Tote Gäste. Elisa Scheer

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Название Tote Gäste
Автор произведения Elisa Scheer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783737562577



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mit meiner Nummer markiert. Als ich die Fahrertür öffnete, glaubte ich zu hören, wie jemand meinen Namen rief. O Gott, doch nicht schon wieder die Uhlmann?

      Ich sah mich hastig um. Nein, ein Mann. Ein hoch gewachsener Mann. Er kam langsam näher und hinkte. Nichts wie weg! Ich sprang förmlich ins Auto, knallte die Tür zu, schnallte mich mit fliegenden Fingern an und drehte den Zündschlüssel. Heißen Dank dem Schicksal, dass es mir ermöglichte, ein neues und zuverlässiges Auto zu fahren – es sprang sofort an. Ich knüppelte den Rückwärtsgang ein und schoss aus der Parklücke, schlug ein, schaltete und gab Gas. Im Vorbeifahren registrierte ich Rosens erstauntes Gesicht und bewahrte mein Pokerface. Hoffte ich wenigstens. „Auf dem Parkplatz? Oh, das tut mir Leid, ich habe Sie gar nicht bemerkt. Warum haben Sie denn nicht gerufen?“ Mit unschuldigem Augenaufschlag natürlich. „Lag denn noch etwas an? Vermissen Sie irgendwelche Unterlagen?“

      Streng beruflich eben.

      Vielleicht änderte er ja sein Verhalten, wenn ich die Eiskönigin gab. Ich hatte ab sofort überhaupt gar kein Interesse mehr an ihm, basta!

      Hatte ich das schließlich nötig, wütete ich auf dem Weg nach Leiching vor mich hin, mich nach diesem Kerl zu verzehren? Wer war er denn schon? Ein ältlicher, mürrischer, staubtrockener Jurist, der so etwas Nettes, Lebendiges und Charmantes wie mich sowieso nicht verdiente. Ich konnte allemal etwas Besseres finden, einen Jüngeren, Schöneren, Freundlicheren. Einen knackigen Latin Lover vielleicht, mit feuchten braunen Augen und einer schwarzen Locke in der Stirn. Ja, und mit einer Rose zwischen den Zähnen. Bäh!

      Leider wollte ich so etwas gar nicht. Ich stand auf dröge Typen. Irgendwas musste mit meiner frühkindlichen Entwicklung schief gelaufen sein.

      Erbostes Hupen riss mich aus meinem Brüten, und ich fuhr hastig an, bevor die Ampel wieder auf Rot schaltete. Wegen dieses Kerls outete ich mich hier noch als Frau am Steuer! Eigentlich mochte ich ihn gar nicht, aber verliebt war ich trotzdem. Ich war wirklich bescheuert, und jetzt hörte ich am besten auf, darüber nachzudenken, denn gleich würde Carla mich mit irgendwelchem Schwachsinn überfallen, und ich brauchte meinen gesamten Scharfsinn, um ihre Aufträge abzuwehren.

      Ich kurvte durch die lästigen Tempo-30-Zonen und quetschte mich in der Einfahrt meiner Eltern hinter Coras Mini. Carlas Golf stand eingekeilt zwischen dem Mini und Mamas BMW. Bei uns sah es mal wieder aus wie auf der Gebrauchtwagenschau.

      Das Haus war immer noch das schönste, das ich kannte, eine richtige Villa aus der Jahrhundertwende, mit steinernen Balkonen, Säulenvorbau vor dem Eingang, einem süßen und völlig sinnlosen Erker und Stuck über allen Fenstern. Und innen war es riesig. Ideal, um hier einen Krimi zu drehen. Ich suchte noch nach meinem Schlüssel, als die Tür aufgerissen wurde. „Gott sei Dank, wenigstens eine normale Person!“

      „Hallo, Papa!“ Ich küsste ihn auf die Wange und schlängelte mich an ihm vorbei. „Was hat Carla denn heute wieder?“

      „Du hast die Wahl: Tischordnung, Brautstrauß, Sektempfang nach der Trauung.“

      „Auf keinen Fall die Tischordnung“, wehrte ich ab, „so was kann ich nie. Rangordnungen liegen mir nicht, und bei so vielen vons kriege ich echt zu viel.“

      „Nicht nur du. Paul hat eine Tante, hat Carla gerade erzählt, die soll eine veritable Gräfin sein.“

      „Schön für sie. In meiner Klasse war auch eine veritable Gräfin, die Patzi Wolff. Sah aus wie ein Punk und konnte seitenweise aus dem Kapital zitieren, obwohl da längst die Wende war.“

      „Patzi Wolff?“ Ich verdrehte die Augen. „Patricia Gräfin Wolff von Wolffenberg. Im 15. Jahrhundert geadelt oder so.“

      Papa lachte. „Sag das bloß nicht Carla, sonst will sie die einladen, um der neuen Verwandtschaft zu imponieren.“

      „Mit Patzi kann man keinem imponieren, die ist, soweit ich weiß, immer noch ziemlich schräg drauf. Im Moment, glaube ich, aber eher so makrobiotisch. Wenn sie jemanden in handgesponnenem Leinen dahaben will, der sich beim Fleischgang lautstark ekelt, dann bitte. Ich glaube, Nina hat ihre Adresse. Eine WG an der Uni, wahrscheinlich. In einem garantiert unsanierten Altbau.“

      „Na, komm weiter. Carla und deine Mutter sind im Wohnzimmer und brüten über ihren diversen Problemen. Wenn du genug davon hast, komm zu mir ins Arbeitszimmer.“ Ich tätschelte ihm dankbar den Arm und wagte mich in die Höhle der Löwinnen.

