Belladonnas Schweigen. Irene Dorfner

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Название Belladonnas Schweigen
Автор произведения Irene Dorfner
Жанр Языкознание
Серия Leo Schwartz
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783738044560



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Anschluss, er war auch ein sehr schlechter Schüler. Er rutschte ab und geriet in Kreise, die ihn immer weiter herunterzogen. Eine Straftat zog die andere nach sich und die Knastaufenthalte häuften sich. Aber seit drei Jahren war Kevin Eichinger sauber. Er ging einer geregelten Arbeit nach, es gab nie Beschwerden. Sie kennen den Arbeitgeber?“

      „Ja. Unsere Kollegen sind bereits vor Ort. Sie haben einen engeren Kontakt zu Kevin Eichinger gepflegt?“

      „Das handhabe ich so, obwohl das nicht üblich ist. Meine Kollegen halten nur sporadisch Kontakt zu ihren Schützlingen, manche kennen sie nicht einmal persönlich. Ich mache meinen Job aus Leidenschaft und sehe immer das Gute im Menschen, auch wenn alles noch so hoffnungslos scheint. Außerdem bin ich davon überzeugt, dass bei engem Kontakt Straftaten verhindert oder zumindest erschwert werden. Das bedeutet zwar einen umfangreichen Zeitaufwand meinerseits, aber den nehme ich für die gute Sache gerne in Kauf.“

      „Sie kennen auch Kevins Bruder Justin?“

      „O ja, den durfte ich kennenlernen und ich halte nichts von ihm. Justin war kein guter Umgang für Kevin. Ich kann offen sprechen? Justin ist ein ganz labiler Charakter, der mir große Bauchschmerzen verursacht. Wenn Sie mich fragen, bewegt er sich in Kreisen, die es einem schwer machen, sauber zu bleiben. Ich befürchte bei ihm das Schlimmste. Aber Justin ist nicht mein Schützling und deshalb ist es nicht meine Aufgabe, mich um ihn zu kümmern.“

      „Noch etwas, das für uns wichtig wäre?“

      Sporrer schüttelte den Kopf und sah auf die Uhr.

      „Wenn wir hier fertig sind, müsste ich los. Hier ist meine Karte.“

      Der nächste Weg führte sie in die Bierschwemme, in der um diese Uhrzeit schon einiges los war. Vier Tische waren besetzt und der Mann hinter der Theke war gerade dabei, die Gläser des Vorabends zu spülen. Leo und Hans zeigten ihre Ausweise.

      „Sie sind wegen Kevin Eichinger hier? Ich habe von dem Mord gehört, kann dazu aber nichts sagen.“ Der Inhaber Stefan Amann war zwar nicht unfreundlich, aber man merkte deutlich, dass er die Polizei nicht mochte und nicht gewillt war, Auskunft zu geben. Trotzdem bohrte Leo nach, so schnell wollte er nicht aufgeben.

      „Uns ist zu Ohren gekommen, dass Kevin Eichinger immer wieder auffällig geworden ist?“

      Amann schüttelte den Kopf und spülte ungehindert weiter.

      „Nicht mehr wie andere auch. Ich kann über Kevin nichts Negatives sagen.“

      „Und über seinen Bruder Justin?“

      „Auch er ist ein gern gesehener Gast, über den ich nur Gutes zu berichten habe.“

      „Jetzt spielen Sie doch hier nicht den Ahnungslosen, Amann. Wir haben die Akten der Polizei über die Vorkommnisse hier in der Bierschwemme gesehen. Sie tun ja gerade so, als wenn wir hier von braven Bürgern sprechen.“

      „Sicher gab es das eine oder andere. Aber ich muss mich wiederholen: Mit den beiden gab es nicht mehr Probleme als mit anderen.“

      „Mit wem war Kevin Eichinger befreundet?“

      „Das kann ich Ihnen nicht sagen. Mal saß Kevin mit den einen am Tisch, mal mit den anderen, das wechselte ständig.“

      „Erzählen Sie uns doch keinen Blödsinn! Nach unseren Informationen war Kevin Eichinger Dauergast in Ihrem netten Etablissement.“

      „Hören Sie. Ich habe hier noch etwas anderes zu tun, als mich darum zu kümmern, wer mit wem zusammensitzt. Ich habe meine Aussage gemacht. Und wenn die Ihnen nicht passt, kann ich Ihnen auch nicht helfen, mehr weiß ich nun mal nicht. Was meine Kneipe betrifft, erfülle ich alle mir gestellten Auflagen und zahle pünktlich meine Steuern, mehr bin ich dem Staat nicht schuldig.“

      Viktoria und Werner parkten ihren Wagen direkt neben der Staubsauger-Station der Tankstelle in Neuötting. Nach ihren Informationen arbeitete Kevin Eichinger seit drei Jahren hier.

