Die Erbschaft. Elisa Scheer

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Название Die Erbschaft
Автор произведения Elisa Scheer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783737555173



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dicht). Christian hatte damals darauf bestanden, sein Büro mit Designerstücken einzurichten, als vertrauensbildende Maßnahme. Den Vorraum natürlich nicht!

      Hier schien eine weniger strenge Hierarchie zu herrschen, und der Mann, der sich hinter dem Schreibtisch erhob und uns beiden die Hand schüttelte, sah ziemlich zerzaust aus. Der Anzug saß schief und war zerknittert (zweitklassiges Tuch, hätte Christian jetzt abfällig notiert), die Krawatte (Polyester, das sah auch ich sofort) war gelockert und die Brille vor den freundlichen Augen war nicht vom angesagten Optiker, sondern eher von der Krankenkasse. Der Mann war mir sofort sympathisch. „Frau Ulitz? Schön, dass Sie so bald kommen konnten. Sicher sind Sie schon recht neugierig?“

      „Das kann man wohl sagen“, stimmte ich zu. „Wenn man bedenkt, dass ich überhaupt keine Familie habe, kann ich ja nur gespannt sein, wann sich herausstellen wird, dass es sich hier um einen Irrtum handelt.“

      Er zwinkerte und fuhr sich durchs Haar, bis die spärlichen grauen Reste noch wilder abstanden als vorher. „Ich glaube nicht, dass hier ein Irrtum vorliegt. Sie sind doch Sarah Ulitz, geboren am 7.10.1971, wohnhaft Philippinengasse 26?“

      „Ja, bloß die Adresse stimmt nicht mehr.“

      „Ach ja? Würden Sie mir Ihre derzeitige Anschrift angeben?“

      „Sie wohnt jetzt bei mir“, schaltete Cora sich ein und gab Namen und Adresse an.

      „Sicher nur vorübergehend“, murmelte er beim Schreiben. „So lange sie möchte!“, gab Cora scharf zurück.

      Er sah auf und zwinkerte wieder. „Natürlich!“ Hatte er eigentlich einen Tick? Dieses dauernde Zwinkern war etwas irritierend, fand ich. „Nun, es geht um das Testament Ihres Großvaters, Frau Ulitz.“

      „Das kann doch gar nicht sein, der muss doch schon ewig tot sein!“, antwortete ich verblüfft. „Und warum sollte er der Familienschande irgendwas hinterlassen?“

      „Familienschande?“ Der Anwalt schlitzte feierlich einen versiegelten Umschlag auf. „Er hat meine Mutter rausgeschmissen, als ich unterwegs war. Dann wird er mir jetzt gerade irgendwelchen Krempel vererben. Na, vielleicht exakt einen Euro, um mich von der Straße fernzuhalten. Sicher hat er gedacht, wie die Mutter, so die Tochter.“ Mein Ton klang mir selbst bitter in den Ohren. Der Anwalt räusperte sich. „Wir werden sehen. Ich würde Ihnen trotzdem gerne das Testament vorlesen. Ihr Großvater ist übrigens erst vor zwei Wochen verstorben, Herzinfarkt.“

      „Tun Sie, was Sie nicht lassen können“, murrte ich, „aber wenn er Unverschämtheiten über Mutti reingeschrieben hat, dann gehe ich sofort!“

      „Das bleibt Ihnen unbenommen“, allmählich klang er leicht gereizt, „aber ich mache hier auch nur meine Arbeit.“

      „Entschuldigung, ich höre zu“, murmelte ich und nahm mir vor, ruhig zu bleiben. Was sollte schon passieren?

      Er entfaltete einen großen Bogen.

       „Dies ist das Testament und der letzte Wille des Hermann Joseph Ulitz, geboren am 15. 05.1924. Im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte vermache mich mein komplettes Vermögen, bestehend aus der Wohnung Sophienstraße 12 samt Inventar und meinen Konten und Wertpapierdepots, meiner Enkelin Sarah Ulitz, geboren am 07.10.1971.“

      Cora neben mir keuchte überrascht, ich war zu gar keiner Reaktion mehr fähig. Das war doch wohl ein Hörfehler gewesen! Der Anwalt warf uns einen prüfenden Blick zu und las weiter.

      „Begründung: Eigentlich hätte meine Tochter Annemarie Ulitz Nutznießerin des Testaments sein sollen. Ich habe sie damals sehr hart behandelt, als ich ihr jede Unterstützung verweigerte. Trotzdem hat sie es geschafft, ihr Kind anständig großzuziehen, was Respekt verdient. Da sie nicht mehr lebt, kann ich nur meiner Enkelin zeigen, dass ich heute in einer vergleichbaren Situation anders handeln würde – und nicht nur, weil sich die Moralvorstellungen seit 1971 grundlegend gewandelt haben.

