Belladonnas Schweigen. Irene Dorfner

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Название Belladonnas Schweigen
Автор произведения Irene Dorfner
Жанр Языкознание
Серия Leo Schwartz
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783738044560



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teuren Anzug anschmachtete. Werner hatte bisher keinen Ton von sich gegeben und musste sich zwingen, ernst und interessiert zu bleiben. „Du kennst die Rosi besser, bist ja auch hier aufgewachsen und kennst die ganze Gschicht. Ich weiß ja nicht viel, leb ja noch nicht so lange hier,“ fügte sie hinzu.

      „O Sieglinde, stell dich doch nicht so unwissend und dumm! Jeder weiß, was die Rosi macht, das ist doch kein Geheimnis mehr. Außerdem bist du auch eine gebürtige Kastlerin und weißt genauso wie ich schon lange, was es mit der Heidrun und dann mit ihrer Nichte Rosi auf sich hat.“ Sieglinde Bergmann war beleidigt über die direkte Art ihrer Nachbarin und verschränkte die Arme vor der Brust, wobei sie Monika Seligmann einen verächtlichen Blick zuwarf. Aber der war das egal, sie redete einfach weiter. „Wissen Sie, die Rosi ist den Kastlern seit vielen Jahren ein Dorn im Auge. Vor über dreißig Jahren hat sie das Haus von ihrer Tante Heidrun geerbt. Die Heidrun habe ich noch gekannt, des war ganz eine fesche Frau. Als Kind hab ich sie immer bewundert und ging oft heimlich zu ihr, die Eltern hatten es mir verboten. Damals habe ich das nicht verstanden, ich war ja noch klein. Die Heidrun hat immer so leckeren Kakao gemacht, außerdem hatte sie die süßesten und saftigsten Birnen von ganz Kastl. Der Baum steht heute noch, der dort hinten im Eck ist es. Und schöne Geschichten konnte sie erzählen, das war echt klasse.“ Frau Seligmanns Augen glänzten.

      „Ja das stimmt,“ sagte Sieglinde Bergmann fast wehmütig. „Die Heidrun konnte sehr gut mit Kindern, das war eine schöne Zeit. Mein Onkel hat uns Kindern natürlich verboten, dass wir Kontakt zur Heidrun haben, wir durften nicht mit ihr sprechen, sie nicht einmal grüßen. Aber mei, wie die Monika schon gesagt hat: Damals waren wir noch jung und dumm.“

      „Später haben wir mitbekommen, dass über die Heidrun gesagt wird, dass sie eine Hure sei. Dann haben wir sie natürlich nicht mehr besucht. Mit so einer darf man sich doch nicht sehen lassen, man hat ja einen Ruf zu verlieren und wollte mit so einer nicht in Verbindung gebracht werden. Die Heidrun war immer eine Einzelgängerin und gehörte nicht in die Kastler Gemeinschaft. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass ich sie auf einem Fest oder in der Kirche gesehen hätte. Ich glaube, das hätte auch niemand geduldet. Eines Tages hat sich die Heidrun in ihrem Haus aufgehängt. Warum, weiß man nicht.“

      Viktoria und Werner konnten sich lebhaft vorstellen, warum sich die Frau das Leben nahm, denn das muss für sie unerträglich gewesen sein, wie sie behandelt wurde. Aber wegen dieser Heidrun waren sie nicht hier.

      „Und das Haus hat dann die Nichte Rosi Bofinger geerbt?“, half Werner den Damen auf die Sprünge.

      „Ja. Die Rosi war keine hiesige, sie kam aus Burghausen. Eigentlich haben wir alle damit gerechnet, dass das Haus abgerissen wird. Wer will freiwillig in einem Haus leben, in dem sich einer umgebracht hat? Ich nicht! Statt einem Abrissunternehmen stand eines Tages ein Umzugswagen genau hier, wo wir jetzt stehen. Und seitdem lebt die Rosi in diesem unheimlichen Haus, in dem es ganz bestimmt spukt. Die Rosi war anfangs nicht so wie ihre Tante Heidrun. Sie war anständig und hat auch versucht, Anschluss zu finden. Sie hat damals regelmäßig den Gottesdienst besucht und war sogar Mitglied im Kastler Sportverein; ich habe sie dort selbst einige Male gesehen. Ob sie heute noch Mitglied ist, weiß ich nicht. Was ich ganz sicher weiß ist, dass sie eine Anstellung bei der Ziegelei gefunden hat und das erste Jahr dort arbeitete. Das weiß ich genau, weil mein Bruder mit ihr zusammengearbeitet hat und beide gleichzeitig ihre Arbeit verloren haben, weil die Ziegelei zugesperrt hat. Mein Bruder hat seit damals in der Arbeitswelt nicht mehr Fuß fassen können und wurde schwermütig.“

      „Schwermütig ist gut,“ lachte Frau Bergmann. „Der Bartl hat gesoffen wie ein Loch. Jeden Tag musste man ihn quasi vom Wirt heimtragen. Und er hat bis zu seinem Tod von der Stütze gelebt, auch die hat er regelmäßig versoffen. Beschönige doch nichts, du musst der Polizei schon die Wahrheit sagen.“

      „Erstens soll man über Tote nichts Schlechtes sagen,“ fauchte Frau Seligmann. „Und zweitens geht es hier nicht um meinen Bruder, sondern um die Rosi.“

      „Mein Mann hat damals jedenfalls sehr schnell wieder Arbeit gefunden, nachdem auch er seine Arbeit in der Ziegelei verloren hat,“ warf Frau Bergmann noch nach, die sich den kleinen Seitenhieb nicht verkneifen konnte.

