Tote Gäste. Elisa Scheer

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Название Tote Gäste
Автор произведения Elisa Scheer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783737562577



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Stelle beendete ein gezielt geworfenes Stück Brot ihren Vortrag. Wir kamen aber nicht weit vom Thema ab, denn wir wussten, woher sie ihre abenteuerlichen Theorien hatte, und der Vergleich, welche Folgen von „Die Nanny“ die lustigsten waren, beschäftigte uns aufs angenehmste, bis wenigstens die Getränke serviert wurden. Silke hatte sich auch noch Mineralwasser bestellt, ein stilles obendrein. Jetzt bekamen wir aber doch schmale Augen, und Anette sprach es aus: „Sag mal, bist du schwanger oder was?“

      Silke lächelte. Fehlte bloß noch eine Hand auf dem Bauch, wie bei Promis und Prinzessinnen. „Ich weiß es noch nicht. Vielleicht...“

      „Ach herrje“, seufzte Anette, „du Arme. Wolltest du nicht gerade an deiner Schule was werden?“

      „Fachbetreuerin für Mathe, ja. Aber wenn ich die Wahl habe, anderer Leute vergeigte Schulaufgaben nachzukorrigieren oder ein Baby...“

      „Ich nehme die Schulaufgaben“, beharrte Anette, und im Stillen gab ich ihr Recht. „Aber kann man als Fachberater oder wie das heißt nicht auch ein bisschen mitbestimmen? Wohin das Fach steuert? Wo man Schwerpunkte setzt und so?“, fragte ich.

      „Ja, na und? Ich möchte lieber ein Baby“, erklärte Silke und lächelte wieder so versonnen. „Ihr könntet mir ruhig mal gratulieren, anstatt alle so zu tun, als hätte ich mir gerade total das Leben versaut.“

      „Na, herzlichen Glückwunsch“, erklärte Nina, „aber weißt du, ganz ehrlich – du hast dir gerade das Leben versaut.“ Sie wartete, bis wir sie alle entrüstet ansahen – ihre Kinder waren doch wirklich nett! – und sprach dann weiter: „Ein versautes Leben hat aber durchaus seine Reize, wenn die Finanzierung gesichert ist. Was sagt denn dein Fabian dazu?“

      „Der weiß es noch nicht“, gestand Silke und malte mit dem Zeigefinger Muster auf ihr beschlagenes Glas. „ich will es ihm erst sagen, wenn ich ganz sicher bin. Na, und im Moment bin ich noch kaum überfällig. Das gesunde Essen ist mehr so eine Vorsichtsmaßnahme.“

      „Blinder Alarm also!“, entrüstete sich Anette. „Und dafür versetzt du uns so in Panik?“

      „Was heißt denn Panik?“ Silke schien sich langsam doch zu ärgern. „Ich freue mich, dass ich vielleicht ein Kind kriege, und ihr? Ihr macht es mir madig!“

      „Ach wo“, versuchte ich zu beschwichtigen, „wieso denn madig? Aber da wird sich einiges für dich ändern.“

      „Sag bloß“, höhnte Silke, „da wäre ich ja nie drauf gekommen!“

      Ich winkte ab. „Ich meine bloß, du wirst nur noch davon reden, wie der Windelinhalt deines Zwergleins aussieht und dass es schon fast lächeln kann. Und immer zu Hause – wirst du dich nicht langweilen?“

      „Ihr habt bloß Vorurteile! Ich rede doch nicht über Babykacke!“

      „Nina hat´s gemacht“, warf Anette ein. „Erinnerst du dich nicht mehr? Wir wollten auf den VWL-Schein lernen und sie dauernd: Guck mal, wie süß sie jetzt lächelt! Und heute Morgen hat sie ein ganz lautes Bäuerchen gemacht. Und gestern hat sie Spinat gekriegt, und heute war ihre Windel gaanz grün... Schon vergessen?“ Nina zog den Kopf ein und kicherte. „Mein Gott, ich war erst einundzwanzig. Ich musste mir doch auch selbst beweisen, dass das mit dem Baby eine gute Idee war. Silke ist zweiunddreißig, sie ist doch viel selbstsicherer als ich damals.“

      „Nicht mehr lange, wenn ihr weiter auf mir herumhackt“, seufzte Silke. „Hoffentlich freut sich Fabian.“

      „Wird er schon“, behauptete ich. „Der ist doch auch im richtigen Alter, um Vater zu werden.“

      „Sind Männer das jemals?“, unkte Nina. „Florian hat damals schon sehr dumm geschaut, als ich ihm den Test hingehalten habe.“

      „Im zweiten Semester? Das finde ich jetzt nicht so verblüffend“, warf Silke ein. „Wieso habt ihr damals eigentlich sofort geheiratet?“

