Tote Gäste. Elisa Scheer

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Название Tote Gäste
Автор произведения Elisa Scheer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783737562577



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den MorgenExpress weiter tratschen? Florian war schon ein Depp. Und Ninas Mutter hatte ganz Recht, er war ein verzogener, verwöhnter Bengel. Immer schon gewesen. Ich bog um die Ecke und schloss meinen Wagen auf. Wer besprach denn einen Fall am ersten Mai? Nicht einmal ich dachte heute an die Arbeit! Und jetzt hatte ich prompt diesen schönen Adelsnamen vergessen, so ein Mist aber auch!

      Ärgerlich fuhr ich nach Hause. Wieso traf ich nie nette Leute? Bloß Rosen, der sofort eingeschnappt war, und Florian, den ich noch nie besonders gemocht hatte. Ob Nina ihn auch geheiratet hätte, wenn sie etwas älter gewesen wäre? Als Simone auf die Welt kam, war sie noch nicht zweiundzwanzig gewesen und gerade mal ein halbes Jahr verheiratet. Ich grinste still vor mich hin, als ich an unsere Reaktionen dachte, damals...

      Sie hatte so stolz und glücklich erzählt: „Florian und ich wollen heiraten“, und wir hatten alle nur gefragt: „Wieso, bist du schwanger?“

      Sicher, man konnte auch heiraten, wenn man nicht schwanger war, aber war tat das schon? In diesem Alter? Im zweiten Semester? Noch bevor die große weite Welt mit Rucksackreisen, Auslandspraktika und vielen, vielen Männern zum Ausprobieren beschnuppert war? Gut, Nina liebte ihn eben, und damals war er auch wirklich wahnsinnig niedlich gewesen, wie ein ganz junger Brad Pitt – nicht, dass wir damals schon etwas von Brad Pitt gehört hatten.

      Auch heute sah er noch gut aus, hübsches Gesicht, dekorativ zerzaustes dunkelblondes Haar (ich hätte ihm ja eine Glatze gegönnt), durchtrainierter Body und heute auch wunderbare Anzüge, die er angeblich aus geschäftlichen Gründen brauchte.

      Jaja. Er trug Armani und Boss, denn er schleppte ja das Geld ran. Für Nina tat´s wohl auch ein Putzkittel?

      Das war ungerecht; von dem Geld, das sie beim Jobben verdiente, kaufte sie auch Klamotten, für sich und die Kinder. Trotzdem. Er ließ sich wirklich bedienen. Ein guter Kamerad war er nicht, und das war doch wohl das Wichtigste! Und dass man über die gleichen Dinge lachen konnte. Ob Nina ihn noch liebte? Oder blieb sie aus Gewohnheit bei ihm und wegen der Kinder?

      Das konnte ich sie eigentlich auch schlecht fragen. Nüchtern jedenfalls nicht. Wenn wir einen sitzen hatten, wurden wir alle indiskret, da hatte Nina schon mal beschrieben, wie die Sporttasche ihres durchtrainierten Göttergatten roch, Anette hatte von Andis Bettphantasien erzählt (saublöd, wirklich!) und ich – naja, ich musste nichts herumtratschen, meine gelegentlichen Aussetzer hatten die Mädels sowieso live miterlebt. Nur Silke hörte sich das alles interessiert an und hatte keine Dinge zu erzählen, derer sie sich nüchtern geschämt hätte. Silke, unsere Brave.

      Und jetzt hatte sie sich auch noch Fabian geangelt. Zwar kein von wie Florian, aber dafür ein viel netterer Mensch. Die beiden lachten bestimmt über die gleichen Dinge! Und so gut wie Florian sah er allemal aus. Sogar der miese Andi war ein hübsches Kerlchen, nur ich musste mich natürlich wieder mal in einen vergaffen, der auf den ersten Blick nicht viel hermachte. So gar nicht Brad Pitt. Eher schon – hm. William Hurt vielleicht. Nein, so auch wieder nicht.

      Ich überlegte, wem Rosen ähnlich sah, und musste mit wütendem Hupen über eine grüne Ampel gescheucht werden. Noch ärgerlicher (wie peinlich, schon wieder Frau am Steuer!) kam ich nach Hause. Ich wollte doch nicht mehr über Rosen nachdenken, es brachte doch sowieso nichts!

      Wenigstens hatte ich im Keller meine Ruhe. Wenn Carla anrief, während ich nach Scheußlichkeiten für ihre Hochzeit suchte, kriegte ich es wenigstens nicht gleich mit. Ich fand die pickelige Vase und den Jagdbierwärmer, außerdem einen Stoß metallener Untersetzer mit dem Wappen der Stadt Lüneburg darauf. Wie war ich denn dazu gekommen? Das war ja noch rätselhafter als der Kleiderbügel mit der Werbung eines Herrenausstatters aus Hof, wo, so weit ich wusste noch nie jemand aus meinem Bekanntenkreis gewesen war.

