Szenenwechsel. Elisa Scheer

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Название Szenenwechsel
Автор произведения Elisa Scheer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783737562959



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antwortete Hilde, „wir spielen was. Wir spielen Ausklammern.“

      „Och nöö!“

      „Och doch. Also: 36 a + 24 b?“

      Mürrisch fügten sie sich, aber dann arbeiteten sie doch einigermaßen willig mit, und nachdem Hilde aus der Sache doch noch ein Spiel gemacht hatte – Wand gegen Fenster – stieg der Eifer weiter an.

      Müde, aber zufrieden verließ Hilde um eins die Klasse.

      Der Vormittagsunterricht war damit beendet, und sie hatte ein Ex und eine Schulaufgabe eingefahren, alles durchgenommen, was auf ihrer Agenda gestanden hatte, einen erbitterten Krieg zwischen zwei Zicken aus der Zehnten geschlichtet (hoffentlich), alles mögliche abgelegt, dem armen Hubert aus der 11 c die Schullaufbahnberatung empfohlen (in der Kollegstufe konnte das nichts mehr werden, und warum sollte er seine schönsten Jahre hier verplempern, wenn die FOS viel eher seine Kragenweite war?), ihr Fach aufgeräumt, etliches weggeworfen, den Hausmeister gebeten, die überquellenden Papierkörbe im Lehrerzimmer auszuleeren und eine anständig große Papierkiste hinzustellen und überhaupt richtig herumgerödelt. Sehr brav!

      Jetzt noch zwei Stunden Nachmittagsunterricht und dann schnell zu diesem Jörgens.

      Zeitverschwendung, wahrscheinlich. Nur, um Tante Marthas silbernes Trachtenarmband oder ihre gesammelten Angélique - Bände zu erben?

      Aber nicht hingehen – das gehörte sich auch nicht. Und vielleicht hatte Tante Martha ja doch so was wie eine Botschaft hinterlassen… Sie hatten sich doch eigentlich immer recht gut verstanden!

      Zwei Stunden Leistungskurs – das war die reinste Freude, denn hier wurden die Hausaufgaben gemacht, hier verstanden alle etwas von Stochastik, und hier dachten auch alle nach, bevor sie redeten.

      Hilde schmuggelte eine Aufgabe unter das Gruppenübungsmaterial, die sie nahezu genauso in der Klausur nächste Woche zu stellen gedachte, und hoffte, es werde eine freudige Überraschung sein. Im Grundkurs konnte sie ja leider sicher sein, dass solche milden Gaben gar nicht bemerkt wurden.

      Schließlich entließ sie die müden KollegiatInnen und packte selbst zusammen. Noch eine kurze Kontrolle – schwarze Samthose, dunkelgrauer Tweedblazer, blassgelbes T-Shirt: in Ordnung. Frisur: ging noch. Gesicht: leichter Glanz. Sie puderte sich von dem winzigen Spiel im Vorraum des Lehrerzimmers und fuhr doch noch einmal mit der Bürste durch die schwarzen Wellen. So, absolut vorzeigbar!

      „Auf die Piste?“, fragte Lilly, die hinter ihr auftauchte. „Am helllichten Nachmittag?“

      „Anwalt. Meine Tante ist doch gestorben, und offenbar kriegen wir noch so was wie eine letzte Botschaft“, erklärte Hilde und überlegte, ob sie Lippenstift – nein, übertrieben. „Da will man ja korrekt aussehen, nicht?“

      „Klar“, meinte Lilly und grinste breit, „du auf jeden Fall. Immer korrekt! Vielleicht erbst du ja auch was?“

      „Kaum. Erben wird meine Mutter. Naja, lange dauern wird es wohl nicht.“

      „Schade. Ich meine, ich würd´s dir wünschen, dass du was erbst. Du kannst doch nicht ewig in diesem Kabuff wohnen!“

      „Tu ich ja auch nicht. In ein paar Jahren kann ich was Größeres anzahlen. Weißt du doch!“

      „Ja, aber wie ich dich kenne, wirst du dir dann den Höllenluxus von eineinhalb Zimmern gönnen. Wie kann man so bescheiden sein?“

      Hilde grinste. „Aber mit separater Küche – das ist nämlich wahrer Luxus! Und vergiss nicht – wenn ich zehn Zimmer bewohne, muss ich ja auch zehn Zimmer putzen. Danke bestens!“

      „Schon mal was von Putzfrauen gehört?“

      „Das finde ich nun wirklich dekadent. Ohne Villa, ohne Kinder – da muss man doch wirklich nicht putzen lassen.“

      „Sehr brav. Sag mal, wenn du jetzt doch was erbst, nimmst du es dann an?“

      Hilde warf Lilly einen nachsichtigen Blick zu. „Klar. Wenn´s nicht gerade die gesammelten Schulden sind. Aber ich wette, ich erbe nichts. Oder bloß irgendwelches scheußliche Geschirr.“

      Lilly streckte die Hand aus. „Wetten wir? Um eine Flasche Prosecco?“

      Hilde schlug ein. „Ich mag Prosecco. Besorg ihn schon mal!“

      Lilly kicherte noch, als Hilde das Lehrerzimmer verließ. Auf dem Parkplatz steckte sie alles Wesentliche in ihr Handtäschchen und verschloss die schwere Schultasche im Kofferraum, dann fuhr sie los.

