Tote Gäste. Elisa Scheer

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Название Tote Gäste
Автор произведения Elisa Scheer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783737562577



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Augen.

      Jetzt verstand ich gar nichts mehr. „Bitte?“

      „Sie wissen genau, was ich meine“, behauptete er und wandte sich grußlos ab. Ich war stark in Versuchung, eine Bierdose aus dem Papierkorb neben der Bank zu fischen und sie ihm von hinten an den Kopf zu werfen, aber ich beherrschte mich.

      Was hatte er denn zum Schluss gemeint? Litt der Kerl an Verfolgungswahn? Glaubte er, alle Welt mache geheimnisvolle Anspielungen? Worauf denn, um Himmels Willen? Darauf, dass er ein Bein etwas nachzog? Deshalb konnte er doch spazieren gehen. Joggen vielleicht nicht, aber das war doch auch wirklich blöd! Wenn er dermaßen empfindlich war, konnte er mir gestohlen bleiben!

      Ich seufzte. Wie die Sonne auf seinem Haar gespielt hatte – braun und grau, aber gesund und glänzend. Und diese kalten grauen Augen. Einmal wollte ich doch sehen, wie sie warm und weich wurden... Außerdem war er hinreißend groß. Kleine Männer – kleiner als ich – kamen überhaupt nicht in Frage, auch wenn das oberflächlich und dumm war; ich wollte wenigstens physisch zu einem Mann aufsehen können. Aber große Männer mit grauen Augen gab´s ja nun so selten auch wieder nicht, also was hatte Rosen eigentlich so Besonderes? Ich wusste es auch nicht. Vielleicht diese undefinierbare Aura, die ihn umgab. Unnahbarkeit – ja, Einsamkeit.

      War es bloß Mitleid, was mich antrieb? Kaum, dann würde ich mich doch nicht dauernd über ihn aufregen, überlegte ich und verdrängte den Gedanken, dass das nun auch nicht gerade logisch war. Vielleicht Jagdfieber – dem Unnahbaren nahe zu kommen? Eine Herausforderung? War es nicht mehr? Würde mein Interesse erlahmen, wenn ich das Wild zur Strecke gebracht hatte? Das schaffte ich doch sowieso nicht!

      Ich schloss die Augen und dachte mir Szenen aus, in denen er sich mir zuwenden konnte – eine Konferenz, bei der ich als einzige ihm Recht gab... ich fand den einzigen Arzt, der ihm den Gebrauch seines Arms und seines Beins wiedergab... Blödsinn, ich wollte doch nicht seine Dankbarkeit!

      So was tötete bloß jedes Gefühl ab. Und wenn er mich irgendwo in einer aufregenden Situation überraschte? Wo denn? Sollte ich mich auf der Herrentoilette bei TechCo umziehen, damit er mich erwischte? Bei meinem Glück kam dann der dämliche Grützmeier rein und fühlte sich angesprochen! Oder Schmitt dachte, ich hätte sie nicht mehr alle, und feuerte mich. Keine gute Idee.

      Wir trafen uns in einer Disco und durch einen blöden Zufall wurden wir gezwungen, miteinander zu tanzen. Und mein Parfum machte ihn total an...

      Ja, sicher. Rosen in einer Disco? Tanzen mit dem Bein? Und mein Allerweltsparfum (Zitrone/Mandelblüte) als Aphrodisiakum? Schwacher Versuch.

      Über ein Gespräch? Man schloss uns aus Versehen in der Firma ein und wir mussten miteinander reden... und er entdeckte, dass ich eigentlich eine ganz tolle Frau war...

      Jaja. Wir hatten beide einen Generalschlüssel. Und wenn nicht, würde Rosen sich vor mir wahrscheinlich auf der Herrentoilette verstecken... Scheiße, das alles. Ich konnte ihn nicht kriegen. Allmählich sollte ich mit meinen guten Vorsätzen Ernst machen und ihn mir aus dem Kopf schlagen...

      Andererseits schadete es doch nichts, unglücklich verliebt zu sein – es beschäftigte den Kopf recht angenehm und hatte sonst keine Nebenwirkungen wie eine echte Liebe: kein Kummer, kein Kind, keine Eifersucht...

      Man müsste es nur fertig kriegen, sich auf die angenehmen (und auch so angenehm unrealistischen) Tagträume zu beschränken und sich nicht immer so zu ärgern, wenn man wieder mal mit der Wirklichkeit konfrontiert wurde. Und die Wirklichkeit hieß ja leider, dass er mich nicht leiden konnte – da half alle freundliche Konversation nichts.

      Dass er mich offensichtlich für eine lästige und taktlose Kuh hielt, war schon bitter genug, aber glaubte er wohl auch, dass ich im Job nichts drauf hatte? Darauf musste ich ihn nächster Zeit mal genauer achten. Vielleicht fand er ja, Weiber hatten in Führungspositionen nichts verloren, und war deswegen so wütend auf mich?