      Lüneburg... Der Bürgermeister von Lüneburg konnte die schicken, in Anbetracht seines herzlichen Verhältnisses zur Familie von Zorn und ihrer unbestreitbaren Verdienste um die Stadt... Sehr gut, das würde sie alle zum Grübeln bringen! In dem hässlichen Faltschrank, den der Vorbesitzer zurückgelassen hatte, fand ich mein grauseidenes Kostüm. Hm... für die standesamtliche Trauung? Ich hatte noch genug Zeit, das Ding in die Reinigung zu bringen, aber vorher...

      Niemand im Keller, also schlüpfte ich hastig aus den Jeans und in den modrig riechenden Rock. Ach ja, jetzt fiel es mir wieder ein – in dem Ding konnte man sich nicht setzen, der Rock war völlig verschnitten. Fehlkauf. Ab in die Tonne.

      Ich füllte eine große Tüte mit Dingen, über sich noch nicht einmal die Tauschbörse mehr gefreut hätte, und versenkte sie dann in der Mülltonne. Oben angekommen, wusch ich meine schwärzlichen Finger und die wundervollen Hochzeitsgeschenke und entwarf gemütlich auf dem Sofa lümmelnd, die passenden Anschreiben. Sogar der Name des Grafen fiel mir wieder ein – oder wenigstens ein sehr ähnlicher.

      Hoch zufrieden betrachtete ich mir dann mein Werk und bestäubte die Ausbeute ein wenig mit Parfüm (auch ein Fehlkauf), da das Abwaschen den modrigen Geruch noch nicht ganz beseitigt hatte.

      Wenn ich das nachher den anderen erzählte – wir würden eine Menge Spaß haben! Das Telefon klingelte. Misstrauisch meldete ich mich. Das war doch bestimmt wieder Carla mit irgendeiner selbst gebastelten Katastrophe! Ob auf dem Klopapier in Grafenreuth verschlungene Eheringe sein sollten oder so was.

      Nein, Cora. „Hol mich hier raus!“, stöhnte sie. „Carla ist jetzt völlig durchgedreht. Plötzlich glaubt sie, dass Pauls Eltern sie gar nicht wirklich mögen. Und dass sie denken könnten, sie macht diese Riesenhochzeit nur, um zu beweisen, dass sie genauso viel Stil hat wie die Zorns.“

      „Seit wann haben die Zorns Stil? Oder wir?“, fragte ich verblüfft. In beiden Familien herrschte die Neigung vor, bei jeder Gelegenheit in zerrissenen Jeans herumzulaufen, bei beiden waren die Häuser groß, aber lange nicht mehr gestrichen worden, und die Gärten eher gemütlich als gestylt. Nirgendwo gab es besondere Nobelkarossen oder angesagte Reiseziele – oder was war Stil sonst? Cora schnaufte erbost in den Hörer. „Hab ich ihr ja auch gesagt. Die Zorns sind echt okay und völlig normal. Ich meine, genauso gut könnte sie sich vor Nina und Florian fürchten, oder? Die Kochs sind viel ärger.“

      „Woher kennst du die Kochs? Das sind die Leute von Silkes Freund.“

      „Ach ja? Die stehen öfter mal in der Zeitung. Diese Vanessa ist anscheinend bei jeder Party und jeder Eröffnung...“

      „Und wenn´s ein Briefumschlag ist“, zitierte ich den alten Witz.

      „Ja, genau. Dann heißt es Nobelboutiquebesitzerin Vanessa Koch von Reutersbach und ihr eleganter Ehegatte Leander...“

      Ich gackerte. „Koch von Reutersbach? Ernsthaft? Und wie heißt der Macker? Leander? Wie kann man Leander heißen? Leander Koch von Reutersbach?“

      „Für den Vornamen kann er ja nichts, das waren seine Alten. Und nein, der heißt nicht Koch. Nur Reutersbach. Ein Freiherr.“

      Ich sah förmlich vor mir, wie sie beim letzten Wort affektiert die Lippen spitzte.

      „Vanessa Freifrau Koch von Reutersbach. Klasse.“

      „Nein. Vanessa Koch Freifrau von Reuterbach“, korrigierte Cora mich hochnäsig. „Wie gründlich liest du eigentlich die Klatschspalten? Solche Dinge hat man einfach nicht zu wissen! Wahrscheinlich lernst du gerade den Gotha auswendig, um Carla nicht zu blamieren, was?“

      „Gotha? Was ist das?“

      Also doch nicht. Wenigstens etwas, ich hatte schon befürchtet, dass sie als nächstes Frau mit Krone oder so lesen würde. „Also gut, Carla spielt die bürgerliche Braut des Prinzen. Was ist denn passiert, dass sie plötzlich so spinnt?“

      „Nichts Besonderes. Pauls Mutter war da und sie haben sich über das Menu unterhalten. Und Pauls Mutter hat hinterher nur gesagt, dass das alles ja sehr schön und sehr stilvoll wird.“

      „Wie furchtbar!“

      „Wart´s doch mal ab. Carla glaubt nämlich, das hätte sie ironisch gemeint, und seitdem zerfleischt sie sich. Jetzt überlegt sie, ob ein ganz kleiner Kreis nicht viel besser wäre. Nur vons, wahrscheinlich. Aber sie