Die Erbschaft. Elisa Scheer

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Название Die Erbschaft
Автор произведения Elisa Scheer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783737555173



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zu haben? Aber Christian hatte mir nie angeboten, mich zu heiraten. Und diese Charlotte wollte er nun heiraten. Warum? Da gab es verschiedene Möglichkeiten, überlegte ich, die Arme im Nacken verschränkt und an die Decke starrend:

      a) Er liebte sie so rasend, dass er sie durch die Heirat für sich sichern wollte. Gefiel mir nicht.

       b) Er kriegte sie nicht ohne Heirat.

      Blödsinn, wie war sie denn dann schwanger geworden?

      c) Sie war eine gute Partie.

      Vielleicht hatte sie Geld - und ganz sicher hatte sie gute Beziehungen. Wenn die ganze noble Verwandtschaft sich bei ihm die Steuererklärung machen ließ, hatte Christian so ziemlich ausgesorgt. Im Vergleich zu ihr war ich der totale Nobody.

      d) Sie wollte ohne etwas Schriftliches nicht mit ihm zusammen arbeiten und er brauchte sie.

      Gut, das hatte was – immerhin war sie genau wie Christian selbst fertige Betriebswirtin und nicht nur eine ordinäre Studienabbrecherin wie ich. Ja, das erschien mir überzeugend.

      Alle Gründe hatten etwas Deprimierendes, wenn auch Punkt b) albern war. Aber eins war klar – sie hatte etwas, was ich nicht hatte, entweder ein faszinierenderes Wesen, einen eindrucksvolleren Background (na, das war nicht weiter schwierig!) oder die bessere Ausbildung. Dagegen konnte ich nicht an, und nachgerade fragte ich mich, ob ich das überhaupt noch wollte.

      Hatte es denn Sinn, sich pausenlos abzurackern, um fremden Ansprüchen zu genügen, wenn man jederzeit von der Konkurrenz mühelos überholt werden konnte? Sogar wenn ich diese stilvolle Charlotte aus dem Feld geschlagen hätte, eines Tages wäre eine elegante Komtesse mit Prädikatsexamen oder die Tochter eines Staatsministers mit eigener Brokerkarriere und Millionenvermögen aufgetaucht und Christian hätte mich ohnehin abserviert.

      Ich sollte mich in meine Nische zurückziehen, beschloss ich, Einzimmerappartement mit IKEA-Möbeln, Jeans und Sweatshirts, einfache Bürojobs, ab und zu ein Weibertratsch im Ratlos und ein friedliches Privatleben. Kein Mann im Bett war zwar ein bisschen fad, aber dafür wurde ich auch nicht angeblafft, wenn die Bettbezüge bloß aus billiger Baumwolle waren oder der Frühstückstee aus Beuteln aufgegossen wurde. Vielleicht sollte ich mir einen Vibrator zulegen, der meckerte wenigstens nicht rum, dass ich keinen Stil hatte.

      Sehr fesselnd lag meine Zukunft aber nicht vor mir – ich hatte vergessen, dass die IKEA-Regale wahrscheinlich nicht nur mit Weiberrromanen (typische Frustlektüre), sondern auch mit irgendwelchem geerbten Tinnef vollgestopft sein würden. Ich sollte mich wohl unmittelbar nach dem Rechtsanwaltsbesuch erkundigen, wo der nächste Flohmarkt stattfand!

      Fast das ganze Wochenende verbrachte ich mit solchen trüben Gedanken. Ab und zu versuchte Cora mich hochzuscheuchen, aber das Wetter war zum Kotzen, meine Gedanken waren kaum besser, und ich sah wirklich keinen Grund, aufzustehen und mich anzuziehen: Ich duschte am Sonntag nur flüchtig und schlurfte dann den halben Tag im Morgenmantel herum, zappte ein bisschen durch die Programme und lag dann wieder appetitlos auf dem Gästebett herum. Cora gab irgendwann auf, weil ohnehin ihr Freddy erschien und ihre Aufmerksamkeit erforderte.

      Ich versuchte, das Gekicher und Geseufze aus dem Schlafzimmer zu überhören und dachte wieder darüber nach, was ich bei Christian falsch gemacht haben könnte. Hätte ich mich weiterbilden sollen? Kultivierter sein sollen? Vielleicht Kurse machen, die mir ein umfassendes Wissen über Kunst und Musik vermittelten, so dass ich auf Vernissagen hätte kenntnisreich auftreten können, als Dame von Welt sozusagen... Hätte ich mir Background verschaffen sollen? Sicher taten das viele im Jetset, peppten ihren Namen ein bisschen auf, gaben dezent mit prominenten Bekannten an, achteten auf elitäre Adressen, logen, wenn es um die Nobelinternate ging, die sie angeblich besucht hatten... Ich hatte vor Jahren mal ein Buch gelesen, das einem nicht ganz ernst gemeinte Tipps zur Imageverbesserung gab. O wie oben hatte es geheißen – oder so ähnlich. Hinreißend lustig und boshaft, aber vielleicht nicht hundertprozentig zur Nachahmung zu empfehlen...

