vier Jahren aus einer Konkursmasse günstig geschossen) an, steckte den Drucker ein und fuhr alles hoch.

      Als ich die Angabe getippt und