      Dr. Jörgens residierte dankenswerter Weise in einem gesichtslosen Bau aus den Fünfzigern, der über einen eigenen Parkplatz verfügte. Drei Plätze waren für die Kanzlei reserviert, zwei waren noch frei, und Hilde schlug zu. Sollte der Rest doch schauen, wo er parkte – sie hatte es satt, immer zurückzustecken, weil alle anderen wichtiger/älter/ärmer/kränker/kinderreicher waren. Um die Ecke gab es sicher auch noch Parkplätze! Oder sie stellten sich auf die Plätze, die für die Eisdiele Bella Roma reserviert waren, die hatte doch garantiert sowieso noch nicht eröffnet.

      Dr. Jörgens hatte ein Wartezimmer wie ein altmodischer Zahnarzt – durchgesessene Sesselchen, die nicht zusammenpassten, ein Tischchen mit sehr uninteressanten Zeitschriften und Broschüren (Juristische Rundschau, Erbrecht heute, Die Patientenverfügung) und in der Ecke einen traurig wirkenden Philodendron. Hilde setzte sich in die Ecke, faltete die Hände im Schoß und wartete. Der Blick aus dem Fenster war auch nicht fesselnd, das Zimmer ging auf einen menschenleeren und durchgehend grauen Hinterhof hinaus. Nicht mal malerisch sah das aus, nur nüchtern.

      Kurz nach vier trudelten die anderen ein, nicht ohne irritierte Bemerkungen, dass Hilde es gewagt hatte, sich auf den Parkplatz zu stellen. Martin fasste es dann für alle zusammen: „Lehrer eben, die haben ja genug Zeit, früher zu kommen und die Plätze zu blockieren.“

      Hilde murmelte „Leck mich“ in sich hinein und lächelte falsch. Glücklicherweise wurden sie nun in das Zimmer von Dr. Jörgens gerufen und nahmen in einer Reihe auf recht unbequemen Stühlen Platz.

      Dr. Jörgens äugte in geradezu klassischer Weise über seine Halbbrille und musterte die Familie der Reihe nach: „Ich verlese jetzt das Testament der verstorbenen Martha Willinger, datiert auf den 20.11.2005.“

      „Wieso denn, meine Frau muss doch sowieso alles erben“, nölte Hildes Vater. Jörgens warf ihm einen scharfen Blick zu. „Ganz so ist es auch nicht. Und es gibt eine ganze Reihe von Erben. Darf ich jetzt bitte fortfahren?“

      Gegrummel.

      Jörgens räusperte sich.

      „Das Penthouse in der Avenariusgasse 3 erbt mein Neffe Martin Suttner, dazu eine Summe in Höhe der fälligen Erbschaftssteuer.“

      „Yep!“, machte Martin und reckte glücklich die Faust. Hilde grinste. Ein Penthouse, genau, was der kleine Yuppie sich wünschen musste. Jetzt konnte er bloß hoffen, dass es nicht vermietet war!

      „Die Doppelhaushälfte in der Puellstraße 23 soll meine Nichte Sabine Thießen bekommen, damit ihre Kinder endlich einen richtigen Garten zum Spielen haben. Vielleicht bescheren Sabine und Tobias mir ja postum noch einen Großneffen!“

      Sabine strahlte und warf dann Hilde einen hämischen Blick zu. Gerade, dass sie ihr nicht die Zunge herausstreckte!

      „Auch Sabine bekommt aus der restlichen Erbmasse den Betrag der Erbschaftssteuer.“

      „Was? Das bleibt ja für uns gar nichts mehr!“, entrüstete sich der Vater. „Das fechte ich an! Das muss man ja anfechten! Das ist ja sittenwidrig!“

      „Nicht im Geringsten“, war die kalte Antwort.

      „Meiner Nichte Hilde Suttner vermache ich -“

      O Gott, dachte Hilde, jetzt kommt das Geschirr! Und Papa sah aus, als träfe ihn gleich der Schlag – Hilde auch noch? Und er wurde dem Hungertod preisgegeben??

      „- meine Wohnung am Waldburgplatz, mit allem, was darin ist, außer dem Schmuck,