      „Halt doch dein Schandmaul,“ fauchte Frau Seligmann zurück. „Die Rosi hat damals die Arbeit verloren und hat mit der Hurerei angefangen. Nicht diskret wie damals ihre Tante Heidrun, sondern ganz offen. Hier, mitten in unserem Dorf, das muss man sich mal vorstellen! Sie nannte sich auf einmal Belladonna, hat in der Zeitung inseriert und immer ihre kleinen Werbezettel verteilt. In jedem Briefkasten tauchten ihre Schmuddelwerbungen auf. Ich weiß noch, wie ich damals erschrocken war, als ich den ersten Werbezettel aus dem Briefkasten geholt habe. Natürlich habe ich die alle immer sofort weggeworfen. Diese Werbeaktionen waren mehrfach Thema bei den Gemeindeversammlungen. Wir wollten dafür sorgen, dass diese Art Werbung verboten wird, aber wir konnten nichts dagegen machen. Können Sie sich das vorstellen? Ja, die Rosi war echt dreist. Früher stand sie immer an der Dorflinde, wenn sie frei war. Die Männer hielten mit ihren Autos direkt neben ihr. Das macht sie schon lange nicht mehr. Heute verabredet sie sich bestimmt übers Handy oder übers Internet, das ist wenigstens diskret. Wenn sie an der Dorflinde stand, war das für alle Kastler sehr peinlich.“

      „Das stimmt, was die Monika sagt. Die Rosi stand früher fast jeden Abend an der Dorflinde, da kann ich mich noch gut daran erinnern.“

      „Denkst du, ich erzähle der Polizei Unsinn? Natürlich stimmt es, was ich sage! Die Rosi macht keinen Unterschied, wie alt die Männer sind, teilweise sind das noch Kinder. Die Frau nimmt alle. Hauptsache, es bringt Geld.“

      „War dein Georg nicht auch bei ihr?“, stichelte Sieglinde Bergmann.

      „Jetzt ist aber mal genug. Der Georg war nie bei ihr! Das haben die Leute nur erzählt, weil sie uns schaden wollten, als wir unser Haus umgebaut haben und alle auf uns neidisch waren. Außerdem musst du gerade reden! Dein Sohn war damals einer der ersten Stammkunden bei ihr.“

      Viktoria befürchtete, dass das hier gleich in einen handfesten Streit ausarten würde. Aber sie musste nicht einschreiten, das Problem erledigte sich von selbst. Auf einem Fahrrad kam eine hübsche Mittfünfzigerin auf sie zu geradelt.

      „Griaß di Rosi, die Polizei ist hier und möchte dich sprechen,“ sagte Sieglinde Bergmann überfreundlich.

      „Griaß di Rosi,“ rief Monika Seligmann ebenso freundlich. „Wir haben nichts erzählt. Wir sind beide nur zufällig hier.“

      Die überaus adrette Rosi Bofinger stellte ihr Fahrrad ab und sagte kein Wort. Sie gab den Polizisten ein Zeichen, ihr ins Haus zu folgen. Die beiden Damen Bergmann und Seligmann machten keine Anstalten, nach Hause zu gehen, sondern standen noch lange zusammen und tauschten die neuesten Neuigkeiten aus. Außerdem mussten sie abwarten, ob die Rosi verhaftet wurde, denn damit rechneten sie fest. Erst dann konnten sie diese Neuigkeit ihrerseits weitertragen.

      „Was haben die beiden Tratschtanten erzählt? Sicher haben sie sich über mich das Maul zerrissen.“ Ungefragt schaltete Rosi die Kaffeemaschine ein und Viktoria konnte sich ein Bild vom Inneren des Hauses machen. Entgegen dem äußeren Eindruck des Hauses war es im Inneren sauber, ordentlich, modern und sehr gemütlich. Außerdem roch es hier phantastisch. Rosi spürte, was in Viktorias Kopf vorging.

      „Ich bin sehr stolz auf mein Haus, obwohl meine Hausfassade und der Garten echt schlimm aussehen. Das lasse ich absichtlich so, um meine Nachbarn zu ärgern. Ich brauche auch meinen Spaß.“ Sie erzählte von einigen Begebenheiten. Viktoria hing förmlich an den Lippen der Frau, die eine unglaubliche Ausstrahlung hatte. Sie war charmant, amüsant und zog einen sofort in ihren Bann. Sie fühlte sich wohl in ihrer Gesellschaft und hätte gerne noch sehr viel länger mit der Frau geplaudert.

      „Was will die Polizei von mir? Das Gewerbe ist angemeldet, meine Mitarbeiterinnen und ich kommen allen Auflagen pünktlich nach. Außerdem zahle ich meine Steuern im Voraus, und das nicht zu knapp.“

      „Sie haben Mitarbeiterinnen?“

      „Zwei Teilzeitkräfte. Ich würde sie gerne in Vollzeit beschäftigen, Arbeit ist genug da. Aber die beiden möchten nicht, müssen sich immer noch davonstehlen