Von der Entstehung des Christentums. Beate Braumann

Читать онлайн.
Название Von der Entstehung des Christentums
Автор произведения Beate Braumann
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783844244649



Скачать книгу

vorsichtig.

      »Unsere Hebel fassen, wenn Gott den archimedischen Punkt bereitstellt, und wenn er das tut, so scheint mir die jakobinische Vermutung recht plausibel zu sein.«

      »Er wird Archimedes bitten, höchstselbst die nötigen Berechnungen vorzunehmen! Denn wenn einer weissagt: Ob ihn der Herr wirklich gesandt hat, wird man daran erkennen, dass sein Wort erfüllt wird.«

      »Das hast du schön gesagt.«

      Kein Zweifel, die tumben Kraftmenschen gierten nach solchem Stoff, wie wir ihn im Angebot führten. Das erhoffte Ergebnis konnte seine eigene Ursache stiften. Wenn ich mich als Botschafter zu beglaubigen vermochte, würden sich weitere Türen öffnen. Wenn es mir gelang, ihren Sinn für das Nützliche anzusprechen, müssten ihre natürliche Gier und Schlauheit das Übrige tun. Was aber, wenn unsere vielumkreisten Möglichkeiten nichts weiter als Gespinste waren?

      Ich hatte den gewaltigen Sog des Wünschens umso stärker gespürt, je länger wir die kleine Bergstadt hielten. Die abenteuerlich-sten Möglichkeiten einer Wendung des Kriegsglücks verdichteten sich mitunter zu schierer Gewissheit: Die im Nordosten aufblühende Staubwolke musste Freunde verbergen, Entsatz aus Adiabene oder persische Freunde, ausgerüstet und ausgestattet von babylonischen Juden. Oder gar einen neuen persischen König, der den Aufstand der Juden nutzte, um die Römer aus dem Orient zu vertreiben. Hätte nicht, so wurde beschworen und gemahnt, der Hasmonäer Antigonos bei größerer Einigkeit mithilfe der Perser siegen können? Für alles, was entgegenstand, fanden sich höchst einleuchtende Erklärungen. In sich wunderbar folgerichtig, aber pure Wahngebilde. Man hätte ein ganzes Weisheitsbuch daraus machen können. Ich hatte die Strömung des Wünschens nie so übermächtig erlebt, und warum sollte nicht das wahrhaft Imperiale an unserem Plan ein Anzeichen dafür sein, dass es mich, dass es uns fortgerissen hatte in die unentfliehbaren Strudel betörender Phantasmata?

      Das war der größte aller Schrecken, der mich immer wieder anfiel, hinterrücks, wie ein Dieb in der Nacht, womöglich dem Größenwahn verfallen zu sein. Der begann harmlos wie Grind damit, sich selbst überhaupt irgendeine Bedeutung zuzumessen, wie geringfügig auch immer. Was waren wir, Jakob und ich, bei Lichte besehen, und wieviel bedeutete unser Wollen? Wurden wir von Eitelkeit geblendet? Waren unsere Absichten nichts weiter als die lächerliche Selbstanmaßung wilder Würmchen im Anus der Geschichte?

      Weil solch Bedrängnis mein Herz verengte, musste ich unseren Weg wieder und wieder abschreiten. Beim Schmieden des Plans, beim Läutern der Gedanken, musste ich den Hammer des zermürbenden Prüfens niederfallen lassen und durfte das härtendste Abschrecken nicht scheuen. Mit den unbegrenzten Verpflichtungen im Leben eines Agenten Gottes verhält es sich noch dazu so, dass seine begrenzten Möglichkeiten sich alleweil als Spottvolk für jede Verstiegenheit bereithalten.

      »Wollen wir?«

      Jakob hatte seinen Brei hinunterbekommen. Wir mussten uns aufmachen zu unserer letzten Runde. Von Lager zu Lager, trösten, beten und segnen. Die Pflaster Jotapatas glichen einem verbogenen Hufeisen. Vorn der lange, rechteckige Platz, von dessen Enden die krummen beiden Straßen ausgingen, die Oberstraße leicht ansteigend, die Unterstraße abfallend. Zwischen beiden verbanden zahlreiche Stiegen die einzelnen Häuser. Zum Schluss der Runde würden wir unsere Schlafkammer aufsuchen, um zu ruhen. Die Einwohnerschaft der Stadt hatte sich merklich gelichtet. Neben den Gefallenen hatte eine große Anzahl mit meiner Erlaubnis still die Stadt durch die Schluchten verlassen. Mancher hatte ein neues Haus gebaut und noch nicht eingeweiht, mancher einen Weinberg gepflanzt und noch keine erste Ernte begrüßt, mancher war verlobt und hatte sein Mädchen noch nicht heimgeholt.

      *

      Weit nach Mitternacht erreichte unsere Runde ihr Ende, und wir betraten ein letztes Mal unsere Schlafkammer. Sie befand sich in einem Haus, das unterhalb des Horizontes der Katapulte lag und kaum mehr ein lohnendes Ziel für die Ballisten bot, denn ein früher Treffer hatte es bereits bis auf unseren kleinen Raum in Trümmer gelegt. Während Jakob das Zimmer auf Ungeziefer absuchte, überprüfte ich noch einmal meine Ausrüstung, die im Wandschrank bereitlag. Das saubere lange derbe Hemd und vor allem die guten Schuhe, Halbstiefel, die beim Klettern in schwierigem Gelände Halt gaben. Als ich mein Wehrgehenk aufhakte und das Schwert in Händen hielt, zeigte Jakob auf mich, drehte den Arm und krümmte den Finger.

