Tote Gäste. Elisa Scheer

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Название Tote Gäste
Автор произведения Elisa Scheer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783737562577



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erster muss dieser Scheißfilm nachgespielt werden.“

      „Sollte Paul ausfallen, würde sie auch einen anderen heiraten, wenn er gerade zur Verfügung steht.“

      „Oder einen Statisten engagieren.“

      In deutlich besserer Stimmung fuhr ich nach Hause, fest entschlossen, die Wohnung zu entstauben und morgen einen schönen langen Spaziergang zu machen, um genügend Fett zu verbrennen, dass ich mir eine Pizza Inferno leisten konnte. Normalerweise interessierte ich mich nicht besonders für mein Gewicht (Ausnahme: erste Anprobe der Vorjahresbikinis im Frühjahr!), aber wenn ich nachher nicht in das apricotfarbene Scheusal passte, würde Carla endgültig durchdrehen.

      Also musste ich mir die Pizza erst verdienen. Es hieß zwar, scharf Gewürztes mache weniger dick, weil das Essen so anstrengend war und den Kreislauf hochjagte, aber das konnte genauso eins der zahlreichen Märchen sein, die sich um das unerschöpfliche Thema Abnehmen rankten – nur Kohlenhydrate, nur Fett, Trennkost, nie nach achtzehn Uhr essen, fünfmal am Tag Obst, nur langsames Joggen verbrennt Fett... Damit hielt man die Frauenköpfe beschäftigt, damit sie nicht darüber nachdachten, warum immer sie ihre Karriere durch Kinder ruinierten und warum ein Mann bei gleicher Arbeit immer noch mehr verdiente als eine Frau. Männer machen Karriere – Frauen machen Diät. Uralt, aber leider immer noch wahr. Na, mir würde das nicht passieren! Kein Mann, keine Kinder.

      So gesehen, war es eigentlich gar nicht so blöd, dass ich in Rosen verliebt war, denn daraus würde nie etwas werden. Und wenn ich es schaffte, auf ihn fixiert zu bleiben, bis ich fürs Kinderkriegen zu alt war, wäre ich aus dem Schneider. Noch acht Jahre, danach konnte ich immerhin behaupten, ich hätte zu viel Angst vor genetischen Schäden. Wem gegenüber denn behaupten? Niemand nervte mich besonders mit der biologischen Uhr, nicht einmal Mama. Carla würde sie bis dahin außerdem genug ablenken. Und Cora war auch noch da, die mochte kleine Kinder und wollte „später mal“ auch selbst welche. Ich konnte also machen, was ich wollte.

      Am Samstagmorgen sah ich mich missvergnügt in meiner Wohnung um – staubig, fleckig und voller Krempel. Gestern Abend hatte ich absolut keine Lust auf Haushalt mehr gehabt und mich mit der Überlegung beruhigt, dass ich als viel beschäftigte Karrierefrau ja wohl etwas Erholung verdient hatte.

      Also musste ich jetzt ran. Nur Einkaufen musste – konnte? – ich nicht, denn die Läden hatten zu. Lustlos wischte ich Staub, verräumte den herumstehenden Kram – teils in die Schränke, teils in den Müllsack, bügelte, was gewaschen herumhing, saugte die Wohnung durch und schleifte den Müllsack in den Hof.

      Immerhin, jetzt sah es wenigstens akzeptabel bei mir aus. Klare Linien, leere Flächen, große Fenster – äh. Wann hatte ich die denn das letzte Mal geputzt? Im Oktober? Der Blick nach draußen war eindeutig getrübt durch einen Weichzeichner aus Regenspuren und Winterdreck. Nein, heute putzte ich nicht die Fenster, ich brauchte dringend Erholung vor dieser entsetzlichen Hochzeit. Im Juni würde ich die Fenster – vielleicht... und den Balkon. Immerhin schaffte ich es, die verdorrten Geranien vom letzten Jahr wegzuwerfen und den Dreck unauffällig in den Hof zu fegen. Schon besser. Für heute reichte das, ich konnte mich umsehen, ohne dass mir schlecht wurde, das Bett war frisch bezogen, im Bad hingen saubere Handtücher, und ich hatte genug gebügelte Klamotten im Schrank. Und Hunger.

      Im Kühlschrank standen ein Schraubglas, in dem drei Gürkchen in einer etwas verdächtig wirkenden Lake herumschwammen, und ein winziges Gläschen mit eingelegten Knoblauchzehen.

      Nicht wirklich sättigend. Ich hätte gestern doch einkaufen gehen sollen. Im Küchenschrank vielleicht... Zwei leere Nudelschachteln, ein uralter Kochbeutel Reis, eine abgelaufene Tütensuppe. Blumenkohlcreme... wann hatte ich mir die denn gekauft? Ich mochte Blumenkohl überhaupt nicht! Verfallsdatum Februar 2004. Weg damit.

      Zwei Scheiben etwas ledriges Knäckebrot waren noch aufzutreiben. Und Teebeutel, die nach gar nichts mehr rochen, so alt waren sie. Wann hatte ich eigentlich das letzte Mal so richtig mit Verstand eingekauft?

