Mirabella und die Götterdämmerung. Isabelle Pard

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Название Mirabella und die Götterdämmerung
Автор произведения Isabelle Pard
Жанр Языкознание
Серия Mirabella-Reihe
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783754185971



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wusste besser Bescheid, als sie dachte, die Götter hielten die Halbgötter wirklich für Narren.

      Vindalf schnaubte verärgert. „Verschwendung. Und vom Krieg profitieren wieder nur die Riesen. Krieg ist schlecht fürs Geschäft, jedenfalls für unseres.“

      „Wir erhoffen uns aus dem Erhalt des Status quo mehr Stabilität.“

      „Schön, ihr könnt gehen“, sagte Vindalf mit einer wegwerfenden Geste, er schien das Interesse an der Unterhaltung zu verlieren. „Ihr habt heute Geschenke genug erhalten, Ragnar soll sich übermorgen in Walhall zum Kampf für seinen Ring stellen.“

      Die Besucher entfernten sich und schwiegen den Rest des Weges, bis sie wieder in Walhall durchs Portal schritten.

      Als Mirabella in der Halle stand, fiel ihr Blick auf Ragnar. „Ist dieser Kampf übermorgen eigentlich ernst?“

      „Ich muss gewinnen, sonst erhalte ich den Ring nicht.“

      „Ja, aber könntest du dabei sterben?“

      Er sah fragend zu Baldur, der ihn ernst ansah. „Der Gegner muss nicht getötet werden, kampfunfähig reicht, aber es kann zu tödlichen Verletzungen kommen. Du darfst jedoch den Kampf auch ablehnen.“

      „Und als Feigling dastehen?“

      „Das ist doch bescheuert“, rief Mirabella aufgebracht. Sie versuchte erfolglos, ihren Ring vom Finger zu nehmen. „Nimm meinen, ich brauche ihn nicht unbedingt. Wieso geht das blöde Ding nicht ab?“

      Baldur schmunzelte. „Das ist kein gewöhnlicher Ring, er gehört nun zu dir, du kannst ihn nicht entfernen, zumindest nicht, bevor du den Wunsch gesprochen hast.“

      „Oh“, mehr konnte sie dazu nicht sagen. „Wofür willst du überhaupt einen Ring, Ragnar?“

      „Ein Ring wäre in der heutigen Situation nicht von Nachteil, ich darf ihn auswählen“, gab er zu bedenken.

      „Kann Odin nicht verhindern, dass Ragnar stirbt?“

      „Natürlich kann ich das, aber sobald ich eingreife, hat Ragnar unehrenhaft verloren“, meldete sich nun Odin, der gerade aus Wanenheim kam. Mirabella schüttelte verständnislos den Kopf, während Odin zu Ragnar trat. „Du hast zwei Tage Zeit zum Überlegen, sprich mit deinem Vater.“

      Ragnar nickte und verabschiedete sich nach Thrudheim.

      11 – Thorheiten

      Odin sah Mirabella fragend an, sie zögerte einen Moment und schüttelte den Kopf, sie hatte keine neuen Informationen für ihn. Gerne hätte sie noch mit Baldur gesprochen, aber Odin wollte offensichtlich mit ihm reden. Sie verabschiedete sich also und schloss die Tür. Nach wenigen Schritten blieb sie stehen, holte spontan ihre Tarnkappe hervor, die sie immer mit sich trug, auch wenn sie heute lange überlegt hatte, ob sie diese zu den Zwergen mitnehmen sollte. Schnell streifte sie die Kappe über, schlich unsichtbar zurück zur Tür und presste ihr Ohr ans Schlüsselloch, welches ein altes großes mit einer richtigen Öffnung war. Leise aber deutlich hörte sie die Stimmen der beiden Götter.

      Odin blickte ernst zu Baldur. „Was wissen die Zwerge?“

      „Nun, sie fragen sich, ob wir für einen Krieg rüsten, wieso Loki die Riesen unterstützt. Ich habe versucht, sie zu beschwichtigen, ihnen aber auch zu verstehen gegeben, dass der Süden nachzieht.“

      „Hat sich Ragnars Aussage bestätigt?“

      Baldur nickte. „Unsere Agenten haben die Aufrüstung im Süden bestätigt. Sie werden dich im Detail unterrichten.“

      Mirabella erschrak innerlich. Hatte Ragnar die Informationen vom Geheimbund an Odin weitergegeben? Spielte ihr eigener Bruder falsch? Ihr wurde es übel. Wenn er den Geheimbund verriet, waren sie alle verloren. Ungläubig hörte sie weiter zu.

      „Sucht Loki weiter nach Nikolaos?“, fragte nun Baldur.

      „Nein, er ist inaktiv, Timo, ein etwas älterer Sohn von Jupiter hat übernommen, Loki lässt ihn wohl beschatten.“

      „Wieso lässt du seine Umtriebe zu, Vater?“, fragte nun Baldur mit sanfter Stimme.

