Belladonnas Schweigen. Irene Dorfner

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Название Belladonnas Schweigen
Автор произведения Irene Dorfner
Жанр Языкознание
Серия Leo Schwartz
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783738044560



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wie du Leo,“ sagte er stolz.

      Dann gingen die beiden in die Kantine. Martin hatte Hunger, außerdem war es schon nach 19.00 Uhr. Martin stand mit großen Augen vor der üppigen Auslage und konnte sich nur schwer entscheiden. Noch nie vorher hatte Martin so viel zu Essen zur Auswahl gehabt, er hatte in seinem ganzen Leben immer nur bei seiner Mutter gegessen. Die beiden aßen mit großem Appetit. Endlich bekam Leo den Anruf; die anderen waren in Mühldorf eingetroffen.

      Rudolf Krohmer, Leiter der Polizeiinspektion Mühldorf am Inn, staunte nicht schlecht, als Leo zusammen mit dem Verdächtigen Hand in Hand auf dem Gang auf ihn zukam.

      „Würden Sie mir das bitte erklären?“

      „Das erklärt sich von selbst, wenn Sie Martin kennengelernt haben.“

      Sie betraten das Besprechungszimmer, in dem Viktoria und Hans bereits warteten. Sie setzten sich und noch bevor Krohmer etwas sagen konnte, stupste ihn Martin an und zeigte auf seinen Jogginganzug.

      „Hast du gesehen? Ich bin jetzt auch Polizist. Ich habe auch einen Polizeianzug. Bist du auch Polizist?“

      Krohmer nickte und verstand sofort. Unbekümmert und unbeschwert antwortete Martin auf alle ihm gestellten Fragen. Dann hatte er keine Lust mehr und bockte. Leo sprach mit Engelszungen, aber Martin wollte nicht mehr. Er begann sich zu langweilen, das lange Sitzen und die vielen Fragen war er nicht gewöhnt. Die Tür ging auf und ohne anzuklopfen kam Krohmers Sekretärin Hilde Gutbrod in das Besprechungszimmer. Wieder einmal hatte man sie nicht über die Besprechung informiert und sie wollte sich persönlich davon überzeugen, was eigentlich los war, denn ihre Informationsquellen gaben nichts Vernünftiges her. Wer war der junge Mann im Jogginganzug der Polizei, der sie mit offenem Mund anstarrte?

      „Boah, du glitzerst aber schön,“ rief Martin. „Bist du eine Königin?“ Frau Gutbrod war 63 Jahre alt und ignorierte ihr Alter nicht nur, sondern reagierte sehr empfindlich, wenn sie darauf angesprochen wurde. Schon seit vielen Jahren kämpfte sie mehr oder weniger erfolgreich gegen die Zeichen der Zeit an. Sie färbte die Haare in immer kürzeren Abständen, schminkte sich sehr stark und ließ sich regelmäßig Falten unter- und Lippen aufspritzen. Sie kleidete sich wie eine 20-Jährige, wobei die Röcke immer kürzer und die Schuhe immer höher wurden. Ihr überladener Schmuck klimperte und glitzerte bei jeder noch so kleinen Bewegung.

      Frau Gutbrod war eigentlich verärgert, dass man sie wieder einmal übergangen und ignoriert hatte. Aber als sie sich den jungen Mann näher betrachtete, begriff sie sofort und ihr wurde das Herz schwer. Sie hatte in ihrer Kindheit einen sehr guten Freund, der dem jungen Mann hier sehr ähnlich war. Sie hatte damals nicht verstanden, dass dieser Freund einfach so von einem auf dem anderen Tag nicht mehr mit ihr spielen durfte. Er musste sogar auf eine besondere Schule. Und irgendwann zog die Familie für immer weg.

      „Nein, ich bin keine Königin. Ich bin die Hilde, und wie heißt du?“ Sie nahm sich einen Stuhl und drängte sich zwischen Krohmer und den jungen Mann.

      „Ich bin der Martin. Und wenn ich mein Kostüm anhabe, dann bin ich der Superheld Martin-Man. Aber ich musste mich ausziehen und mein Kostüm abgeben. Leo hat versprochen, dass ich es später wiederbekomme. Und jetzt bin ich auch Polizist, wie Leo. Schau doch, was ich anhabe!“

      „Das ist ja toll.“

      Die beiden unterhielten sich lange. Die Polizisten waren erstaunt, wie gut Frau Gutbrod mit Martin umgehen konnte und wie sie ihm eine Information nach der anderen ohne Probleme entlockte. Aber keine seiner Antworten deuteten darauf hin, dass er mit dem Vorfall in der Marienstraße in Altötting etwas zu tun haben könnte oder gar in letzter Zeit ein Messer in der Hand hatte.

