Belladonnas Schweigen. Irene Dorfner

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Название Belladonnas Schweigen
Автор произведения Irene Dorfner
Жанр Языкознание
Серия Leo Schwartz
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783738044560



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und der Mann schenkte Kaffee ein.

      „Stimmt es also? Kevin Eichinger wurde erstochen? Ich habe schon Gerüchte gehört, aber die Leute reden viel, wenn der Tag lang ist.“

      „Sie kannten den Toten näher?“

      „Sicher kannte ich ihn. Frech war der, frech und unverschämt. Der hatte keinen Respekt, vor niemandem. Weil ich mir nichts gefallen ließ und ihm contra gab, hat er sich immer wieder mit mir angelegt. Er hat mich mehrfach übel beschimpft und mich wiederholt einen Nazi genannt, den man an die Wand stellen sollte. Ja, das hat er gesagt. Dabei bin ich erst 1944 geboren und habe diese ganze Nazizeit überhaupt nicht mitbekommen. Früher war das hier eine ruhige Wohngegend, aber seit diese Eichinger-Sippe hergezogen ist, geht es hier den Bach runter.“ Er schüttelte den Kopf und trank einen Schluck Kaffee. „Die Eichingers sind gleich nach der Wende hier aufgetaucht. Die haben sich von Anfang an keine Mühe gegeben, sich irgendwie anzupassen. Ansprüche haben sie gestellt, und die nicht zu knapp. Immer gab es Ärger mit dieser Sippe. Die Eltern waren schon unsympathisch, aber die Jungs waren noch schlimmer. Es gab keine Schlägerei, in die einer der Eichinger-Jungs nicht verwickelt war. Dann kamen noch mehr Ossis, inzwischen ist das Viertel fast voll von denen. Viele Familien und anständige Nachbarn sind schon weggezogen, nur noch das Gesocks ist übrig geblieben. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich habe nichts gegen die Ostdeutschen, es gibt auch anständige darunter. Zucker?“

      Dieser Nachbar war echt ätzend und voller Vorurteile, aber er war der einzige Zeuge, der ihnen Informationen geben könnte.

      „Wir sind auf der Suche nach Freunden und Bekannten des Toten.“

      „Da gingen viele ein und aus, aber Namen kann ich Ihnen nicht nennen. Auch die Gesichter würde ich nicht wiedererkennen, das waren einfach zu viele. Meist kamen die jungen Leute erst am Abend, und da habe ich mich nicht mehr vor die Tür getraut. Ja, so weit sind wir schon, dass man sich im beschaulichen Altötting am Abend nicht mehr vor die Tür wagt. Und was macht die Polizei? Die ist mit diesen Leuten doch völlig überfordert. Und wenn sie doch mal einen schnappt, ist der schnell wieder auf freiem Fuß, weil unsere Justiz viel zu lasch ist. Aber fragen sie doch in deren Stammkneipe, vorn in der Bierschwemme, da haben sich diese Ganoven immer getroffen. Weiß das die Polizei nicht? Ich kann mir nicht vorstellen, dass das nicht bekannt ist. Früher war ich regelmäßig auf ein Feierabendbier in der Bierschwemme, aber das wurde zu ungemütlich, als sich die Eichingers mit ihren Freunden dort niedergelassen haben. Seitdem gehe ich da nicht mehr hin. Dort ist immer wieder die Hölle los, die Polizei ist Dauergast. Mich würde es nicht wundern, wenn die Eichinger-Brüder für den meisten Ärger verantwortlich wären. Verstehen Sie mich bitte nicht falsch: So traurig Kevins Tod auch ist, bin ich nicht unglücklich darüber. Wenn jetzt auch noch sein Bruder Justin verschwindet, kehrt vielleicht endlich wieder Ruhe ein und man kann abends auch mal wieder auf die Straße. Aber so viel Glück werde ich nicht haben.“

      Die nächste Anlaufstelle war die Polizeiinspektion Altötting. Die Kollegen waren sehr kooperativ, obwohl die Kriminalpolizei allgemein nicht gern gesehen war. Immer wieder gab es Kompetenzschwierigkeiten.

      „Mit den Anzeigen die Bierschwemme betreffend könnten wir einen ganzen Aktenschrank füllen,“ übertrieb der Kollege und zeigte dabei auf Aktenordner hinter ihm. „Es stimmt, dass die Brüder Eichinger mehrfach aufgefallen sind. Aber nur wegen kleinerer Delikte. Streitigkeiten, Beleidigungen, so etwas in der Art. Seitdem Kevin Eichinger vor drei Jahren aus der Haft entlassen wurde, war er relativ sauber. Er ging einer regelmäßigen Arbeit nach. Von seinem Bewährungshelfer Gernot Sporrer haben wir nichts Negatives gehört. Wenn etwas vorgefallen wäre, hätte der sich bei uns gemeldet. Hier ist Sporrers Telefonnummer.“