      »Das brauchst du nicht mehr.«

      Der Kleine hatte Recht. Die Waffe eines Propheten war der Logos. Und wenn der nicht traf, war der Prophet verloren. Ich trennte mich aufatmend von dem Eisen, das ich erstmals beim Auszug der Statthalter aus dem Damaskustor unter klingendem Spiel und Jubel getragen hatte. Stattdessen widmete ich mich meinem Gürtel. Er war aus Rindsleder gefertigt, umfassend mit zwei ineinander geflochtenen Lederbändern geschmückt, und besaß acht Fächer, die mit Byssos gefüttert waren. Im ersten steckten Lederplättchen, die sich ineinanderschieben ließen, sodass kleine Schachteln entstanden mit Aussparungen, die genau zur Breite der äußeren Bänder passten. Im zweiten befanden sich fünf Pergamentstreifen mit Versen aus der Schrift. In den übrigen waren unentbehrliche Helferlein verteilt, für Zahn- und Nagelpflege und sonstige Notwendigkeiten. Kleine Hölzchen, Bürstchen, Schwämmchen, Nadeln und Fäden, eine winzige, in Elfenbein eingelassene Klinge, zwei Fibeln, eine Feile, eine Dornenpinzette und etwas Schwefel. Zwischen die Fächer waren flache nabatäische Goldmünzen eingenäht. Der Gürtel, ein Geschenk meiner Mutter zur Mannbarkeit, hat mich mein Leben lang begleitet, und ich habe ihn auch auf dem Sterbebett getragen, allerdings ohne Gold und Hilfsmittelchen.

      Wir prüften gegenseitig unsere Leiber, gaben uns Bescheid und hielten Zwiesprache mit Gott. Nach dem Gebet legten wir uns in unsere Sandbetten. Ich ruckelte mich zurecht und bat meinen inneren Archivar um Wachsein in einer Stunde. Damit wandte ich mich an die Vermittlungsstelle zur Physis meines Körpers, die ich bei meinen Studien am Museion von Alexandria eingerichtet hatte. Ich konnte meinem Archivar völlig vertrauen, unser Zusammenspiel hatte sich bewährt. Er war es auch, der mich die Albträume, die mich mit Beginn meiner Amtszeit heimgesucht hatten, so gelassen und kaltschnäuzig ertragen ließ wie den Anblick von Sklaven, Skulpturen und anderen Skandalen. Für gewöhnlich träume ich gar nicht, und wenn doch, flieht die Erinnerung beim ersten Gedanken daran.

      Wie jeden Abend in Jotapata, ging ich vor dem Einschlafen der wichtigsten, nun bedeutend veränderten Frage nach. Was wollte Gott am Ende meines Lebens von mir? Im Laufe der Wochen war mir klar geworden, dass ich zu meiner eigenen und der Reifung der Gemeinschaft der Seelen ein Fazit meines Lebens zu ziehen hatte. Eine Zusammenfassung des Standes der Gottsuche auf der von mir zeitweilig bewohnten und beobachteten Erde. Das bedeutete, dass ich endgültig von privaten Erwägungen Abschied zu nehmen und mich auf das Wesentliche zu konzentrieren hatte.

      Gott hatte mich in den Krieg geschickt. Das Wesentliche am Krieg ist das Sterben. Das fängt beim Warten an. Gibt es eine richtige Art, auf den Tod zu warten? Auf unserem letzten Rundgang fügten sich die mir Anvertrauten in das Unabänderliche, indem viele unaufhörlich mit Gott sprachen, einige umschlungen wimmerten, manche vor Angst bebten und alle mit der Frage haderten: Wie ist all das möglich? Warum ist uns so etwas gegeben? Wenige waren verrückt geworden und hatten Gesichte, nicht wenige bereiteten sich neben allem sonst, was sie taten, auf ihren Selbstmord vor. Und Jotapata war ein Ort unter vielen, nicht nur im gegenwärtigen Krieg. In wie vielen Städten hatten wir Juden schon auf den Tod gewartet, versteckt in Kellern und Zisternen, in Gruben und Gewölben? Wenn ihr Euch vorstellt, liebe Seelen, wie ihr Euch in einer Erdhöhle zusammenkauert und auf die Wilden lauscht, die draußen Witterung aufgenommen haben, wie Ihr Euch auf den Boden presst und zittert, ob sie Euch finden und Euch herauskratzen und hervorzerren oder mit Stangen nach Euch stochern und in Euch hineinstechen, so seht Ihr, dass diese Schrecken noch keinen Namen haben. Ich bitte Euch um Hilfe, sie statt meiner für mich zu benennen. Auf jeden Fall, das wurde mir deutlich, gibt es keine richtige Art, auf den Tod zu warten. Und wenn dem so ist, fragte ich mich, ab wann zählt die Wartezeit, wann fängt sie an?

      Ich war auch vor Galiläa, als ich noch jeglichem Blutfluss aus dem Weg gegangen war, an das Bett Todgeweihter gerufen worden. Als Rabbi hatte ich mich betend über sie gebeugt, ich hatte in ihren brechenden Augen Kummer und Schmerz, Angst und Wut gesehen, aber dergleichen als die üblichen Begleiter beim großen Abschiednehmen aufgefasst. Ich sah wohl dichte Schleier hinter den Empfindungen, die eine tiefere