       Ich bitte meine Enkelin, die Erbschaft nicht aus übertriebenem Stolz abzulehnen, sondern mir die Möglichkeit zu geben, etwas wieder gut zu machen, was mich schon lange belastet.

       31.12.1998 Hermann Joseph Ulitz.“

      „Die Unterschrift wurde in meiner Gegenwart eigenhändig geleistet, somit ist das Testament rechtsgültig“, stellte der Anwalt noch fest und faltete den Bogen zusammen. Ich saß ganz benommen da und starrte vor mich hin. Cora sah den Anwalt an und sagte nur „Wahnsinn!“ Er lachte kurz. „Frau Ulitz, nehmen Sie die Erbschaft an?“

      Ich schreckte hoch. „Was? Ich weiß nicht. Ja – nein. Kann ich Sie was fragen?“

      „Aber natürlich. Sie dürfen mich gerne als Ihren Rechtsbeistand betrachten. Ich bin schließlich auch der Testamentsvollstrecker. Was möchten Sie wissen?“

      „Wie kann er mir eine Wohnung vermachen? Heißt das, ich kann in den Mietvertrag einsteigen? Da müsste ich erst mal wissen, ob ich mir die Miete überhaupt leisten kann.“

      „Nein, Sie würden nicht einen Mietvertrag übernehmen, das ginge ja ohne Zustimmung des Vermieters gar nicht. Es handelt sich um eine Eigentumswohnung.“

      „Oh, tatsächlich.“ Ich überlegte. „Wie hoch sind die monatlichen Belastungen?“ Christian hatte ja immer herumgejammert, dass die Hypothekenzinsen für Büro und Wohnung seinen ganzen Gewinn auffraßen.

      „Nun, das Wohngeld eben, ich schätze, das dürften so um die zweíhundert Euro im Monat sein. Ansonsten ist die Wohnung schuldenfrei. Ihr Großvater war kein armer Mann, Frau Ulitz, alleine seine Wertpapiere dürften sich auf rund eine halbe Million Euro belaufen. Gewiss, Sie werden Erbschaftssteuer zahlen müssen, und auch von uns wird eines Tages eine Rechnung kommen, genauso vom Grundbuchamt, aber Sie werden sich diese Wohnung auf jeden Fall leisten können.“

      Das klang fantastisch, aber völlig unglaublich. „Was muss ich denn dafür machen?“, fragte ich misstrauisch.

      „Einige Unterschriften leisten. Den Kontakt mit den Ämtern nehmen wir Ihnen gerne ab.“

      „Das hab ich nicht gemeint. Bei solchen Testamenten gibt es doch immer irgendwelche Auflagen, oder? Dass man einen Mops pflegen muss oder bestimmte Leute bei sich aufnehmen oder so was.“

      „Du liest echt zuviel Mist“, murmelte Cora neben mir, und der Anwalt lächelte wieder, diesmal eindeutig nachsichtig. „Nichts dergleichen. In der Wohnung lebt zwar ein Untermieter, aber dem könnten Sie sofort kündigen, wenn er Ihnen unangenehm ist.“

      „Die Wohnung ist also vermietet?“

      „Nein, er bewohnt nur ein Zimmer und benutzt das Gästebad. Er wohnt noch nicht lange dort, seit einem halben Jahr etwa, und er rechnet wohl auch mit einer Kündigung Ihrerseits. Möchten Sie die Wohnung besichtigen?“

      „Das sollte ich wohl“, murmelte ich schwächlich. „Mensch, Sarah, du hast jetzt eine Wohnung! Ist doch toll, oder?“

      „Ja, toll“, echote ich benommen. „Wie groß ist die Wohnung eigentlich?“, fragte Cora, die meinen schwachen Auftritt offenbar nicht länger ertragen konnte.“

      „Sechs Zimmer, Küche, drei Bäder, Südbalkon in den Hof hinaus. Das Haus wurde erst vor wenigen Jahren komplett saniert, Leitungen, Heizung und so weiter entsprechen den strengsten Normen; Sie fangen sich also keine denkmalgeschützte Ruine ein, wenn es sich auch um einen eleganten Altbau handelt.“

      „Ich kann doch in so was nicht wohnen“, protestierte ich kleinlaut, „das ist doch viel zu groß! Das kann ich mir nicht leisten, ich hab gerade meinen Job verloren und erst nach Ostern wieder eine Aushilfsarbeit gefunden.“

      „Wenn Ihnen diese Wohnung zu groß ist, können Sie den Haushalt Ihres Onkels natürlich auch auflösen und die Wohnung dann teuer vermieten. Von dem, was Sie Ihnen einbringen wird, können Sie sich leicht etwas Übersichtlicheres leisten, wenn Ihnen sechs Zimmer zu viel sind.“

      Cora schnaubte neben mir. „Man kriegt auch sechs Zimmer locker voll!“