Von der Entstehung des Christentums. Beate Braumann

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Название Von der Entstehung des Christentums
Автор произведения Beate Braumann
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783844244649



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Man war auf die Wagen geklettert, die mit Maschinenteilen beladen wurden. Man hatte Felsgeröll erstiegen, um einen besseren Blick zu bekommen. Man johlte und brüllte, schamlose Rufe und Verwünschungen wurden laut. Man freute sich sehr. Mir ging es genauso.

      Wir kamen am Gipfel unseres Berges vorbei, der für sich lag. Unser Ausguck, ein Außenposten, der sich nicht verteidigen ließ. Die Römer hatten den von der Natur ungeschützten Teil der Stadt gleich zu Beginn der Belagerung erobert und von dort ihre Geschosse lenken können. Hinab durch die Senke und die Anhöhe zum Römerlager hinauf verdichteten sich die Reihen, die wir durchschritten; immer mehr Masse reicherte sich an. Augenscheinlich war man sogar herbefohlen worden, denn auf einer künstlichen Terrasse halb am Hügel hatte eine komplette Cohorte in Reih und Glied Aufstellung genommen, vermutlich die Erste der X. Legion. Vor ihr die Stangen, an denen sie ihr Eigenverständnis befestigen. Trompetengeschmetter ließ die Legionäre zusammenfahren, eine einzelne Posaune folgte und auf einer Felsnase oberhalb der Terrasse erschienen vier Männer in vollem Ornat, der Feldherr, sein Sohn Titus und zwei Legaten, vorwiegend in Rot. Nikanors Abteilung marschierte die Front der Legionäre ab, die mucksmäuschenstill blieben. Unterhalb der Felsenkanzel wurde Halt befohlen.

      Der Prächtigste, eine untersetzte, breite Gestalt, ließ sich einen Sprechkegel reichen, trat nach vorn und richtete seine Worte an das umstehende Publikum. Er eröffnete mit Kaisar Rotbart lobesam und schwurbelte dermaßen drauflos, dass ich bald die Lust am Zuhören verlor. Ich drehte mich halb zu Jakob um, und wir unterhielten uns mit den Augen. Da meldete sich mein innerer Archivar. Was hatte er vernommen? Es war eine unerhörte, eine ätzend scharfe Vokabel gefallen. Der alte Knochen hatte zu formulieren beliebt: »Zum Abschluss unserer Übungen ...« Ha, Übungen! Aber was ich als Spott empfand, meinte der Römer durchaus sachlich. Außerdem erreichte damit das Echo eigener Gedanken mein Ohr. Ich war ja nicht blind und taub gewesen. Der Feind hatte fast alle Waffengattungen, über die er verfügte, zum Angriff gebracht und die unterschiedlichsten Truppenteile eingesetzt. In den Kämpfen traf man keine Bekannten. Ja, sie hatten sich mit unserer Hilfe ertüchtigt, und eine Übung, bei der es durch echte Gegenwehr zu kleineren Verlusten kam, musste in ihren Augen die wertvollste Ausbildung sein. Der Redner kam zum Ende, es wurde Ernst, ich lauerte auf den Blick Nikanors, doch der wich mir aus. Der Feldherr fasste noch einmal zusammen, dass es zwar das eine oder andere zu verbessern gebe, dass er aber insgesamt ausgesprochen angetan sei. Er zeigte mit großer Geste auf mich, rief den Seinen letzte Lobhudeleien zu und schloss:

      »... und so werden wir dem viel geliebten Imperator Nero Claudius Caesar Augustus Germanicus ein hocherfreuliches Geschenk übersenden können, den ersten Feldherrn der Juden in diesem Krieg.«

      Nicht enden wollender, lärmender Beifall. Die vier Stabsoffiziere wandten sich um und schlenderten gemächlich schräg nach oben in Richtung einer kleineren Plattform, auf der ein halbes Dutzend großer Zelte stand.

      Ich trat vor Nikanor hin:

      »Das Schicksal ist größer als wir. Wir müssen ihm dienen. Ich muss noch in dieser Stunde den Feldherrn Vespasianus sehen ... aber das ist nicht alles.«

      »Was denn noch?«

      »Die Würde meiner Botschaft erfordert ein schickliches Auftreten. Es geht um die Reinheit eines Priesters. Ich muss mich waschen.«

      Der Tribun blaffte den beistehenden Centurio an, er solle warten, bis er zurückkehre und kletterte zur Felsnase hinauf. Oben war man aufmerksam geworden, der Sohn hatte seinen Vater am Arm berührt, die vier drehten sich um und blieben stehen. Nikanor erreichte den Pulk und löste anscheinend Heiterkeit aus. Die Helmbüsche kamen vom Köpfeschütteln in Bewegung. An einer Geste des Titus erkannte ich, dass die Entscheidung zu unseren Gunsten fiel. Nikanor kehrte zurück und führte uns an den Rand der Terrasse, wo die Zelte der Tribunen standen, deren Areale durch Reihen weiß getünchter Steine voneinander abgeteilt waren. Hinter einer breiten Wand aus aufgespannten Zeltbahnen erwartete uns eine Waschstelle, die keine Wünsche offenließ. Wir schlugen die Hemden aus, hielten uns an die einfache Seifenwurzel der Legionäre und mieden deren duftende Schwestern. Die kurz gehaltenen Bärte abzunehmen eine schmerzhafte Labsal. Ich, Josef, bat meinen Kameraden um den Segen des Jakob. Nach einer halben Stunde ließen wir uns abführen. Den üblichen Fahrweg hinauf, der in einer ausholenden Kurve auf das Zelt des Imperators zulief. Dass Jakob an meinen Fersen klebte, stellte niemand infrage. Vor dem Eingang jedoch musste ich ihn allein lassen.