      „Kripo Mühldorf. Wo finden wir den Chef?“, fragte Viktoria die junge Frau hinter der Kasse, die herzhaft gähnte und mit überlangen, funkelnden Fingernägeln in ihr Handy tippte. Ohne eine Antwort zeigte sie nur auf eine Metalltür, wobei sie den Blick immer auf dem Display ihres Handys hatte. Die Frau war ja ein echtes Herzchen. Hinter der Metalltür befand sich ein schmuddeliger Aufenthaltsraum, der wiederum direkt in die Werkstatt führte. Ein älterer Mann stand an der Werkbank.

      „Kripo Mühldorf, mein Name ist Untermaier, das ist mein Kollege Grössert. Sie sind der Besitzer der Tankstelle?“

      „Besitzer wäre gut, ich bin lediglich der Betreiber. Kurz mein Name, Berthold Kurz. Was will die Kripo von mir?“

      „Wir sind wegen Kevin Eichinger hier.“

      „Hat er etwas angestellt?“

      „Er wurde getötet.“

      „Kevin ist tot? Das darf doch nicht wahr sein!“ Die Reaktion war nicht gespielt, Kurz wusste noch nichts vom Tod seines Mitarbeiters. „Ich habe mich schon gewundert, warum er heute nicht zur Arbeit erschienen ist und habe mehrfach versucht, ihn zu erreichen. Ich dachte, er hätte verschlafen. Deshalb habe ich heute meine Tochter Corinna eingesetzt, die deshalb stinksauer ist. Sie ist im Kundenverkehr eine Katastrophe. Aber was soll ich machen?“ Kurz trank einen Schluck Kaffee und schüttelte den Kopf. „Nie im Leben hätte ich damit gerechnet, dass Kevin tot ist. Was ist denn in Gottes Namen passiert?“

      „Er wurde erstochen. Hatte er mit irgendjemandem Streit? Ist Ihnen in letzter Zeit etwas aufgefallen?“

      Kurz schüttelte den Kopf.

      „Kevin war trotz seiner Vorgeschichte zuverlässig, fleißig und bei meinen Kunden sehr beliebt. Es gab nie Ärger mit ihm. Anfangs war ich nicht gerade begeistert, einen Exknacki einzustellen, habe aber für den Job und die miese Bezahlung niemand anderen gefunden. Heute möchte sich keiner mehr freiwillig die Hände schmutzig machen. Außerdem ist die Unterstützung vom Staat fast genauso hoch wie der Verdienst. Da bleiben die meisten doch lieber zu Hause, liegen den ganzen Tag auf der Couch und glotzen in den Fernseher. Aber mehr als den Mindestlohn kann ich leider nicht bezahlen, dafür wirft die Tankstelle und die kleine Werkstatt viel zu wenig ab.“ Berthold Kurz ließ aus dem alten Kaffeeautomaten frischen Kaffee in seinen schmuddeligen Kaffeebecher und schüttelte immer wieder den Kopf. „Der Kevin ist tot. Das kann ich kaum glauben. Ich habe einen sehr wertvollen Angestellten verloren. Jetzt muss ich wieder lange suchen, bis ich für den Hungerlohn einen adäquaten Ersatz gefunden habe.“

      „Gibt es auf Ihrem Firmengelände Überwachungskameras?“

      „Natürlich, welche Tankstelle hat die nicht? Schon seit Jahren häufen sich wegen der hohen Spritpreise die Tankdiebstähle, dagegen muss man was tun. Schließlich bleiben wir Betreiber auf den Kosten sitzen, wenn wir den Diebstahl nicht beweisen können. Wir Tankstellen-Betreiber können nun wirklich am wenigsten für die Preispolitik im Ölgeschäft, uns fragt doch niemand. Wir müssen die Preise hinnehmen, die die großen Konzerne bestimmen. Dafür bekommen wir den Ärger der Kunden ab. Als ob wir durch das Tanken reich werden! Glauben Sie mir, das ist eine der undankbarsten Branchen überhaupt.“

      „Würden Sie uns die Aufzeichnungen der Überwachungskameras überlassen?“

      „Wenn Sie mir einen offiziellen Gerichtsbeschluss zeigen, gerne. Ich weiß, dass das nicht gerade für mich spricht, aber ich habe schlechte Erfahrungen mit der Polizei gemacht.“

      Berthold Kurz sah den beiden Polizisten hinterher. Mit Kevin selbst kam er prima zurecht. Seine kleinen Geschäfte, die er nebenher abwickelte, nahm er ohne nachzufragen hin. Schließlich hatte auch er selbst eine Nebentätigkeit, mit der er sich ein Zubrot verdiente. Er wollte nicht wissen, was Kevin machte und es ging ihn auch nichts an. Zumindest so lange nicht, wie diese Geschäfte seine Arbeit nicht beeinträchtigten. Es gab nur ab und zu Ärger, wenn Kevins Freunde und vor allem sein Bruder vorbeikamen. Das waren echt gefährliche Typen, die sich einen Spaß daraus machten, Kunden anzupöbeln und zu erschrecken. Zum Glück hielten sich diese Besuche in Grenzen und Kevin konnte die Situation immer schnell klären.