      Oder doch bloß, weil er gedacht hatte, ich hätte auf sein Hinken angespielt? Als ob ich nichts Besseres zu tun hätte als mir dumme Sticheleien auszudenken! Und warum sollte ich das überhaupt tun? Einen Moment lang verlor ich mich wieder in einem Tagtraum – er hatte gedacht, ich hätte was gegen Körperbehinderte, und war nur deshalb so pampig zu mir, obwohl er mich in Wahrheit heiß liebte und begehrte... Schluss jetzt, das wurde ja immer bescheuerter! Ich stand auf und schlenderte langsam weiter, eine vergammelte Kastanie vor mir herkickend, bis ich ihr zuviel Schwung verpasste und sie von der Isabellenbrücke in den Prinzenbach kullerte. Egal.

      Und was sollte ich heute noch tun? Und morgen? Heute Abend war ja wenigstens Weibertreff angesagt, aber morgen? Ich hatte eigentlich zu nichts Lust. Lähmte mich die Hochzeit? Oder Rosen? Oder sollte ich einfach mal aufhören, immerzu in mich hineinzuhorchen und meine Befindlichkeiten zu analysieren?

      Vielleicht konnte ich den Keller aufräumen... und die gröbste Scheußlichkeit, die ich fand, liebevoll verpacken und Carla als Hochzeitsgeschenk unterschieben. Wer ein solches Brimborium aufführte, musste sich auch verarschen lassen, fand ich. Und Nina, Silke und Anette fanden das bestimmt auch.

      Vier ausgesucht furchtbare Geschenke, elegant eingepackt und mit verdächtigen Karten, voller Titel – Doktoren, Professoren, Grafen... herrlich, Carla würde rotieren, weil sie sich für den Mist ja bedanken musste und nicht wusste, wer die edlen Spender waren...

      Mir schwebte da schon was vor – ich hatte mal einen Bierwärmer bekommen, geätztes Glas mit Jagdszenen. Und eine Vase, die so mit Porzellanröschen bedeckt war, dass sie von weitem aussah wie eine Skulptur zum Thema „Akne“. Genau, die kannte Carla auch nicht. Wenn sie uns draufkam, fanden wir das Zeug nämlich schnell in Scherben vor unseren Haustüren wieder. Ich kicherte, als ich mir Carla und Paul vorstellte.

      Solange ich auf die Karte nicht Graf Rotz von der Backe schrieb, musste es eigentlich funktionieren. Die anderen hatten bestimmt auch noch entsetzliches Zeug im Keller. Und der Rest konnte bei Gelegenheit mal zum Wertstoffhof. In der Tauschbörse freuten sie sich wirklich über alles!

      Vielleicht fand ich ja den Namen eines echten Adeligen aus der Gegend. Der würde blöd schauen, wenn Carla ihm eine dieser schauderhaften Dankeskarten schickte, wo bloß noch ein Foto des strahlenden Brautpaars reingeklebt werden musste... Halt, nein, wenn ich keine Adresse dazuschrieb... Blödsinn, echte Leute fand man sofort im Internet. Doch lieber erfundene Namen. Friedrich Wilhelm von Häussern-Schnarrburg und Veldern... toll, wie war ich denn jetzt darauf gekommen? Ich dachte fast bis zum Parkausgang darüber nach, bis ich zu dem Schluss gelangte, dass ich eine FDP-Politikerin und einen Grafen aus einem Marlitt-Roman produktiv verwurstet hatte. Hörte sich aber toll an, fand ich. Schade, dass ich nichts zu schreiben dabei hatte!

      Ich memorierte den Namen auf dem Weg nach Hause und hätte dabei fast Florian übersehen, der in der Graf Tassilo-Straße aus seinem Wagen stieg und sich eigentlich nicht besonders zu freuen schien, mich zu sehen. Soo arg sah mein Wochenend-Outfit nun auch wieder nicht aus, fand ich, und Florian machte in ältlichen Jeans, Sneakers und einem Flanellhemd mit weißem T-Shirt darunter auch nur einen höchst durchschnittlichen Eindruck.

      „Was machen Nina und die Kids?“, fragte ich, mehr um des Smalltalks willen, denn so viel hatten wir beide uns noch nie zu sagen gehabt.

      „Die sind die Oma besuchen gefahren, die hat heute Geburtstag.“

      „Ach – und du hast dich gedrückt?“

      Ninas Mutter hielt Florian für ein verzogenes Bürschchen, das sich von Nina von hinten und vorne bedienen ließ, und das brachte sie immer noch gerne zum Ausdruck. „Nein, ich – äh – ich hab hier einen Termin...“

      „Wahrscheinlich Gewerkschaftssachen“, witzelte ich, „sonst arbeitet heute keiner – ist doch Tag der Arbeit!“

      „Äh – ja – nein. Nur eine kurze Besprechung, wegen eines Falls...“

      „Muss ja eine aufregende Sache sein, so wie du herumstotterst. Na, dann lass dich mal von deinen hochwichtigen Sachen nicht abhalten“, antwortete ich, winkte ihm im Weitergehen lässig zu und ging meiner Wege.

      Ob das irgendein Fall war, der die