Szenenwechsel. Elisa Scheer

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Название Szenenwechsel
Автор произведения Elisa Scheer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783737562959



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– der Suttner-Overkill!) Da sollte sie sich noch etwas Nettes einfallen lassen. Und für die Intensivierung vielleicht eine kleine Bruchrechenolympiade…

      Also ab an den Schreibtisch!

      Als sie ein doppelseitiges Blatt mit abwechslungsreichen Aufgaben hatte (mit eingebauten Rechenwitzen und dem Lösungswort „Champion“, zog es sie wieder an den Kleiderschrank. Nein, der war perfekt ausgemistet, da konnte nichts mehr weg, es sei denn, etwas wurde ihr zu weit.

      Sie holte sich Zettel und Stift und notierte – eine Kiste für die Klamotten, fünf für das Regal, Ordner, Bücher und Kram. Zwei für den Küchenkram. Im Schrank war kaum noch etwas Essbares, gerade noch eine Packung Expressreis. Im Gefrierfach fand sie noch einen Rest Pfannengemüse und kippte ihn mit dem Reis in eine Pfanne.

      Besser als nichts, fettarm, gesund – und weg musste es auch. Sie wischte eher flüchtig durch die Fächer, rührte die Pfanne um und überlegte, dass sie eigentlich nur noch den Keller ausmisten musste – und darauf hatte sie jetzt gar keine Lust.

      Nach dem Essen (berauschend schmeckte es nicht, aber das Gefühl, gesund gespeist zu haben, gab eben doch einen gewissen Kick) fuhr sie in den Keller hinunter, einige Mülltüten unter dem Arm.

      Hm. Wahrscheinlich konnte das alles weg, dachte sie, als sie sich den Verhau betrachtete.

      Nun gut, Tüte eins!

      Was war denn in der Schachtel, die da so gefährlich auf einem absolut schauerlichen Lampenschirm thronte?

      Sie angelte sich die Schachtel, die sich als eine recht brauchbare schwarze IKEA-Box entpuppte, und nahm den Deckel ab.

      Aha: Ein ziemlich hässlicher Kaffeebecher mit einem Firmenlogo, das ihr gar nichts sagte. War sie hier denn im falschen Keller?

      Nein, das Zeug in der anderen Ecke kam ihr verdammt bekannt vor. Der Kaffeebecher gehörte also auch ihr – aber ein geflügeltes Haus in lila auf einem rosa Becher?

      Oh ja, das war der schreckliche Fitnessclub gewesen. Zweimal hatte sie sich aufgerafft, dann war sie wieder zu faul geworden. Weg damit. Weg auch mit der verstaubten Stoffmaus, der Dose, in der sich nur übrig gebliebene Passfotos befanden (schwarzweiß und mit breitem Grinsen, also völlig unbrauchbar), einer Häkelnadel samt pistazienfarbenem Chenille (hundert Gramm, offenbar im Wahnsinn erworben), einem pseudosilbernem Fotorahmen, mittlerweile blind und verfleckt, immer noch mit der mitgelieferten Achtziger-Jahre-Schönheit darin und einem Päckchen Spielkarten, verdächtig dünn. Hilde blätterte es rasch durch – tatsächlich, keine Asse, keine Damen. Was sollte das wohl?

      Egal, ab in den Müll.

      Der Lampenschirm konnte auf den Wertstoffhof. Nachher gleich in den Kofferraum! Darunter kam eine Reisetasche zum Vorschein. Pseudolackleder aus Plastik, knallblau mit pink eingefassten Kanten und irgendwie wurstartig. Allein das qualifizierte das Ding schon für den Müll. Hilde zog nicht ohne Misstrauen den Reißverschluss auf.

      Interessant! Ein brauner Tweedblazer mit Lederknöpfen. Gar nicht hässlich. Passte er?

      Nein. Er kniff grausam. Aber eines Tages? Wenn man ihn reinigte, so dass er nicht mehr so nach Keller müffelte… Vielleicht konnte man ihn sogar selbst waschen… Nein, lieber Reinigung. Aber aufheben!

      Braune Cordjeans. Größe 32/34 sagte das Schild im Inneren. Naja. Aufheben.

      Ein unglaublicher Pullover, in den offenbar die Motten gekommen waren. Weg. Halt, war der Blazer mottenfrei? Offenbar ja, das Etikett wies ihn als Mischgewebe aus Wolle, Baumwolle und ein bisschen Kunstfaser aus – das mochten Motten nicht. Gut, langfristig konnte er ihre Garderobe vielleicht bereichern.

      Ein Kopfkissenbezug, rostrot mit gelben Zacken. Wann hatte sie denn das gekauft – und vor allem, warum? Und warum hatte sie zwar den Deckenbezug – zu Recht - entsorgt, den Kissenbezug aber nicht? Litt sie an Amnesie?

      Auf jeden Fall: Müll.

      Mehrere einzelne Socken, an den Fersen verdächtig dünn.

