Szenenwechsel. Elisa Scheer

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Название Szenenwechsel
Автор произведения Elisa Scheer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783737562959



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und entfernte sich.

      „Tja…“, machte Hildes Mutter und sah Hilde Verständnis heischend an, „dann war´s das wohl… Bis Montag, Kind. Um vier!“

      Hilde verzichtete darauf, zu erwähnen, dass sie doch eben deshalb gerade den Termin notiert hatte, sagte brav Ciao und entfernte sich langsam.

      „Das Geld können wir gut gebrauchen“, hörte sie ihren Vater noch. „Wenn wir dafür Sparbriefe kaufen, haben wir im Alter doch wenigstens einen Notgroschen!“

      Notgroschen!, dachte Hilde ärgerlich. Er hatte doch schon stapelweise Notgroschen, von dem riesigen Haus mal ganz abgesehen.

      „Und die Kinder?“, wandte ihre Mutter zaghaft ein.

      „Die sollen gefälligst arbeiten, mussten wir ja schließlich auch!“

      Hilde beschleunigte ihren Gang, um diesem Blödsinn nicht länger zuhören zu müssen.

      Sie fuhr nach Selling zurück, streifte kurz durch den Supermarkt und füllte den Wagen nur mit gesunden Waren. Mäßig und gesund, viel spazieren gehen… vielleicht nützte es ja doch etwas? Und keinesfalls eine Mahlzeit überspringen!

      Zu Hause räumte sie alles sorgfältig ein, putzte die Wohnung eher flüchtig durch, warf allerlei in Müll und Altpapier, freute sich an dem puristischen Ambiente, aß eine bessere Kleinigkeit und setzte sich schließlich an den Schreibtisch. Zwei Exen korrigieren, ein Ex entwerfen, eine Schulaufgabe entwerfen, Noten eintragen…

      Gegen neun lehnte sie sich zufrieden zurück – alles geschafft, bis Montag musste sie nichts mehr für die Schule tun. Sie packte alles in die entsprechenden Mäppchen und verstaute diese in ihrer Aktentasche, polierte die Schreibtischplatte und nahm sich dann ihr Konto vor – ein bisschen kaufen, ein bisschen verkaufen…

      Beim Durchforsten des Regals entdeckte sie noch drei Bücher, die sie morgen der Lesefabrik anbieten konnte. Danach fand sie in diversen Taschen noch insgesamt sieben Euro zwölf Cent und ein altes Fünfzigpfennigstück. Ein Kontrollblick in die Kochnische zeigte perfekte Sauberkeit – abgesehen von drei vergessenen leeren Colaflaschen. Hilde packte die Flaschen in eine Stofftasche (wobei sie sich schon arg tugendsam vorkam), trank ein großes Glas Wasser und sammelte noch einigen Müll ein. Dann zog sie ihre alten Turnschuhe an und machte sich auf den Weg zur Containerinsel. Morgen würde sie Flaschen und Bücher loswerden, überlegte sie, als sie zügig durch allerlei Nebenstraßen zurückmarschierte. Ein Seitenblick in ein Schaufenster freute sie aber trotz aller Tugendhaftigkeit nicht: immer noch so feist von der Seite, richtig mit Doppelkinn und Schwabbelwampe! Und dieser Hintern!

      Da musste wirklich was passieren – aber keine Diät, das hatte sie ja schon fest beschlossen. Vielleicht sollte sie noch ein-, zweimal um den Block traben. Täglich natürlich. Und ein bisschen auf den Fettverzehr achten. Und zu Hause ordentlich herumwerken. Bewegungsintensiv.

      Vielleicht auch ein bisschen tanzen – zu Radiomusik. Eine halbe Stunde täglich, abends. Das musste doch drin sein? Man musste doch ohne Diät und ohne so eine dämliche Muckibude zu einer normalen Figur kommen?

      Im Moment kniffen die Jeans nicht, aber die waren ja auch ausgeleiert. Wenn sie direkt nach der Wäsche mal nicht mehr kniffen – das wäre was!

      Gut, drei Pfund bis zum 17. Mai. Das wären dann 92. Und am 17. Juli 89. Und am 17. September 86. Dann würden die Schüler im neuen Schuljahr fragen: „Haben Sie irgendwie abgenommen?“ Nicht aus Interesse, aber sie glaubten sicher, das käme gut an.

