Szenenwechsel. Elisa Scheer

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Название Szenenwechsel
Автор произведения Elisa Scheer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783737562959



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in verschiedenen Brauntönen.

      Von außen sehr ansehnlich, fand Hilde. Der Notar ließ noch auf sich warten, also betrachtete sie sich in aller Ruhe die Fassade, danach das Klingelschild (kein Tesafilm, keine Plastikschildchen, alles sehr gepflegt. Wahrscheinlich hoher Eigentümeranteil, überlegte sie fachkundig) und schließlich den streng angelegten Vorgarten - Buchsbaum, Rasen, ein Kirschbäumchen.

      Schließlich öffnete sich hinter dem Kirschbäumchen ein Fenster und Küchenschwaden wehten hinaus. Ihnen folgte eine unfreundliche Stimme: „Was machen Sie da?“

      „Ich warte auf jemanden“, gab Hilde höflich Auskunft.

      „Aber nicht hier, sonst hole ich die Polizei!“, blaffte die Stimme zurück.

      „Tun Sie das, ich warte hier“, entgegnete Hilde, nun doch leicht gereizt. Was fiel dem Kerl eigentlich ein – oder war das eine Kerlin? Die Stimme lang irgendwo dazwischen.

      „Hier ist Sperrbezirk!“ wurde sie nun informiert. Da konnte sie ja nur noch den Kopf schütteln. War der blind? Sah sie aus, als könnte sie sich so ihr Geld verdienen?

      „Ich bin die Nichte von der Frau Willinger“, rief sie in Richtung Küchenfenster, um für etwas mehr Vertrautheit zu sorgen.

      „Dann haben Sie hier erst recht nichts mehr zu suchen, die Willinger ist nämlich tot“, war die charmante Antwort.

      „Das weiß ich. Ich habe die Wohnung geerbt.“

      Ein schrilles Kreischen war die Antwort. Großer Gott! Hysterischer Anfall? Ältlicher Papagei? In diesem Moment hörte sie hinter sich eine Autotür klappen. Jörgens kam den kurzen Weg durch den Vorgarten entlang.

      „Geerbt?“, kreischte es aus dem Fenster. „Geerbt? So ein junges Flitscherl? Das war immer ein anständiges Haus!“

      „Jetzt hoit hoit dei Bapp´n“, plärrte es aus dem ersten Stock, „oida Depp!“

      Ein Lockenwicklerkopf erschien neben der halbgerafften Spitzengardine. „Nix für ungut, Fräulein!“

      Während erster Stock und Erdgeschoss sich weiter bepöbelten, schloss Jörgens die Haustür auf und ließ Hilde eintreten. Das Treppenhaus war kühl und halbdunkel und roch nach Bohnerwachs. Im Hintergrund bohnerte auch jemand.

      „Grüß Gott, Frau Remmel“, sagte Hilde artig, als sie die Hausmeisterin erkannte.

      „Ach, Fräulein Suttner. Mei, so schad, gell? Die arme Tante… Beileid, gell?“

      „Danke schön, Frau Remmel. Jetzt werde ich hier wohl wohnen.“

      „Ah, gehns weiter, wirklich? Mit dem Herrn Ohlmann werden´s aber keine Freude haben, der mag keine jungen Dinger.“

      „Ist das der Herr im Erdgeschoss, der eben aus dem Fenster gekeift hat? Der ist mir früher noch nie aufgefallen.“

      Frau Remmel erlaubte sich ein Grinsen. „Der is´. Furchtbar, aber was soll man machen?“

      „Ist das ein Mieter oder ein Eigentümer?“, schaltete sich Dr. Jörgens ein.

      Das wusste Frau Remmel aber auch nicht, nur dass Herr Ohlmann schon seit Jahren hier wohnte. Jörgens wandte sich Hilde zu und zuckte die Achseln. „Den werden Sie wohl ertragen müssen.“

      Hilde zuckte ebenfalls die Achseln. „Ohren auf Durchzug und bei Bedarf eine Beleidigungsklage. Schauen wir uns die Wohnung an?“

      Sie winkte Frau Remmel zu, die weiter bohnerte, und stieg die elegant geschwungene Steintreppe hinauf in den ersten Stock. Hier gab es zwar einen Lift, hatte sie festgestellt, aber in den ersten Stock schaffte sie es wohl gerade noch so. Das konnte sie langfristig einige Kilos kosten. Auch nicht schlecht.

      Dr. Jörgens schloss die Wohnung auf, und ihnen schlug aus dem Dämmerlicht muffige Luft entgegen.

      „Können wir mal lüften?“, fragte Hilde, während sie sich im Flur umsah.