      Das wäre natürlich das Allerkomischste – wenn sich die vornehme Charlotte als ehrgeizige Aufsteigerin entpuppte, die eigentlich aus der Hochhaussiedlung Mönchenpark oder vom Kreuz West stammte! Dann würde ich wirklich sehr gerne Christians Gesicht sehen... Am besten vergaß ich ihn und zeigte ihm langfristig, dass ich sehr gut auch alleine zurechtkam, und vor allem, dass ich alleine ganz anders lebte und alle seine erzieherischen Maßnahmen (Das große Buch der feinen Lebensart) völlig umsonst gewesen waren. Oder würde er, falls wir uns jemals wieder trafen, nur denken Schade, wieder völlig abgesunken? Was ging es mich eigentlich an, was Christian von mir dachte? Dass ich ihm langfristig nicht gut genug gewesen war, wusste ich ja schließlich!

      Andererseits, die Macht der Liebe... Ach, an der Stelle war ich doch schon mal gewesen, Schluss jetzt!

      Am Sonntagabend raffte ich mich mühsam auf und bügelte meine Wäsche, denn für den Anwaltsbesuch wollte ich mich doch etwas geschäftsmäßiger anziehen; ich dachte an das graue Tweedkostüm, graue Pumps und die blassgelbe Seidenbluse, die noch verknittert auf dem Wäschegestell hing. Aber darunter nicht hautfarbenes strammes Lycra (anscheinend hatte Christian mich doch für zu dick gehalten, wenn er mir dauernd derartige Panzer empfohlen hatte), sondern ebenfalls zartgelber Satin mit schmalen weißen Spitzenkanten. Das Gefühl hauchdünner Wäsche auf der Haut würde mir vielleicht mehr Selbstbewusstsein verleihen...

      Kapitel 6

      Nervös war ich trotzdem, als ich am Montag um kurz vor zehn, aufgebrezelt wie zu einem Meeting und die lässig gestylte Cora neben mir, in der Avenariusgasse läutete. Wahrscheinlich würde ich irgendwelche Möchtegernkunst erben und musste im Gegenzug hundert Jahre lang ein Hundegrab pflegen – oder es handelte sich wirklich um einen Irrtum! Leute wie Cora gingen in solchen Fällen ihre Verwandtschaft durch und kamen schließlich auf die durchgeknallte Großtante Erna, die seit dreißig Jahren in einem Stift in Schleswig-Holstein lebte und ihnen nun ein Meißner Service vermacht hatte, weil sie sie als einzige nicht mit Besuchen im Heim genervt hatten – oder so ähnlich.

      Hatten meine Großeltern eigentlich Geschwister gehabt? Ich versuchte mich zu erinnern, was Mutti erzählt hatte. Oma war ein Einzelkind gewesen, mit der Cousine, die nun Irmas Großmutter war, als einziger etwa gleichaltriger Verwandter. Und Großvater? Geboren 1924, er war noch im Krieg gewesen, in der Normandie und am Rhein. Doch, er hatte einen Bruder gehabt, ein Jahr älter, hatte Mutti erzählt; der war ebenfalls unmittelbar nach dem Notabitur 1942 eingezogen worden und in Stalingrad gefallen. Mehr Familie gab es einfach nicht, und dass mein unbekannter Erzeuger Mutti im Auge behalten hatte – ohne sich jemals zu melden! – nur um mir später ein Vermögen zu hinterlassen, das gehörte doch wohl eher in den Bereich Fernsehschicksal der Woche.

      Der Summer ertönte und wir drückten die schwere Tür auf. Eine Marmortreppe führte in den ersten Stock. Bevor die Kanzleitür dort geöffnet wurde, sah ich noch, dass die Treppen in die oberen Stockwerke weniger elegant gestylt waren – mit ordinärem, leicht verflecktem Teppichboden ging es weiter.

      „Frau Ulitz? Bitte kommen Sie herein.“ Die Anwaltsgehilfin war ziemlich genauso zurechtgemacht wie ich, offenbar gab es tatsächlich eine Uniform für dienstbare weibliche Geister in Büros mit Publikumsverkehr.

      „Wenn Sie noch einen Moment warten würden... Darf ich Ihnen Kaffee bringen?“

      Ich schüttelte den Kopf, Cora nahm an. Das Vorzimmer sah so ähnlich aus wie in Christians Büro – renovierter Altbau, aber moderne Möbel, Fax, Computerterminals, Aktenordner. Ein Telefon läutete.

      Ich war noch nie bei einem Anwalt gewesen und hatte mir solche Kanzleien mehr so vorgestellt wie in englischen Spielfilmen oder Romanen von Agatha Christie – holzgetäfelt, auf den Regalen Kästen mit vornehmen Aufschriften, Sir Marmaduke Fossingham, Esqu. oder so ähnlich, Bürovorsteher und Anwalt in korrektem Tweed (hatte ich deshalb heute das Tweedkostüm angezogen?), die Sekretärin mit gewelltem Bubikopf wie in den Zwanzigern. Ich schüttelte noch einmal den Kopf, um diese albernen Bilder zu vertreiben. Warum sollte eine hiesige und heutige Kanzlei auch aussehen wie im Templebezirk anno 1924? Damals war mein Großvater noch ein harmloser Säugling