      Sie rechnete beim Marschieren weiter, obwohl sie wusste, wie albern das war – am 17. November 83, am 17. Januar 80, am 17. März 77, am 17. Mai 74, am 17. Juli 71, am 17. September 68… Das müsste eigentlich ganz gut aussehen, zu Beginn des Schuljahrs 2011/12. Noch lange hin… zu Beginn also der heißen Phase des Doppeljahrgangs. Aber dann konnte sie die vorhandenen Klamotten noch in Ruhe auftragen…

      Apropos Klamotten – was trug man zum Besuch beim Anwalt? Und wozu mussten sie eigentlich alle dahin? Hatte Tante Martha etwa so etwas wie eine Videobotschaft hinterlassen, die sich alle ansehen mussten? Das konnte sie sich nicht vorstellen, Tante Martha war durchaus lebendig und pfiffig gewesen – aber einen Videorecorder programmieren… oder gar einen Computer verwenden… ein Handy – das war alles nicht ihr Ding. Sie schrieb Briefe mit ihrer schicken elektrischen Schreibmaschine (immerhin!), telefonierte mit dem brokatverhüllten Gerät auf dem Telefontischchen im Flur und guckte Spielfilme dann, wenn sie nach dem Willen der Sender eben kamen.

      Eine Videobotschaft lag also bestimmt außerhalb ihres Fokus. Oder hatte sie den Kindern etwa etwas vererbt?

      Oh Gott! Tante Martha war so nett gewesen – aber dieses schauerliche Zucker- und Sahneset aus verbeultem Silber brauchte sie eigentlich nicht wirklich. Lieber bloß das geniale Album mit all den uralten Familienfotos! Damit waren die nächsten hundert Wochenende gesichert - herauskriegen, wen all diese sepiafarbenen Porträts darstellten, würde Zeit kosten – und Spaß machen.

      Oder ein bisschen Schmuck? Eher wohl die gesammelten ledergebundenen Schmöker vom Buchklub…

      Sie grinste, als sie sich vorstellte, dass ihr Vater den Krempel bekam.

      Nein, Mama erbte die Immobilien und das sonstige Vermögen, Papa nahm es ihr sofort ab und legte es so blöde wie möglich an, Sabine maulte, dass ihre göttlichen Gören nichts bekamen, Martin würde mit seinem Handy herumspielen (und ein Paar Manschettenknöpfe erben, wenn´s hochkam).

      Und sie selbst würde ein Pokerface aufsetzen und ab und zu wichtig auf die Uhr schauen. Eigentlich kein Wunder, dass Sabine regelmäßig ausrastete!

      Im Schaufenster der Rheinland-Apotheke gab es Krempel gegen Cellulite und außerdem allerlei Säftlein und Pülverlein – gegen Übersäuerung, zur Sättigung, extra Ballaststoffe, Appetitzügler… Dass die diesen Mist immer noch verkaufen durften? Und dafür noch Werbung machten? Gut, Basenpulver konnte nützlich sein, aber das würde sie zur Strafe in einer anderen Apotheke kaufen, in einer, die nicht so verantwortungslos Werbung machte.

      Tief befriedigt von ihrer konsumkritischen Einstellung machte Hilde sich auf den Heimweg – ein paar Schritte joggte sie sogar, als gerade niemand hersah.

      Freitagabend. Alles aufgeräumt, alles korrigiert, gelaufen (hach, wie gut das klang!) – jetzt hatte sie sich was verdient. Aber was?

      Am einfachsten wohl einen Spielfilm. Nachdem sie mit der Gesamtsituation völlig zufrieden sein konnte, bot sich wohl Der Schuh des Manitu an. Die Aussicht beflügelte sie, und wenige Minuten später konnte sie sich schon auf ihr durchgesessenes Sofa fallen lassen und zur Fernbedienung greifen.

      MO 21.04.2008

      Ein herrliches Wochenende, dachte Hilde zufrieden, als sie in der Klasse stand und aufpasste, dass im Ex nicht (oder wenigstens nicht so auffällig) gespickt wurde.

      „Isabel! Nicht schielen!“

      Isabel kicherte und starrte wieder betont auf ihr eigenes Blatt. Seufzen, Schnaufen, das Klappern, wenn jemand im Mäppchen nach dem Tintenkiller suchte, zwischendurch der angstvolle Aufschrei: „Wie lang noch?“.

      Hilde passte auf und schaute ab und zu aus dem Fenster in das junge Grün. Vor der Schule stritten sich zwei Kollegiaten um den letzten Parkplatz, von hinten näherte sich die Müllabfuhr und von vorne die Paketpost. Gleich ging das Gehupe wieder los.

      „Noch zwei Minuten“, verkündete sie.

      „Nein!“

      „Viel zu wenig Zeit!“

      „Noch fünf Minuten mehr!“

      „Zwei Minuten“, verkündete Hilde unbeirrt. Seufzen im Saal. Noch herrschte draußen Ruhe.

      Hilde schritt einmal durchs Zimmer, guckte, was Thomas und Timo geschrieben hatten (die deckten ihre Machwerke sofort ab), sagte: „Letzte Minute“, kehrte nach vorne zurück, fixierte den Sekundenzeiger und sammelte nach einigen Anstandssekunden ein.

      Aufgeregtes Geplapper,