      Müll.

      Ein Sweatshirt. Sauber, anständig, hässlich. Fliederfarben! „Lila, der letzte Versuch“, murmelte Hilde vor sich hin und verstaute das unansehnliche Ding in der Tüte für den Altkleidercontainer.

      Ein Seidentuch, mit den üblichen affigen Poppermotiven bedruckt: Sättel, Zaumzeug, Pferdeköpfe, Hufeisen. Schwarz, weiß und gold. Gar nicht hässlich. Muffig, ja, aber ohne Löcher oder Flecken und für manche Gelegenheiten vielleicht ganz nett. Sie legte es auf den Blazer und schüttelte die Reisetasche aus: Leer. Und scheußlich! Sie stopfte alle Müllopfer hinein und zog den Reißverschluss zu.

      So, jetzt noch eine Tüte voller Papierkrempel, das musste für heute reichen.

      Mühsam arbeitete sie sich nach hinten durch, wo ein wackliges Regal stand, und nahm sich das oberste Fach vor. Naja, lauter Mist, aber zu schade zum Wegwerfen. Bücherbörse im Wertstoffhof, beschloss sie, für die Lesefabrik waren sie zu schmuddelig und abgestoßen. Rund dreißig mindere Bände passten in die Tüte, aber sie packte gleich noch eine zweite Tüte. Damit war das Regal fast schon zur Hälfte leer.

      Wenn sie in den nächsten Tagen fleißig weiter Tüten entsorgte, war der Keller bestimmt leer, wenn es ans Umziehen ging!

      Sie schleifte die Tüten nach draußen und packte sie mitsamt dem Lampenschirm in den Kofferraum, dann landete die blaue Plastikwurst in der Mülltonne. Zufrieden klopfte sie sich den Staub von den Händen und fuhr wieder nach oben.

      Wetten, die anderen hatten nicht so eine Übersichtlichkeit in ihren Behausungen? Von Jenny wusste sie ja (und auch aus Kindheitserinnerungen), wie schlampig Martin war – und Sabine machte zwar viel Wind, aber nicht gerade viel Ordnung. Große Klappe („Ich bin schließlich Mutter“ – wenn sonst schon nichts) und nichts dahinter.

      Aber sie selbst – ein Muster an Effizienz.

      Naja, wenn sie das wäre, wöge sie nur die vorgeschriebenen 62 Kilo und nicht dreißig Kilo mehr. Und wahrscheinlich hätte sie sich dann bereits eine anständige Wohnung erspekuliert und wäre nicht auf Tante Marthas Erbe angewiesen.

      Ach, egal. Der Umzug würde sie bestimmt ein paar Pfund kosten, und wenn sie weiterhin viel Wasser trank und genügend schlief, dann schaffte sie bis zum Umzug vielleicht auch noch zwei, drei Kilo – je nachdem, wie viel Zeit sie noch hatte. Und dann könnte der Blazer vielleicht ja doch schon passen – zur Not.

      Oben packte sie den Blazer in eine Tüte für die Reinigung, warf die Cordjeans in den Wäschekorb und weichte das Seidentuch im Waschbecken ein.

      Sollte sie sich noch einmal wiegen? Am Freitag waren es 93,5 gewesen – heute war Montag. Und so viel hatte sie auch noch nicht geschuftet. Morgen früh, beschloss sie. Ohne Kleider und ohne unnütze Körperflüssigkeiten.

      Sie packte ihre Tasche für morgen und verzog sich ins Bett, sehr zufrieden mit diesem Tag.

      DI 22.04.2008

      Natürlich grinste Lilly so breit wie möglich, als Hilde ihr von der Erbschaft erzählte, und Hilde eilte in der Freistunde in den Deli gegenüber und kaufte die teuerste Proseccoflasche, die sie dort hatten, eine in affigem Blau und mit diversen Paketschnüren und Siegelwachs aufgemotzt. Hoffentlich schmeckte er auch anständig! In der zweiten Freistunde legte sie fertig eingesammelte Exen ab, schrieb ein Memo für Dr. Eisler und plante mit Luise Wintrich eine Strategie, wie man Carola Zöllner unschädlich machen konnte, die als Lehrerin völlig unfähig war, die Klassen anschrie oder vor ihnen unvermittelt in Tränen ausbrach, ihre Fächer nicht beherrschte, fehlerhaft korrigierte und auch im Lehrerzimmer zu hysterischen Ausbrüchen neigte. Sie diskutierten, ob man ohne Dr. Eisler damit fertig werden konnte, beschlossen aber doch, ihn einzubeziehen und ihn zu bitten, der Zöllner eine Behandlung anzuraten – es sah ja schließlich so aus, als leide sie an einer seelischen Störung.

      Unterrichten sollte sie aber nicht mehr, die Klassen waren ja schon völlig durch den Wind und hatten obendrein gewaltige Stoffrückstände.

      „Vielleicht ist es auch bloß Liebeskummer“,