Die Erbschaft. Elisa Scheer

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Название Die Erbschaft
Автор произведения Elisa Scheer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783737555173



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gewesen, wenn ich ab und zu auch mal eigene Positionen vertreten hätte? Oder hätte ihn das nur irritiert? Hätte ich auch mal auf meine eigenen Interessen achten sollen? Hatte ich denn überhaupt noch eigene Interessen gehabt? Was war mir bis gestern so durch den Kopf gegangen? Der Haushalt, die Arbeit, Christians Erfolg, die Hoffnung, dass er mich eines Tages heiraten und ich Kinder von ihm haben würde... Wie ich mit den knapp dreihundert Euro, die mir im Monat so blieben, eine Garderobe und ein Auftreten finanzieren konnte, die Christian keine Schande machten, wie ich ihm das Leben angenehm machen konnte.

      Wenn ich einen Mann hätte, der sich nur nach meinen Interessen richtete – würde mir das gefallen? Nein, das wäre sterbenslangweilig. Hatte Christian sich mit mir gelangweilt? Warum hatte er nichts gesagt? Er wusste doch, wie bereitwillig ich mich ihm zuliebe geändert hätte, vor fünf Jahren hatte ich mich schließlich auch ummodeln lassen.

      Oder war das gerade das Langweilige, dass ich auch nur widerborstig geworden wäre, weil er das gewollt hätte? War ich zu fügsam? Meine Gedanken drehten sich im Kreis. Wie hätte ich sein müssen, um Christian auf Dauer zu fesseln? Rätselhafter? Unberechenbar? Aber wenn ich gelegentlich mal widersprochen hatte, hatte er nicht unbedingt begeistert reagiert, eher genervt, und mir in seinem überlegenen Tonfall erklärt, warum meine Ansicht nicht richtig war. Dann hatte ich wieder nachgegeben, weil er ja ohnehin besser Bescheid wusste. Wie hätte ich in dieser Situation reagieren müssen, um sein Interesse zu wecken? Schwer zu sagen...

      Als Cora an meine Tür klopfte, wachte ich nur mühsam wieder auf. War ich doch tatsächlich eingeschlafen! Und ich hatte einen seltsamen Traum gehabt, in dem eine sehr zickig aussehende Frau einen Kinderwagen herumschob. Ob das die stilvolle Charlotte war? Ich hatte ja keine Ahnung, wie sie wirklich aussah. Cora klopfte wieder und trat ein. „Gut, du bist wach! Ich hab mir schon Sorgen gemacht, weil du nicht geantwortet hast. Gut geschlafen?“

      „Geht so. Ich glaub, ich hab von der Edeltussi geträumt. Dabei kenn ich die überhaupt nicht!“

      „Das lässt sich ändern!“ Coras dunkle Augen funkelten aufgeregt. „Wir kriegen das alles noch raus, pass bloß auf.“

      „Nein, das will ich nicht, das macht man nicht. Und nachher denkt Christian nur, ich trauere ihm noch nach. Der ist eingebildet genug.“ Ich dehnte und reckte mich und kletterte aus dem Bett. Cora musterte mich. „Schönere Wäsche brauchst du auch mal. Wer hat dir denn diesen schlichten hautfarbenen Kram eingeredet?“

      „Dreimal darfst du raten“, antwortete ich müde und öffnete den Kleiderschrank.

      „Ist ja nicht auszuhalten! Wetten, die Edeltussi hüllt sich in Seide und Spitze?“

      „Wahrscheinlich. Die muss ja wohl auch nicht mit dreihundert Euro im Monat die Dame von Welt spielen.“

      Cora stand auf. „Was hast du für eine BH-Größe?“

      „75 B, warum?“

      „Ich hab eine Garnitur, da sitzt bei mir der BH ein bisschen schief, und zum Wegschmeißen ist sie zu schade. Jetzt werde ich sie endlich los – hoffentlich!“ Sie eilte aus dem Zimmer und war nur ein Blinzeln später wieder da, mit einer Handvoll champagnerfarbener Seide und grauer Spitze.

      „Das sieht ja toll aus! Und das willst du nicht mehr?“

      „Nein, ich hab schon ewig an den BH-Bügeln herumgebogen, aber sie sind mir an den Seiten zu eng. Bitte, schaff mir das Zeug vom Hals, ich kann es doch nicht in die Altkleidersammlung werfen!“

      Wer konnte da widerstehen? „Gerne. Aber vorher dusche ich erst noch mal, ja? Nach dem Schlafen brauche ich das.“ Als ich zurückkam, probierte ich die Garnitur – sie saß wie angegossen und ich fühlte mich richtig verrucht, obwohl an der Wäsche nichts Aufreizendes war, kein Stringtanga oder sonstige Erotikdetails. Einfach nur schön, wie in einer Seifenoper bei reichen Leuten. Spontan umarmte ich Cora. „Danke! Man fühlt sich gleich ganz anders!“

      Ich zwängte mich in die hellblauen Jeans und zog mir das lavendelblaue Sweatshirt über. Strümpfe, Ballerinas – ein Blick in den Spiegel: Ich sah völlig anders aus, lässig und vergnügt, jünger auch, fand ich.