      „Nein, ein Messer darf ich nicht haben. Die Mama sagt immer, dass das gefährlich ist. Und gefährliche Sachen mag ich nicht. Ich möchte kein Aua.“

      „Da hat deine Mama vollkommen Recht! Messer sind sehr gefährlich. Was hältst du davon, wenn wir beide in die Kantine gehen?“

      „Du meinst da, wo es Millionen Essen gibt? Da war ich schon mit Leo, mein Bauch ist voll.“

      „Meinst du, ein kleines Eis würde da noch reinpassen?“

      Martin war begeistert, sprang auf und nahm Frau Gutbrods Hand. Sie drehte sich vor dem Hinausgehen um und sagte mit erhobenem Zeigefinger: „Lassen Sie Martin in Ruhe, der ist der harmloseste Mensch den ich kenne.“

      „Was ist denn mit der los?“, rief Leo überrascht, denn sonst benahm sich Frau Gutbrod sehr zickig.

      „Sie hat Martin ins Herz geschlossen. Erinnert ihr euch an Karl, als es um den Mord mit diesem Faschingskostüm ging? Auch diesen Karl hat sie unter ihre Fittiche genommen. Tja, wir unterschätzen alle die Frau, die unter ihrer zugekleisterten, künstlichen Maske ein Riesenherz hat. Das ist uns nur noch nicht aufgefallen.“ Hans musste lachen, denn immer wieder geriet er in der Vergangenheit mit Frau Gutbrod aneinander, die ihre Neugier und ihre Einmischungen einfach nicht unter Kontrolle hatte. Trotzdem wusste er, dass ihr Rentenbeginn kurz bevorstand, und wurde wehmütig, er hatte sich in all den Jahren an ihre Marotten gewöhnt.

      „Wie dem auch sei,“ unterbrach Krohmer. „Wir haben einen Mordfall und dieser Martin ist bisher unser Hauptverdächtiger, so sympathisch und harmlos er auch sein mag. Was sagen denn nun die Zeugen? Was ist mit der Aussage der Frau, die in den Streit verwickelt war? Wer ist die Frau überhaupt?“

      „Die Frau heißt Lena Schuster, 22 Jahre alt, Sprechstundenhilfe. Sie kommt aus einem gutbürgerlichen Haus und war bisher noch nicht auffällig. Sie sagte zu der Tat und auch zu dem Mann, der ihr geholfen hatte, absolut nichts.“

      „Aber wenn es Martin gewesen wäre, dann müsste ihr doch diese lächerliche Verkleidung aufgefallen sein,“ sagte Krohmer mit Blick auf die Fotos, die Fuchs vorhin gemacht hatte.

      „Lena Schuster sagte aus, dass alles viel zu schnell ging. Wir würden sie gerne nochmals ausführlich befragen, aber ihr Arzt hat es verboten. Die Frau sah echt übel aus. Der Tote hat sie heftig verprügelt.“

      „Andere Tatzeugen?“

      Viktoria schüttelte den Kopf.

      „Niemand, der die Tat selbst gesehen hat. Als die Polizei längst vor Ort war, haben sich Schaulustige eingefunden, auf deren Aussage hin wir auf Martin Mahnstein gekommen sind. Als einer der Polizisten bestätigte, dass Martin bereits mehrfach als selbsternannter Retter auffällig geworden ist, sind wir natürlich davon ausgegangen, dass wir den Täter haben.“

      „Das waren bestimmt Passanten, die den Vorfall auf dem Kapellplatz mitbekommen haben und sich wichtig gemacht haben,“ maulte Leo. Ausführlich schilderte er nochmals den Handtaschendiebstahl und wie Martin diese dem Dieb entreißen konnte. Er verschwieg auch nicht, wie sich die Passanten danach abfällig über Martin geäußert hatten.

      „Ich verstehe Sie ja, Kollege Schwartz. Auch wenn Sie anderer Meinung sind, bleibt Martin unser Hauptverdächtiger, obwohl ich auch nicht daran glaube und die Sachlage sehr dünn ist. Wie lange braucht die Spurensicherung, um Martins Kleidungsstücke zu untersuchen?“

      „In zwei bis drei Stunden dürften sie damit fertig sein.“

      „Gut, so lange bleibt Martin bei uns.“

      „Aber er wird nicht eingesperrt, das können wir nicht machen,“ protestierte Leo, der sich um Martin sorgte.

      „Natürlich sperren wir ihn nicht ein. Denken Sie, ich bin ein Unmensch? Frau Gutbrod kümmert sich derweil um ihn, ich spreche nachher mit ihr. Kommen wir auf den Mordfall zurück: Über das Opfer haben wir noch gar nicht gesprochen. Ich bin gespannt, um wen es sich dabei handelt.“

      „Der Mann heißt Kevin Eichinger, 42 Jahre. Er ist einschlägig vorbestraft wegen Körperverletzung und Einbruch-Diebstahl; ein Eintrag wegen häuslicher Gewalt.“

      „Dann hat es ja keinen Unschuldigen getroffen,“ murmelte Leo.

      „Reißen Sie sich zusammen Herr Schwartz, das habe ich nicht gehört,“ sagte Krohmer, der ähnlich dachte, das aber nie zugeben würde.

      „Ermitteln