      Im Zelt ein großer Tisch in der Mitte, Vespasian sitzend dahinter, sein Sohn, gleich gedrungen und breit wie der Alte, stand neben ihm, Schreibzeug in Händen, er wollte sich wohl Notizen machen. Seine Augen befanden sich in Höhe der meinen, eine willkommene Gunst der Umstände. Links die beiden Legaten in allzu lässiger Haltung, wie ich fand. Ich trat in die Mitte des mir verbleibenden Raumes, grüßte kurz und meinte angelegentlich im Plauderton:

      »Bevor ich zur Verkündigung der Prophezeiung komme, ersuche ich den Hegemon darum, eine private Bitte äußern zu dürfen.«

      »Noch eine Bitte, das wird ja immer schöner.«

      Das kam von Titus. Sein Vater folgte der Erhöhung meines Einsatzes.

      »Es sei.«

      »Ich wünsche mir, dasselbe Schicksal zu erleiden wie mein Kamerad und Waffenbruder Jakobus, der draußen steht.«

      Verblüffte Stille, ich hatte sie bekalmt, und sie boten mir ihre Breitseite.

      »Es sei.«

      »Ich bin Josef ben Matatias aus Jerusalem, Priester der ersten Reihe aus der Prima Classis, und habe eine Botschaft für den Imperator Vespasianus, die mir durch einen Traum vor fünf Nächten eingegeben worden ist. Sie hat folgenden Wortlaut: ›Das flavische Haus wird zur Herrschaft über die Oikumene berufen. Sein Oberhaupt Titus Flavius Vespasianus wird als Erster zum Augustus erhoben, nach ihm seine Söhne. Das ist mein Wille, der Wille der Einen und Einzigen Gottheit, und so wird es geschehen.«

      Ehe jemand nachfragen konnte, fügte ich hinzu:

      »Das ist alles.«

      Das Zelttuch des Eingangs flappte im Wind, ferne Rufe drangen herein, die Augenblicke schlichen akrobatos, auf Zehenspitzen vorbei. Ich wechselte das Standbein. Von links waberte mir unverhohlener Hass entgegen, einem der Legaten platzte die Fassung:

      »Das ist doch eine ungeheuerliche Frech... «

      Titus mit dunkler Stimme dazwischen:

      »Ruhig, Trajanus, ruhig ... das ist, wie ich finde, eine bemerkenswerte Mitteilung, über die sich nachzudenken lohnt.«

      Er wollte übernehmen und sein Vater überließ ihm das Ruder. Das Schreibzeug, mit dem er meine Worte festgehalten hatte, legte er auf den Tisch vor sich hin, runzelte die Stirn und sprach die Empfehlung aus:

      »Ich finde, es gibt keine Veranlassung zu überstürzten Maßnahmen. Ich rege an, den Boten weiterhin der Obhut des Tribunen Nikanor zu überlassen. Kommt Zeit, kommt Rat.«

      Da er keinen Widerspruch erntete, rief er mit Stentorstimme nach draußen. Nikanor erschien und erhielt Anweisungen, die mir unser Überleben bis zum Ende der nächsten Nacht zu garantieren schienen. Vor dem Zelt erwartete mich Jakob, und ich fasste mich ans rechte Ohr, das ausgemachte Zeichen. Das Herz wurde mir warm durch seinen aufleuchtenden Blick. Wir wurden zu den Zelten der Tribunen zurückgebracht.

      Unterwegs betrachtete ich das Ergebnis meines Auftritts. Titus hatte angebissen, mehr noch, er hatte den Köder geschluckt, dessen war ich mir sicher. Der Alte schwankte in seiner Einschätzung zwischen Belustigung und Belästigung. Der Junge hatte wenige Herzschläge gebraucht, um die glänzenden Aussichten zu erkennen, die dem von mir überreichten Keim entsprossen. Und er scheute in spannenden Lagen nicht vor Sprichwörtern zurück. Warum sollte nicht das flavische Haus die Evolution der Geschichtsrolle übernehmen? Gab es ein besseres? Trajan würde gut daran tun, seine Zunge zu hüten. Im Sohn hatte ich meinen ersten Verbündeten im feindlichen Lager gewonnen. Ihm blinkte von ferne das Diadem, das er sich eines Tages als Nachfolger seines Vaters aufsetzen würde.

      Im Bereich Nikanors wurde uns ein Bündel vor die Füße geworfen. Es entpuppte sich als Zweimannzelt mit sauberen Decken, das wir unter meiner Anleitung ohne