Belladonnas Schweigen. Irene Dorfner

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Название Belladonnas Schweigen
Автор произведения Irene Dorfner
Жанр Языкознание
Серия Leo Schwartz
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783738044560



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noch keinen Ersatz bekommen hatte.

      „Dazu habe ich eine sehr gute Nachricht: Am Montag kommt der Kollege Grössert wieder zu uns.“ Krohmer sah auf die Uhr, es war heute wieder spät geworden. „Machen Sie Ihre Berichte noch fertig und gehen Sie dann nach Hause, morgen ist auch noch ein Tag. Es versteht sich von selbst, dass wir alle auf den Feiertag keine Rücksicht nehmen können.“

      Die Nachricht Werner Grössert betreffend wurde freudig aufgenommen, denn er gehörte zum Team und war wegen seiner Frau vom Dienst freigestellt. Sie hatte trotz ihrer schweren Krankheit ein Kind bekommen und hatte die Geburt nur knapp überlebt. Natürlich war Werner nicht von der Seite seiner Frau gewichen und kümmerte sich während der Genesungszeit seiner Frau um die kleine Tochter. Ursprünglich hieß es, dass Grössert vor August nicht wieder zum Dienst erscheinen würde. Wenn der 40-jährige Kollege jetzt wieder zum Dienst erschien, musste es seiner Frau hervorragend gehen. Krohmer hatte erst vor zwei Stunden die freudige Nachricht bekommen und konnte somit die mühevolle Suche nach einem Ersatz einstellen.

      Die Berichte waren fertig und nachdem klar war, dass auf Martins Kleidung keine Spuren des Opfers gefunden wurden, konnte Martin mitsamt seinem Kostüm wieder nach Hause. Alle waren erleichtert. Frau Gutbrod hatte sich mit ihm beschäftigt, ihm das ganze Polizeigebäude gezeigt, ihm alle anwesenden Kollegen vorgestellt und mit ihm gespielt und gezeichnet. Martin wurde müde und als Fuchs die freudige Nachricht übermittelte und Martin sein Kostüm wieder anziehen durfte, freute sich Martin auf seine Mutter und auf sein Zuhause. Es war noch nie vorgekommen, dass er so lange von daheim weg war. Frau Gutbrod fuhr ihn persönlich nach Hause, wo ihn seine Mutter schon sehnsüchtig erwartete.

      „Hat es sich herausgestellt, dass mein Martin unschuldig ist?“

      „Ja, Sie können ganz beruhigt sein. Geben Sie ihm morgen den Jogginganzug, den darf er gerne behalten. Sie haben einen sehr lieben Sohn, ich habe ihn sofort in mein Herz geschlossen.“

      Frau Mahnstein war überglücklich, als sie Martin ins Bett brachte. Die wildesten Gedanken gingen ihr in den letzten Stunden durch den Kopf. Das waren die schlimmsten Stunden ihres Lebens.

      Hans und Leo fuhren am nächsten Tag direkt nach Altötting, um Befragungen im Umfeld des Opfers Kevin Eichinger vorzunehmen. Die beiden arbeiteten schon seit einigen Wochen hervorragend zusammen und hofften, dass das auch nach Grösserts Rückkehr so bleiben würde.

      Viktoria saß allein im Büro und war sauer, denn allein konnte sie nicht losziehen, das hatte der Chef ausdrücklich verboten. Normalerweise hätte sie darauf gepfiffen, aber das Milieu um das Opfer war ihr zu unheimlich, das traute sie sich allein nicht zu. Sie griff zum Telefon.

      „Werner? Hier Viktoria. Würde es dir etwas ausmachen, heute schon zum Dienst anzutreten? Dein Ersatzmann ist wieder zurückbeordert worden und wir stehen wegen einem neuen Mordfall ganz schön auf dem Schlauch. Ich weiß, dass das sehr viel verlangt ist.“

      „Das könnte ich einrichten. Was liegt an?“

      „Das erzähle ich dir unterwegs. Ich bin in 15 Minuten bei dir.“

      Viktoria freute sich auf Werner, der bereits in einem sehr teuren Anzug wie aus dem Ei gepellt vor dem Haus stand. Werner Grössert stammte aus einer reichen Mühldorfer Anwaltsfamilie, die wegen der Wahl seiner Frau und auch wegen seiner Berufswahl nicht gut auf ihren Sprössling zu sprechen war. Der Polizeidienst war unter ihrem Niveau. Aber durch die Geburt der Tochter hatten sich die Wogen etwas geglättet.

      Nach einer herzlichen Begrüßung berichtete Viktoria ausführlich, worum es in dem Mordfall ging. Sie informierte Leo und Hans, dass Werner bereits heute schon mit an Bord war und sie die Befragungen aufteilen konnten, worüber die anderen nicht unglücklich waren. Leo und Hans übernahmen die Familie des Toten, Viktoria und Werner fuhren zu dessen Arbeitsstelle.