      „Meine Eltern“, antwortete Nina und verdrehte die Augen, „ihr kennt sie doch. Ihr armes bürgerliches Töchterlein von einem gewissenlosen Lumpen aus höheren Kreisen verführt und sitzengelassen. Quasi ein modernes Gretchen. Sie haben so gezetert, dass schließlich auch die alten Gehrens dafür waren, dass wir so schnell wie möglich heiraten. So ist Simone dann doch wenigstens noch ein Sechsmonatsbaby geworden. Wisst ihr doch alles noch, ihr habt doch gleich gewusst, dass ich schwanger war!“

      „Stimmt. Es geht doch nichts über Ich pass schon auf, vertrau mir.“ Anette gackerte. „Als ob die das könnten!“

      Ich kicherte mit. Auf so was hatte ich mich auch noch nie verlassen.

      „Seid nicht so gehässig“, fand Silke, „es gibt doch auch nette Männer.“

      „Ja, dein Fabian“, gab ich zu. „Und meinetwegen auch Florian. Aber sonst?“

      „Was ist mit Carlas Zukünftigem?“

      „Naja – ganz okay“, antwortete ich, „mein Geschmack ist er nicht, aber Carla ist zufrieden. Ich finde ihn ein bisschen langweilig.“

      „Für euch zwei muss man wohl einen extra backen“, spottete Nina und lehnte sich zurück, weil das Essen kam.

      „Gute Idee“, fand ich, „was müssten da wohl für Zutaten rein?“

      Nina streute reichlich Parmesan auf ihre Nudeln. „Schön groß auf jeden Fall, ich weiß doch, wie pingelig du in diesem Punkt bist. Na, und einigermaßen schön. Schwer zu erobern, du alte Jägerin. Eine Prise Abenteuerlust, aber zugleich ein Karrieremensch. Jemand, der alleine gut zurechtkommt, aber dich trotzdem anbetet.“

      Die anderen wollten sich totlachen. „Na, dann wirst du ja schnell einen finden“, feixte Silke und bohrte die Gabel in ihr Tiramisù, „das sind ja ziemlich moderate Bedingungen.“

      „Ich suche doch gar nicht“, murrte ich, „ich bin sehr zufrieden als Single. Carlas Heiraterei wirkt eher abschreckend auf mich.“

      „Du musst ja nicht gleich heiraten“, wiegelte Nina ab, „aber ab und zu braucht man ja schon mal was. Zum Wärmen, sozusagen. Für kalte Füße und ein kaltes Herz.“

      „Ach Gottchen“, reagierte ich auf diesen Kitsch. „Außerdem habe ich heute erst was wirklich Niedliches getroffen, und es hat mich total kalt gelassen.“

      „Von niedlich hab ich auch nichts gesagt“, protestierte Nina.

      „Erzähl!“, verlangte Anette, und erzählte von Tom Jordan und seiner herrischen Freundin. Allgemeines Vergnügen, nur von Schmatzlauten unterbrochen – wir benahmen uns mal wieder nicht so, wie wir es gelernt hatten.

      Satt und zufrieden lehnten wir hinterher in den Kunstlederpolstern.

      „Boah, war das lecker“, stöhnte ich. Wie immer war die Pizza eine Idee zu groß gewesen. „Sollen wir noch ein Dessert nehmen?“, überlegte Nina und angelte sich eine Karte vom Nachbartisch.

      „Hör bloß auf, ich kann nicht mehr!“, wehrte Anette ab.

      „Doch, ja – ich glaube, ein Tartufo geht noch“, fand Silke.

      „Isst du schon für zwei?“, fragte ich.

      „Nach dieser Riesenpizza kannst du ganz ruhig sein“, schoss Silke zurück.

      Das hatte was für sich. Ich nahm mir vor, Silke nicht weiter zu ärgern, aber manchmal was es einfach unwiderstehlich. Außerdem ärgerten wir uns immerzu gegenseitig, und gerade das hatte den Reiz unserer Freundschaft seit jeher ausgemacht - dass wir nämlich alle eine böse Zunge hatten und nicht sehr empfindlich waren. Aber jetzt, mit den Hormonen... Silke orderte unbehelligt ihr Tartufo und wechselte radikal das Thema. Ich erkannte wieder einmal, dass sie, so harmlos und ordentlich sie auch aussah, doch absolut nicht hilflos wer. Aber wer sich täglich mit tobenden Schülern herumschlug, konnte ja wohl auch kein Häschen sein!

      „Was findet denn jetzt auf dieser Monsterhochzeit genau statt?“ Ich seufzte gepeinigt. Das hieß den Krieg ins Feindeslager tragen!