      „Morgen gehen wir ein bisschen Wäsche kaufen, ja? Mit einem BH und zwei Slips kommst du nicht weit genug. Ich weiß, wo es nette und nicht allzu teure Sachen gibt. Und denk dran, solche Wäsche muss man in einem Wäschenetz waschen, wenn du sie in die Maschine gibst. Netze liegen neben den Waschpulvertaps im Küchenschrank. Sag mal, du blühst ja richtig auf!“

      Ich drehte mich fasziniert vor dem Spiegel. „Tolles Gefühl. Und ich sehe ganz anders aus!“

      „Jetzt siehst du richtig aus, finde ich. Komm, wir treffen Hannah um halb sechs im Ratlos, und es ist schon zehn nach fünf.“

      Das Ratlos war nicht allzu weit weg. Ich war schon oft daran vorbeigekommen, hatte es aber noch nie betreten, denn Christian hielt nichts von solchen Studentenkneipen, wie er sie mit abfälligem Unterton zu nennen pflegte.

      Mit fiel auf, dass Christian alles, was nicht in seine Vorstellung vom richtigen Leben passte, mit diesem etwas abfälligen Ton bedachte. Mich mittlerweile sicher auch!

      Von einem Vierertisch in der Ecke winkte jemand. „Da ist Hannah! Komm, bevor sie den Tisch nicht länger sichern kann!“ Cora zog mich hastig in die entsprechende Richtung. Erst als wir saßen, hatte ich Gelegenheit, mich in dem Lokal umzusehen. Gemütlich! Leicht vergammelt, aber gemütlich. Erinnerte mich an meine ersten Semester, solides Holzmobiliar, alte Veranstaltungsplakate, neben der Theke eine Tafel, auf der die Tagesgerichte standen, Currysalat, Champignontoast, gefüllte Paprika, gebackener Fisch mit Kartoffelsalat... den Rest konnte ich auf die Entfernung nicht entziffern, weil jemand wohl gemerkt hatte, dass die Tafel schon fast voll war und dementsprechend immer kleiner gekritzelt hatte.

      Hannah sah sehr sympathisch aus, groß, kräftig, braune, halblange Locken, grünliche Augen, vergnügte Miene. Sie hatte einen Zettel vor sich liegen und einen Stift wie eine Zigarette im Mundwinkel hängen.

      „Du hast schon angefangen?“, fragte Cora neugierig. „Hast du schon was gefunden?“

      „Ja, eins. Warum öffnen die Leute in Krimis Türen immer mit Kreditkarten? Es ist doch total peinlich, mit der kaputten Karte hinterher zur Bank zu schleichen. Man kann schließlich alte Telefonkarten nehmen!“

      Ich verstand gar nichts und schaute wahrscheinlich entsprechend dumm. Cora lachte. „Wir sammeln Rätsel des Alltags, das soll eine neue Webseite werden. Jedes Rätsel muss mit Warum beginnen. Du kannst uns helfen, das lenkt dich nur ab.“

      Ich überlegte. „Warum sind Männer so blöd?

      „Nein, das ist zu allgemein. Du musst die Situation genauer beschreiben. Ich weiß was!“

      „Nämlich?“ Hannah nahm den Stift aus dem Mund und hielt ihn schreibbereit. „Warum spucken Männer auf den Boden?

      „Um ihr Terrain zu markieren. So wie Hunde an alle Ecken pinkeln“, antwortete ich mechanisch.

      „Echt? Woher weißt du das?“, fragte Hannah neugierig. „Hab ich mal irgendwo gelesen.“

      „Wenn man bedenkt, dass Männer ja eine ziemlich niedrige Lebensform sind, klingt das durchaus plausibel“, murmelte Hannah und schrieb die Frage auf, samt Antwort in Stichpunkten. „Warum gelten Blondinen als doof?“. schlug Cora vor. „Hm, gut. Aber weißt du die Antwort?“

      „Nein, das stellen wir zur Diskussion.“

      „Warum macht ihr das?“, wollte ich wissen, nachdem wir bestellt hatten. „Das ist doch bloß Umfeld für Werbebanner, um an der Werbung zu verdienen. Gibt extra Kohle. So was hab ich schön öfter gemacht“, erklärte Cora.

      „Ah ja. Ich weiß noch was! Warum fangen im Fernsehen alle amerikanischen Telefonnummern mit 555 an?“

      „Stimmt, das ist mir auch schon aufgefallen! Gute Frage.“ Hannah schrieb mit. „Sollen wir die Fragen nach Themen sortieren?“

      „Ja,