      „Weil ihr beide, Thor und du, euch einfach vom Süden überrennen lassen würdet. Thor interessiert sich nicht für die Politik und du, Baldur… Du warst schon immer zu gut für diese Welt, aber seit Nannas Tod hast du jegliche Härte verloren.“

      Es entstand eine kleine Pause, der Vater hatte seinen Sohn offensichtlich schwer getroffen. Schließlich sprach Baldur mit ruhiger Stimme weiter. „Es besteht ein Unterschied zwischen Unterwerfung und friedlicher Koexistenz. Noch gibt es keinerlei Anzeichen für kriegerische Handlungen seitens des Südens. Ihr Aufrüsten könnte eine Reaktion auf Lokis Ausbruch sein.“

      „Das Gerücht kam früher auf, es gab einen Orakelspruch, der mit Runa zusammenhängt. Finde heraus, was prophezeit wurde.“

      Baldur nickte und ging auf die Tür zu, hinter der Mirabella lauschte. Schnell wich sie von der Tür und drückte sich an die Gangwand. Der Gott lief schnellen Schrittes an ihr vorbei, sah sich kurz unsicher um und ließ die Tür einen Spalt offenstehen. Hatte er ihre Anwesenheit gespürt? Er hatte sie zumindest nicht verraten. Vorsichtig schlich sie zur Tür und blickte in den Saal. Odin verließ Walhall durch die große Hintertür in die andere Richtung. Einen Moment stand Mirabella unschlüssig in der Tür, dann ging sie entschlossen zum Portal nach Thrudheim und schlüpfte hindurch, um Ragnar aufzusuchen. Sie musste ihn zur Rede stellen.

      Mittlerweile kannte sie sich in Thors Palast Bilskirnir ganz gut aus, sie wusste, wo die Gemächer der Halbgötter lagen, fand mühelos in den schönen Garten, wo sie mit Ragnar Bogenschießen geübt hatte, kannte die Küche mit den vielen Trollen, hatte jedoch noch nie die Gemächer ihres Vaters betreten. An den Trollen vorbei im Hof schlich sie unsichtbar zu Ragnars Räumen, fand ihn aber dort nicht vor und beschloss, Thors Räume aufzusuchen. Sie irrte ein wenig herum, fand eine Besenkammer, mehrere Toiletten und eine Bibliothek, die sie schwer beeindruckte und überraschte, nachdem ihr Vater eher als wenig vergeistigter Hitzkopf galt. Sie musste unwillkürlich an die natürlich wesentlich kleinere Bibliothek, es war nur ein schmales Zimmer, im Haus von Nikolaos denken. Sehnsüchtig erinnerte sie sich, wie sie gemeinsam dort gesessen, gelesen und gequatscht hatten. Wenn jetzt schon der Anblick von Büchern sie an Nikolaos erinnerte, was erinnerte sie nicht an ihn? Jedes Erinnern aber bewirkte einen Stich im Herzen und sie wünschte fast, sie könnte ihn vergessen, für einen Tag, für ein paar Stunden zumindest. Missmutig verließ sie den Büchersaal und suchte weiter. Schließlich kam sie an eine elegante Flügeltür mit elegant geschwungenen Türgriffen. Kein Alben-IKEA, schloss Mirabella und musste schon fast wieder grinsen. Vorsichtig lauschte sie an der Tür, sie spürte die Anwesenheit von jemand Vertrautem in der Nähe, hörte jedoch weder Stimmen noch andere Geräusche. Allen Mut zusammennehmend, drückte sie die Türklinke hinunter und spähte ins Zimmer. Ihr Blick fiel auf einen imposanten Schreibtisch, an dem ein Mann mittleren Alters im dunklen Anzug saß. Seine kurzen roten Locken fielen in die Stirn, das Gesicht war rasiert und zeigte markante Züge. Ohne von seinem Laptop aufzusehen, rief er in Richtung Tür. „Was gibt es?“

      Offensichtlich hatte er das Öffnen der Tür registriert und einen seiner Trollen-Diener erwartet. Mirabella zögerte, ein Gespräch mit Thor hatte sie eigentlich unbedingt vermeiden wollen, wusste aber, dass sie die Tür nicht einfach wieder schließen konnte. Sie zog zähneknirschend die Tarnkappe vom Gesicht, stopfte sie in ihre Jackentasche und trat ein.

      Nun sah Thor auf. „Runa!“ Er schien ehrlich überrascht zu sein, wirkte aber erfreut. „Was verschafft mir die Ehre?“ Er war aufgestanden und ihr lächelnd entgegengetreten.

      „Hallo“, erwiderte sie schüchtern und sah sich neugierig im sechseckig geschnittenen Raum um, der wie ein modernes Bürozimmer wirkte. Abstrakte Kunstwerke schmückten die Wände, in einer Ecke stand eine Ledergruppe mit Couchtisch, in einer anderen ein großer Konferenztisch mit Stühlen. Auf dem Schreibtisch standen neben dem geöffneten Laptop ein paar Bilderrahmen, die Mirabella jedoch