Szenenwechsel. Elisa Scheer

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Название Szenenwechsel
Автор произведения Elisa Scheer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783737562959



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etwas geschafft! Wenn sie jetzt noch zu Fuß in den dritten Stock – nein, man sollte es auch nicht übertreiben, vier Stockwerke, das war sicher auch ganz schlecht für ihre Gelenke.

      Sie fuhr hinauf, fand, dass die Wohnung nun doch schon etwas besser aussah, trank ein großes Glas Wasser und sah auf die Uhr. Halb sechs. Um Viertel nach war die Wäsche fertig, und dann konnte sie gleich noch eine zweite Ladung hinterherschicken! Sie suchte genügend Kram für eine zweite Tasche zusammen, stellte schon mal das Wäschegestell auf (auch schon recht klapprig) und räumte dann die beiden Fächer über Herd und Spüle aus. Fettverklebte Gewürze, die sie ohnehin nie benutzte (von dem Jahre alten Salatgewürz war mittlerweile wohl ohnehin abzuraten), zwei hässliche und ein schöner Kaffeebecher; der schöne kam ins Spülbecken, zum Einweichen, die anderen beiden in eine neue Mülltüte. Allmählich gingen ihr die alten Einkaufstüten aus. Auch nicht schlecht, dann hatte der Saustall unter der Spüle ein Ende. Müllbeutel von der Rolle waren viel ordentlicher, und von denen hatte sie noch jede Menge. Leider waren die ein bisschen durchsichtig, so dass sie den Müll gründlicher trennen musste.

      Na, für den restlichen Schotter reichten ja wohl die übrigen Supermarkttüten!

      Sie entsorgte noch ein verkratztes Glas und eins mit Sprung, den letzten Teller von diesem unsäglichen röschenverzierten Service (den Rest hatte sie in den letzten Jahren ohnehin zerschlagen), außerdem die Gabel mit dem rosa Plastikgriff, der sich beim Rühren häufig zu lösen pflegte, und die große Rührschüssel, die immer muffig roch, egal, wie heiß und gründlich man sie gespült hatte. Die beiden anderen genügten ja wohl.

      Da sie schon so schön im Schwung war, putzte sie auch noch ihr Besteck und sortierte es ordentlich und Platz sparend in ihre einzige Schublade, so dass Küchenmesser, Dosenöffner, Knoblauchpresse und Sparschäler auch noch dazu passten. Dann spülte sie ab, was bisher geweicht hatte, trocknete ab, verräumte alles, polierte den Edelstahl und putzte die Arbeitsplatte und die fettverklebte Backofentür, nahm die Magneten vom Kühlschrank (die schönen konnten zur Pinnwand neben der Wohnungstür, die doofen kamen ganz weg). Na gut, Tauschbörse, es gab sicher noch Leute, die das Zeug schön fanden. Immer noch erst kurz vor sechs!

      Das Regal sah ziemlich ordentlich aus, auf dem Ablagetischchen neben dem Bett lagen nur ein Buch und das Handy (zum Wecken), und in der kleinen Schublade darunter befand sich ihr Necessaire, sonst nichts. Eigentlich sehr anständig, fand sie.

      Vielleicht sollte sie mal die Fensterfront putzen? Vielleicht lag es ja daran, dass die Wohnung immer noch so unordentlich wirkte?

      Sie räumte ihre Schultasche beiseite, steckte ein herumliegendes Paar Schuhe in den Schrank und überprüfte die Wirkung: Wieder geringfügig besser. Vorläufig reichte das, das Wäschegestell machte einen guten Eindruck ja ohnehin zunichte.

      Sie beschloss, im Bad nach dem Rechten zu sehen, bis die Wäsche endlich fertig war. Dort war aber nicht mehr viel zu tun – noch eine leere Duschgelflasche konnte weg, die Kosmetika räumte sie in den frisch ausgewischten Spiegelschrank (hässlich, aber praktisch), und die Handtücher wurden ordentlicher aufgestapelt.

      Durchwischen konnte sie auch morgen nach der Trauerfeier.

      Sie holte die Wäsche nach oben und startete die zweite Maschine, dann setzte sie sich an den Schreibtisch. Abzulegen war eigentlich nicht mehr viel, und Ordner wollte sie heute nicht mehr entrümpeln, das war eine schöne Aufgabe fürs Wochenende – abgesehen davon, dass sie morgen ja noch zwei Exen schreiben wollte, in der Zehnten in Mathe und in der K13 in Geographie. Da musste sie sich ohnehin beeilen – in zehn Tagen war Notenschluss und dann kam das Abitur…

      Sie entwarf flüchtig die Angaben und klappte dann den Laptop auf. Als die Angaben getippt, Korrektur gelesen und in Klarsichthüllen gesteckt waren, war die Wäsche immer noch nicht fertig.