      „Sie sind sehr gut informiert. Respekt!“

      „Wir kennen unsere Pappenheimer. Ich hatte nicht nur mehrfach persönlich mit den Eichinger-Brüder zu tun, sondern ging sogar mit Kevin zur Schule. Er war damals schon ein ziemlicher Raufbold und Kleinganove. Es war besser, einen weiten Bogen um ihn zu machen.“ Der Polizist lehnte sich zurück und man spürte, dass ihm etwas auf dem Herzen lag. „Es gibt noch etwas, das Sie wissen sollten: In den letzten Tagen wurden uns zwei Vorfälle gemeldet, bei denen auch ein Mann den Helden gespielt hat. Zum einen gab es einen Vorfall auf einem Supermarktparkplatz. Eine Mutter hat ihr Kind beschimpft und ist laut Zeugenaussagen ziemlich ausgerastet. Sie hat ihr Kind nicht nur beschimpft, sondern ihm auch noch vor aller Augen eine Ohrfeige gegeben. Zeugenaussagen zufolge sprang ein Mann hinter einem parkenden Auto hervor und hat der Frau einen kräftigen Schlag versetzt. Der Marktleiter hat die Polizei gerufen, ich war selbst vor Ort. Die Mutter war vollkommen aufgelöst und hat durch den Schlag eine Platzwunde am Auge davongetragen. Die Zeugen konnten den Mann nicht beschreiben, es ging alles viel zu schnell. Nach der Aktion war er sofort wieder verschwunden. Übereinstimmend war die Aussage, dass der Mann schwarz gekleidet war und eine Mütze trug, die er tief ins Gesicht gezogen hatte. Der andere Vorfall war vor vier Tagen vor dem Altenheim in der Mühldorfer Straße. Junge Leute haben eine gehbehinderte Frau geärgert. Daraufhin kam wieder wie aus dem Nichts ein Mann hinzu, der die jungen Leute vertrieben hat. Einer der Jungs fiel der Länge nach auf die Straße und hat sich dabei leicht verletzt.“

      „Und wieder keine genauere Beschreibung?“

      „Wieder nur die Angabe, dass der Mann schwarz gekleidet war und sofort verschwunden war.“

      „Und es ist sicher, dass es sich in den beiden Fällen um einen Mann gehandelt hat?“

      „So waren die Aussagen, verlassen würde ich mich darauf nicht. Fakt ist, dass in beiden Fällen eine dunkel gekleidete Person plötzlich aufgetaucht ist, geholfen hat und dann schnell wieder verschwunden war. Wir haben die betroffenen Personen und auch Zeugen mehrfach befragt, mehr Informationen waren nicht drin. Ich persönlich bin der Meinung, dass es sich in beiden Fällen um dieselbe Person handelt. Ich dachte, diese Information könnte interessant für Sie sein.“

      „Sie meinen, wir haben es im vorliegenden Mordfall an Kevin Eichinger mit dieser Person zu tun?“

      „Könnte doch sein, oder? Schon der dritte Fall, in dem ein Retter zur Hilfe kam, das kann doch kein Zufall sein! Und wenn das nicht die einzigen Fälle waren? Wenn dieser vermeintliche Retter schon öfter eingeschritten ist, ohne dass wir davon was wissen?“

      „Danke für die Info, das klingt alles sehr interessant. Was können Sie uns über Martin Mahnstein sagen?“

      „Der Martin ist im Grunde genommen ein ganz netter Kerl. Er spielt gerne den Superhelden und es gibt Leute, die sich vor ihm erschrecken. Ich persönlich halte ihn für absolut harmlos. Allerdings haut er öfter ab und streift ohne Begleitung durch Altötting. Ich habe ihn selbst schon hilflos aufgegriffen. Er ging einfach mit jemandem mit und hat dann nicht mehr nach Hause gefunden. Wenn Sie mich fragen, ist seine Mutter mit ihm überfordert. Martin gehört in eine professionelle Einrichtung. Aber zum Glück muss ich das nicht entscheiden, das ist nur meine persönliche Meinung.“

      Nachdem Leo seinen Chef und auch Viktoria und Werner telefonisch über die beiden Vorfälle in Altötting unterrichtet hatte, die ebenfalls mit einem vermeintlichen Retter zu tun hatten, rief er den Bewährungshelfer Sporrer an, der gerade auf dem Sprung war und einen Termin außer Haus hatte. Als er hörte, dass sein Schützling Kevin Eichinger ermordet wurde, war er sehr betroffen. Er wollte auf die Polizisten warten und selbstverständlich sofort mit ihren sprechen.

      Eichingers Akte lag auf dem Tisch, als die Polizisten eintraten. Sporrer gab freimütig Auskunft.

      „Kevin Eichinger war kein leichter Charakter. Er kam nie damit zurecht, dass er damals als Jugendlicher seine Heimat in Ostdeutschland verlassen musste. Ich kann das sehr gut verstehen, ich habe selbst einen ähnlichen Hintergrund. Ich komme aus Chemnitz und auch ich wollte dort nicht weg, schließlich ist das Heimat und die verlässt man nicht einfach so. Aber das Leben stellt nun mal seine Weichen. Nach meinem Studium wurde mir die Stelle hier in Altötting angeboten und ich war sehr froh über diese Chance. Ursprünglich wollte ich nur eine kurze Zeit bleiben, daraus sind nun fast 15 Jahre geworden. Inzwischen gefällt es mir hier sehr gut. Aber ich schweife ab. Sie sind wegen Kevin Eichinger hier und nicht wegen meiner persönlichen Lebensgeschichte. Kevins Eltern wollten damals nach