      Dr. Jörgens eilte in ein Zimmer, das Hilde für das Arbeitszimmer hielt (wozu hatte Tante Martha eigentlich ein Arbeitszimmer gebraucht?), und riss ein Fenster auf. Hilde ließ den Blick schweifen. Links das Arbeitszimmer, daneben das Wohnzimmer. Das kannte sie gut – riesig, etwas düster, völlig überfüllt. Hier hatte sie oft mit Tante Martha gesessen. Daneben die Küche – auch mit Zugang zum Balkon - , dann kam das Bad, dann das Schlafzimmer und dann dieses etwas fiese Gästebad, um das Tante Marthas Putzfrau anscheinend gerne einen Bogen gemacht hatte. Der Flur war relativ groß, auf dem schwarzen Steinboden lagen verschiedene Teppiche, die Hilde nicht gefielen; wo immer es ging, standen Kommödchen, Tischchen und Schränkchen. Was da wohl alles drin war? Über der größten Kommode hing ein fetter in Gold gerahmter Spiegel. Den würde sie nicht behalten, das war schon mal klar. Zwischen den Möbeln standen und lagen Stühle, Taschen, Tüten… Hilde seufzte innerlich. Da würde sie noch ordentlich was auszumisten haben!

      Dr. Jörgens kam aus dem Zimmer linker Hand zurück und zuckte zusammen, als im Treppenhaus wüstes Geschrei ertönte. Mehr als „G´schwerl“, „ein Wort mitzureden“ und „kommt gar nicht in Frage“ war nicht zu verstehen – aber Hilde war klar, dass sich da Ohlmann gegen eine Hausbewohnerin unter siebzig wehrte. Ziemlich vergeblich allerdings.

      „Kein angenehmer Nachbar“, murmelte er. „das tut mir ehrlich Leid.“

      „Mit dem werde ich schon fertig“, meinte Hilde optimistisch. „Sie möchten die Wertgegenstände aufnehmen, nicht? Für meine Mutter?“

      „Nur den Schmuck“, versicherte Jörgens. „Teppiche, Porzellan und so weiter gehören zum Inventar. Ich nehme es nur überschlägig auf, damit der Gesamtwert und damit die Erbschaftssteuer bestimmt werden können.“

      „In Ordnung. Kann ich Ihnen dabei helfen oder soll ich mich einfach so mal umschauen?“

      „Sehen Sie sich nur um. Ich kann mir schon denken, wo sich Wertgegenstände befinden.“

      Hilde begann im Arbeitszimmer, sobald sie sich in die schwarzbraune Pracht traute. Schwere Regale, ein wuchtiger Schreibtisch, ein ebenso wuchtiger Stuhl… alles vollgestopft und mit Papieren, Zeitschriften und undefinierbarem Kram bedeckt. Das Zimmer war etwa drei mal fünf Meter groß und hatte die Fenster auf der Längsseite, schöne Fenster mit dunklen Sprossen. Die Spitzenstores mit den üppig über der Gardinenstange drapierten Gazewolken waren allerdings grauenhaft.

      Hilde kam sich schon vor wie ein Henker, der diesen und jenen zum Tode verurteilt. Immerhin hatte Tante Martha das alles doch geliebt…

      Aber sie hatte auch gewusst, dass Hilde anders dachte, sie hatte ja oft genug gesagt: Tante Martha, tu doch diese grässlichen Stoffwolken weg, es ist doch schade um die schönen Fenster! Und Tante Martha hatte gelacht.

      Hieß das jetzt nicht: Hilde, mach mit der Wohnung, was du willst? Und schmeiß als erstes diese Gardinen raus? Genau das hatte sie gewollt, beschloss Hilde, und nahm ihre kritische Wanderung wieder auf.

      Im Wohnzimmer traf sie auf Dr. Jörgens, der eine Schublade in der Schrankwand aufgezogen hatte und leise murmelnd hineinspähte. Von der Seite sah sie Silber funkeln. Alles, was zu einem gepflegten Bürgerhaushalt gehörte – sicher gab es irgendwo auch noch ein vollständiges Service für zwölf Personen – Meißen oder Nymphenburger. Naja, nicht ganz. Fürstenberg oder Thomas, vielleicht auch Rosenthal. Und das ihr, die gerade mal vier knallblaue Steingutteller und zwei Kaffeebecher, blau und weiß geringelt, besaß, und Blechbesteck mit blauen Plastikgriffen für vier Personen. Ob sie das jetzt wegwerfen sollte?

      Das Wohnzimmer war etwa vier mal acht Meter groß, und die ganzen fensterlosen acht Meter lang lief eine Regalwand aus sehr dunklem Holz, sehr gerade, sehr eckig, mit einigen Schubladen und drei unregelmäßig verteilten kleinen Schrankfächern – und alles voller Bücher, Zeitschriften, Schächtelchen, Nippes.

      An der einen Schmalseite eine schwere Sitzlandschaft, mit cognacfarbenem Leder bezogen und mit Kissen in den grausigsten Mustern bedeckt, an der anderen Seite, die auf den Balkon blickte, eine Essecke aus Mahagoni - Thonetstühle und ein ausziehbarer