      Stoffe, Zettel, aufgeschlagene Zeitschriften, Carla mit zerrauften Haaren und Mama, die Brille in die grauroten Locken geschoben. Ich spielte kurz mit dem Gedanken an Flucht, atmete dann aber tief durch und trat ein. In diesem Moment entdeckte ich Cora – und sie mich. „Oh, gut, dann kann ich ja jetzt abhauen“, sagte sie, „ich hab nämlich noch was Wichtigeres zu tun.“

      „Was Wichtigeres?“, wollte Carla sich gerade empören, aber Cora drückte sich neben mir durch die Tür und war auch schon verschwunden.

      „Kati, hilf mir!“, jammerte Carla. „Die Tischordnung ist eine einzige Katastrophe! Ich habe keine Ahnung, wer wie nahe am Brautpaar sitzen muss! Und ich habe keine Ahnung, was wir direkt nach der Trauung machen sollen, einen Sektempfang oder lieber was anderes? Und schau mal, hier, so könnte der Brautstrauß aussehen. Das ist ein Entwurf von La Fleur, aber findest du nicht, dass das irgendwie öde ausschaut? Ich weiß gar nicht, wieso, aber irgendwas fehlt da, bloß was?“

      Ich konzentrierte mich sofort auf das Letzte, um mich um die Tischordnung zu drücken. Das Foto sah gar nicht so schlecht aus, weiße Rosen, irgendwelche blass apricotfarbenen Blumen, die ich nicht kannte, dazwischen, und das übliche Schleierkraut. Aber Carla hatte Recht, da fehlte der Pep. Ich studierte das Foto mit gerunzelter Stirn, bis mir die Idee kam: „Die Farben sind zu blass.“

      „Ja, aber was soll ich denn machen? Das ist genau das Apricot von euren Kleidern und von meinem Kranz, ich kann doch jetzt nicht plötzlich auf Knallrot umsteigen, wie schaut denn das aus!“

      Carla sah zu mir auf, die nussbraunen Augen in Tränen schwimmend.

      „Jetzt krieg dich schon wieder ein“, mahnte ich leicht gereizt und setzte mich, das Foto in der Hand. „Natürlich nicht knallrot! Aber wie wär´s mit – hm – einem kräftigeren Orange? Nicht nur, aber hier und da so was wie diese orangefarbenen Begonien? Ich weiß, das sind eigentlich Topfpflanzen, aber die haben eine irre Farbe. Oder Gerbera, die müsste es auch so geben. Frag bei La Fleur mal nach. Im Strauß zwei oder drei dunklere Blüten, und vielleicht noch eine längere Ranke, die runterhängt, dann ist die Form nicht so spießig...“

      „Was für eine Ranke?“, jammerte Carla wieder los und jetzt schaute sogar Mama ärgerlich drein. „Also, wenn Kati dir schon hilft, könntest du aufhören, wie eine Dreijährige herumzunölen. Es haben vor dir auch schon Leute geheiratet!“ Carla war beleidigt, hielt aber endlich den Mund. Ich nutzte die Gelegenheit: „Weihrauch oder Efeu. Nur eine oder zwei Ranken. Das Schleierkraut ist öde. Schon tausendmal gesehen. Los jetzt, ruf schon da an!“

      „Du haben doch schon zu!“, jaulte Carla. „Dann schreib´s dir auf und mach´s morgen. Also, Brautstrauß erledigt. Was war das noch?“

      „Die Tischordnung!“

      „Vergiss die Tischordnung, die muss jemand machen, der was davon versteht. Ich bestimmt nicht. Nein, das andere!“

      „Der Sektempfang?“

      „Genau. Was hast du dagegen? Pro Nase ein Glas Sekt und irgendein Häppchen, alle können gratulieren, und danach gibt es doch sowieso das Essen, oder?“

      „Ja, schon... aber ich weiß nicht. das ist so – so -“

      „Vorhersagbar? Na, wenn schon. Die Leute mögen es, wenn die Dinge so passieren, wie sie es erwarten. Und nach der Trauung haben bestimmt alle Durst. Außerdem müsst ihr die Leute doch beschäftigen, während sie Schlange stehen, um euch die Hand zu schütteln. Und während die engste Familie fotografiert wird und so.“

      „Fotos!“, kreischte Carla. „Wir haben noch keinen Fotografen!“

      „Na, das