      Sie trank noch ein Glas Wasser, packte die Schultasche für morgen (und die Handtasche für morgen Nachmittag) und überlegte, wie sie mit der Tatsache umgehen sollte, dass ihre Klamotten überall zwickten – obwohl, heute war ihr das noch nicht so aufgefallen. Wahrscheinlich waren die schwarzen Jeans schon etwas ausgeleiert.

      Auf jeden Fall musste sie etwas unternehmen, sie konnte ja nicht jeden Tag darauf vertrauen, dass die Jeans ausgeleiert waren. Was konnte sie denn unternehmen? Tausend Diäten hatten ihr schließlich nur rund zwanzig Extrakilos eingebracht. Zehn Pfund runter, zwölf rauf, zehn runter, zwölf rauf…

      So dick, dass sie sich den Magen verkleinern lassen musste, war sie zwar bei weitem noch nicht, aber sie schätzte sich selbst auf bestimmt fünfundneunzig Kilo. Und das war eben auch bei einsachtzig zu viel. Deutlich zu viel. Solange man sich damit wohl fühlte, gut – aber sie fühlte sich damit eben nicht wohl. Wenigstens fünfzehn Kilo runter, auf Dauer – damit würde sie sich auf jeden Fall viel besser fühlen.

      Bloß wie das erreichen? Sie kannte auch nur Leute, die entweder von Natur aus normalgewichtig waren oder die so vergeblich wie sie selbst gegen den Speck ankämpften oder denen allmählich alles egal war.

      Die, denen alles egal war, nahmen allerdings nicht weiter zu. Jedenfalls schien ihr das so. Frau Trautenwolf jedenfalls – die hatte gut über zwei Zentner und war kaum einssiebzig – aber so sah sie seit Jahren aus und sie aß den ganzen Tag, und nicht nur Reiswaffeln!

      Niemand hatte erfolgreich abgenommen, kam Hilde frustriert zum Ergebnis. Dann musste sie sich wohl mit ihrer Fülle abfinden. Nicht, dass es dafür nicht auch Interessenten gegeben hätte – aber sich vor einem ausziehen und das Geschwabbel offenbaren? Gotteswillen. Lieber die Nonne spielen. Zeit für einen Kerl hatte sie sowieso nicht.

      Und Sport hasste sie. Höchstens Spazierengehen und ein bisschen Gymnastik zu Radiomusik, aber mehr konnte sie sich wirklich nicht vorstellen.

      So, und jetzt würde sie doch endlich mal die Wäsche raufholen und sich dann mal wiegen. Aber vorher aufs Klo, das gab bestimmt ein Pfund weniger. Oder ein halbes. Naja, zweihundert Gramm oder so.

      Sobald die Wäsche auf dem Gestell hing, das sich nun ziemlich durchbog, entsorgte Hilde unnötiges Wasser und stieg auf die Waage. Dreiundneunzigfünf. Besser als befürchtet. Aber ganz schön viel. Mindestens vier Speckrollen um die Taille!

      Es musste sich eben doch was ändern.

      Was könnte denn funktionieren, sinnierte Hilde, am Stift kauend.

       Wasser trinken. Das war auf jeden Fall gut. Alles andere war entweder künstlich oder natürlich gesüßt.

       Keinen Süßstoff. Keine Light-Produkte.

       Nicht dauernd futtern. Drei Mahlzeiten am Tag.

       Ordentliche Mahlzeiten. Mittags mehr Kohlenhydrate, abends mehr Proteine. Oder so ähnlich. Schaden konnte es nichts.

       Nicht zuviel Fett – aber auch nichts Fettreduziertes.

       Keine Geschmacksverstärker. Scheiß-Glutamat. Da fraß man dann bloß immer weiter.

      Soweit erst einmal. Sie beschloss, das nun etwa zwei Wochen einzuhalten und dann mal zu schauen, ob es genützt hatte. Ein Kilo würde ihr schon gefallen. Alle zwei Wochen ein Kilo… pro Monat zwei… in einem Jahr vierundzwanzig – dann wäre sie im April 2009 nur noch neunundsechzigkommafünf Kilo schwer – bzw. leicht. Nicht übel.

      Aber noch war davon ja gar nichts passiert. Und jetzt sollte sie doch noch etwas essen. Ein prinzipientreues Abendessen – soweit sie überhaupt etwas Passendes im Kühlschrank hatte.

      Kein guter Anblick – ein Glas Gurken, einen Rest uralten Käse, ein bisschen eingeschweißtes Vollkornbrot, einen Joghurt. Der war noch vom März.

      Frustriert aß sie das Brot und einige Gurken und warf den Rest weg, dann trug sie auch diese Mülltüte nach draußen. Danach legte sie sich ins Bett und griff zur Fernbedienung. Was sollte sie schon machen außer Fernsehen?

      FR 18.04.2008

      Die Extemporalien waren