      Musste Monate her sein.

      Ich warf neunzig Prozent meiner kärglichen Vorräte in den Müll und aß die restlichen zehn Prozent, also die beiden Knäckebrotschreiben, bei denen von knackig nicht mehr die Rede sein konnte.

      Voller Selbstmitleid (da verdiente ich ein Schweinegeld, war brav und fleißig – und musste an einem Feiertag hungern!) verzog ich mich unter die Dusche und verwöhnte mich wenigstens mit dem Kirsch-Shampoo und dem Pfirsich-Duschgel, auch wenn ich danach roch wie eine Dose Macedonia.

      Ältliche Jeans und ein ebenso ältliches, aber ursprünglich mal gutes Sweatshirt, Turnschuhe – das Feiertagsoutfit war komplett. Ich würde doch niemanden treffen, der mich beruflich kannte. Und wenn doch: So what? Letztes Jahr hatte ich meinen Chef beim Joggen im Prinzenpark getroffen, und der Jogginganzug war wirklich peinlich gewesen.

      Außerdem konnte niemand die Fotos von einem joggenden Bill Clinton toppen, so rot und verschwitzt war niemand sonst. Und ich würde ja gar nicht laufen, sondern gesittet zwei Stunden spazieren gehen, mit ordentlicher Frisur und blassem Gesicht. Die dunkle Sonnenbrille würde ein Übriges tun.

      Im Prinzenpark war Hochbetrieb, Jungfamilien ohne Ende, man hätte ohnehin nicht joggen können. Höchstens Hindernislauf, alle fünf Meter musste man über einen Buggy springen. Ich wanderte die Wege entlang, zunächst die sonnigen, und spürte, wie langsam aller Ärger über Hochzeit, Rosen, leeren Kühlschrank und diesen Gauner Andi von mir abfiel und sich friedlich gute Laune in mir breit machte.

      Mittlerweile sah ich sogar die vielen Familien mit Gelassenheit, obwohl mich diese Haltung Platz da, wir haben Kinder, also sind wir die besseren Menschen schon aufregte. Immerhin kriegte ich heute kein Eis von einem aufgeregten Wackelzwerg ans Hosenbein. Bis jetzt wenigstens nicht.

      Am Teich blühten noch späte Tulpen in allen Farben. Ich setzte mich kurz auf eine Bank gegenüber einer Reihe fast schwarzer, leider schon ziemlich verwelkter Tulpen und betrachtete sie etwas geistesabwesend, dann lehnte ich mich zurück und genoss die Frühlingssonne. Endlich mal kein Regen!

      Ich überlegte gerade träge, ob ich mich in aller Öffentlichkeit rekeln und strecken konnte wie eine Katze oder ob das blöd aussah, als eine dunkle Stimme mit etwas ungläubigem Ton fragte: „Frau Engelmann?“

      Das klang, als wollte er sagen Was wollen Sie denn hier?

      Ich setzte mich auf und riss mir die Brille von der Nase. Die plötzliche Helligkeit ließ mich blinzeln, aber nach einem Moment bestätigte sich der akustische Eindruck auch optisch: Rosen. Was wollte der denn hier?

      „Dr. Rosen?“, fragte ich dämlich.

      Er nickte. Auch nicht gerade intelligent, schließlich war das ja eher rhetorisch gemeint gewesen. Tja, und jetzt? Schönes Wetter heute?

      Verdammt, was sollte ich mit ihm reden? Ein Königreich für etwas Geistreiches! „Endlich regnet es mal nicht“, stellte Rosen in diesem Moment fest. Gott sei Dank, er war genauso blöd wie ich. Aber er war trotzdem hinreißend, in Jeans und einer Bomberjacke, in der ihm scheißwarm sein musste.

      „Ja, deshalb ist es heute wohl auch so voll hier“, ging ich eifrig darauf ein.

      „Störe ich Sie?“

      „Himmel, nein. Ich habe eher die vielen Familien gemeint. Die müssen schließlich auch mal raus.“ Toll, als ob man die sonst hinter Gittern halten müsste! Er guckte schon wieder so pikiert.

      „Gehen Sie oft hier spazieren?“, fragte ich also, in der Hoffnung, das wenigstens sei unverfänglich.

      „Ja, in meiner Freizeit.“ Himmel, der Mann war dumm. Schlicht und einfach dumm. Ich hatte doch nicht geglaubt, er trabe hier in seiner Arbeitszeit herum, da sah ich ihn schließlich in der Firma!

      „Warum erstaunt Sie das?“, fuhr er fort. „Erstaunt? Wieso sollte mich das erstaunen? Ich gehe selbst gerne spazieren.“

      Er verzog das Gesicht. „Ist doch gesund. Und nicht so anstrengend wie echter Sport“, fuhr ich fort. „Joggen oder so was ist mir zu lästig.“ Warum erzählte ich ihm das? Jetzt hielt er mich