      Eltern hatte das Opfer keine mehr, aber einen Bruder. Justin Eichinger war 34 Jahre alt, ebenfalls mehrfach vorbestraft und empfing die Polizisten in Jogginghose und Unterhemd mit äußerstem Misstrauen. Nur sehr ungern ließ er die Polizisten zu dieser unchristlichen Zeit in die kleine, unordentliche Wohnung, in der es nach Zigaretten und bissig nach Katzenpisse stank. Leo und Hans verzichteten darauf, sich zu setzen. Justin Eichinger war gestern Abend sehr schnell am Tatort gewesen und Hans hatte bereits das Vergnügen mit ihm. Polizisten mussten ihn mehrfach zurückhalten und Viktoria hätte nicht übel Lust gehabt, den unsympathischen, angetrunkenen Mann in Handschellen abführen zu lassen, denn er benahm sich sehr flegelhaft. Er behinderte die Polizisten bei ihrer Arbeit, schrie und schimpfte, und fing mit jedem Streit an, der ihn irgendwie unpassend ansah. Aber heute war er erstaunlich ruhig und man konnte einigermaßen vernünftig mit ihm sprechen, was wahrscheinlich daran lag, dass er heute nüchtern war.

      „Haben Sie das Schwein schon, das meinen Bruder kalt gemacht hat?“

      „Wir sind mit unseren Ermittlungen erst am Anfang. Hatte Ihr Bruder Feinde?“

      „Nein. Kevin war überall beliebt und hat anständig gelebt. Ich verstehe nicht, warum ihn jemand einfach so abgestochen hat.“

      „Nun bleiben wir mal bei der Wahrheit, Herr Eichinger. Ihr Bruder war kein Unschuldslamm. Als er erstochen wurde, war er gerade dabei, seine Freundin auf offener Straße grün und blau zu schlagen. Sie haben sie doch selbst gesehen!“

      Justin Eichinger wollte das nicht hören, schüttelte den Kopf und schenkte sich einen Wodka ein. War das etwa sein Frühstück?

      „Klar hat mein Bruder einige Jugendsünden begangen, wer nicht? Aber das ist lange her und gehört längst der Vergangenheit an. Warum müsst ihr Bullen immer wieder die alten Geschichten aufwärmen?“ Er trank seinen Wodka. „Und wenn Kevin seiner Torte eine geknallt hat, dann hatte er dafür bestimmt seine Gründe. Die Tussi konnte aber auch nerven! Immer hat sie an ihm herumgenörgelt. Kevin tu dies, Kevin tu das – wer hält das auf Dauer aus? Trotzdem ist das kein Grund, dass man ihn gleich absticht.“

      „Mit wem war Ihr Bruder befreundet? Wo verkehrte er in seiner Freizeit?“

      „Hören Sie. Es ist schlimm genug, dass mein Bruder tot ist. Ich werde Ihnen auf keinen Fall Namen von Freunden nennen, das können Sie vergessen. Die Bullen waren noch nie auf unserer Seite und ich bezweifle, dass man sich angemessen um die Aufklärung des Mordes kümmert. Ich werde das zusammen mit meinen Leuten in die Hand nehmen. Ich verspreche Ihnen, dass wir das Schwein finden. Dann machen wir kurzen Prozess, dafür brauchen wir die Bullen nicht. Und jetzt machen Sie, dass Sie wegkommen. Wenn Sie nochmal mit mir sprechen wollen, wenden Sie sich an meinen Anwalt.“

      „Sie unternehmen nichts auf eigene Faust, haben Sie mich verstanden? Wenn wir Sie dabei erwischen, werden wir Sie und Ihre sogenannten Freunde sofort einsperren.“

      „Sie haben mich nicht verstanden: Verpisst euch! Sofort! Und drohen Sie mir nicht, der Schuss kann ganz schnell nach hinten losgehen. Sie glauben doch nicht im Ernst, dass ich vor den Bullen Schiss habe? Ich kenne meine Rechte und weiß sehr gut, was ich darf und was ich nicht darf.“ Justin Eichinger war aufgestanden und stand nun ganz dicht vor Leo. „Und jetzt nochmal zum Mitschreiben: Raus mit euch!“

      Das war ein Rausschmiss, dem die Polizisten Folge leisten mussten.

      „Justin Eichinger ist ein ganz krummer Hund. Wenn der wirklich den Mörder seines Bruders sucht, bekommen wir Ärger,“ sagte Hans besorgt.

      „Hast du seinen Gesichtsausdruck gesehen? Mir lief es eiskalt über den Rücken. Der Mann ist zu allem fähig, den behalten wir auf jeden Fall im Auge.“

      Leo und Hans klingelten auch an den Türen der Nachbarn, vielleicht erfuhren sie so etwas über den persönlichen Umgang des Toten. Aber die Nachbarn der Eichingers waren über die Störung am heutigen Feiertag nicht begeistert und hielten sich sehr bedeckt. Niemand wusste etwas, vor allem wollte keiner mit der Polizei zu tun haben oder mit Justin Eichinger Ärger bekommen. Es kristallisierte sich heraus, dass die Eichinger-Brüder die Nachbarn nicht nur im Griff hatten, sondern sie regelrecht schikanierten. Bei einem Nachbarn im Haus gegenüber hatten Sie Glück. Leo hatte ihn vorhin schon bemerkt, denn der Mann sah auf ein Kissen gestützt aus dem Fenster und schien sie zu beobachten. Als sie