Von der Entstehung des Christentums. Beate Braumann

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Название Von der Entstehung des Christentums
Автор произведения Beate Braumann
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783844244649



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ich werde die anderen Seelen treffen, die sich auch gerade zwischen zwei Leben befinden. Ich stelle mir das vor wie Urfas wunderbar wuselige Herbergsstadt. Nur viel gewaltiger, kosmisch halt. Und dann wird es zum großen Erzählen kommen, die Seelen werden von der Gottsuche auf ihren Erden berichten und der nachstehende Entwurf, den ich auf Wunsch der Familie hinterlege, ist im Großen und Ganzen das, womit ich eröffnen will, nach der altehrwürdigen Einleitung »Hört, liebe Seelen, was mir widerfuhr ...«. Ich bin natürlich aufgeregt und gespannt wie ein Flitzebogen, ich kann es kaum in Ruhe erwarten. Das ist lästig für meine Angehörigen und Freunde. Nur meine Frau versteht mich, sie wollte mir heute Morgen aus lauterer Liebe tatkräftig helfen, indem sie mein Ableben ebenso rasch herbeizuführen wie vergnüglich zu gestalten suchte. Sie stippte beim Frühstück ihr Hörnchen in die Schale mit heißer Honigmilch und stellte mir auf ihre direkte, kretische Art die Frage: »Und wenn du nach dem Sterben feststellst, dass es gar keinen Gott gibt?« Ihr gut gemeinter Versuch schlug indes fehl, ich habe den Lachanfall, der mich den ganzen Tag schüttelte, knapp überlebt. Ich habe mich nicht totgelacht, leider. Lachend anzukommen, das wär’ was gewesen. Übrigens, wenn es wirklich keinen Gott geben sollte, so sei in diesem Winkel des Alls als Randnotiz vermerkt, dass es Lebewesen gab und gibt, die von ihren Maßstäben nicht lassen.

      Am Ende der Schöpfung, am Jüngsten Tag, wenn die Seelen des Kosmos zu einer verschmelzen, zum Gegenüber für Gott, wenn sich auch das Entschulden, das Verstehen und das Verzeihen vollendet, wird selbst der Langsamste von uns erkennen, dass wir alle das Zeug zum Messias in uns hatten. Lebt wohl.

      Gortyn auf Kreta, in einer Weinlaube, im achten Jahr des Imperators Trajanus

      Flavius Josephus, genannt der Kleine

      Kapitel I

      Der Auftrag Gottes

      Hört, liebe Seelen, was mir widerfuhr auf meiner Suche nach Gott. Vielen von Euch ist meine Erde nicht unbekannt, und so könnte ich gleich hineinspringen in die Geschichte, an den Abend, als jener Tag begann, der die entscheidende Wende meines Weges anbahnte. Für die anderen jedoch, die einer Bekanntschaft meiner Erde noch ermangeln, möchte ich zuvor die Halt bietende, erklärende Begleitung reifer Seelen erbitten, und ich muss von Anfang an den Umstand nennen, der das gesamte denkende Leben dort beherrscht und durch den fast jede Gottsuche ausgezehrt oder erstickt wird. Dieser Umstand besteht darin, dass die Seelen, insbesondere die unreifen, ihre Träger kaum beherrschen können, und die Seelenträger von ihrer Natur so gestimmt sind, dass sie es als wahrheitstüchtig betrachten, sich gegenseitig ihre schönen und sehr zarten Leiber aufzubrechen. Sie machen das grob und heftig mittels verschiedener Gerätschaften, die meist eigens zu diesem Zweck fabriziert worden sind. Der dabei austretende Körpersaft verbreitet einen eigenartigen, schweren, süßlichen Geruch, der mich seit der Kindheit meines Leibes gequält hat. Sie übersehen, dass sie sich nach ihren Toden auf eine Weise miteinander werden beschäftigen müssen, die sie nicht abbrechen können. Die von der Leibeszerstörung Verschonten werden zu Haustieren erklärt und entsprechend benutzt.

      Es ist, als ob die zur Heimstatt einer Seele ausersehenen Wesen sich gegen eine Beseelung wehrten. Das Geschehen erfolgt sowohl freiwillig als auch erzwungen. Ich war direkt daran beteiligt. Ich werde diese Dinge im Einzelnen nur dort schildern, wo es notwendig ist, so wenig wie möglich. Von bestimmten Pragmata, betreffend etwa die Leichname, werde ich zunächst überhaupt nicht sprechen. Für alles, was fragwürdig bleibt, sollen die Worte meines Berichtes nur einleitende Bemerkungen sein. Das Protokoll meiner Lebensrolle. Ich freue mich auf Eure wissbegierige Teilnahme, nach der ich mich schon lange gesehnt habe. Als Gottsucherin will ich das Augenmerk meinem Bedürfnis und Versuche widmen, irgend etwas zu tun, das geeignet sein konnte, auf irgend eine Weise die Beseelung der Menschen zu fördern. Ein abenteuerliches, waghalsiges, gefährliches Unterfangen auf meinem Erdenrund! Darüber will ich erzählen, von meinem Leben als Agent Gottes in einer Welt gottfernen Denkens.

      Es war eine gute Stunde vor Sonnenuntergang, die Schwalben hatten sich emporgeschwungen, ich stand auf der Stadtmauer von Jotapata, zwischen den zwei nördlichsten Türmen, schnupperte in den ersehnten Abendwind und ließ meinen Gedanken freien Lauf: Die ersten Menschen des Paradieses hatten einst die falsche Wahl getroffen. Statt zuerst vom Lebensbaum zu essen, entschieden sie sich für die Früchte vom Baum der Erkenntnis, obwohl sie davor bei Strafe des Verderbens gewarnt worden waren. Erschaffen, um zum Gegenüber für Gott zu reifen, zum Coram Dei, verlangte es sie nach mehr Selbstherrlichkeit. Als Gott dann eine besondere Strafe dem Anschein nach nicht vollzog, sondern es beim Verlust des Paradieses bewenden ließ, wurde das so aufgefasst, als habe Gott sein Wort gemildert. Wie jemand, der wankelmütig oder geschwätzig ist. Ein kindliches Missverständnis. Ausweis der Unreife. Das Verbot war keine Order eines Herrn an seinen Sklaven, es war ein Akt der Fürsorge gewesen. Vorsorglich war es ausgesprochen worden, zum Schutz des jungen Denkens vor der noch übermächtigen Materia. Dass die Strafe auf sich warten ließ, hieß jedoch nicht, dass sie ausbleiben würde. Sie kam mit den Zeiten, indem die Menschen sie an sich selbst vollstreckten. Wenn dem Wunsch nach Freiheit kein Vermögen entsprach, nach der Erkenntnis zu leben, gab es keinen anderen Weg. Und so hatten sie sich in den ersten Brudermord gestürzt. Gott hatte ihnen in seinem Kummer immer zu helfen versucht, aber bis heute dünkten sie sich groß in ihrem Wahn, sie verlachten Gott und würgten einander.

      Brauchte es mehr Worte, um das Wesentliche zusammenzufassen? Nein, sicher nicht. Jedenfalls fiel mir kein weiteres ein. Da stand ich, Josef ben Matatias, Priester aus Jerusalem, Statthalter von Galiläa, Stratege der jüdischen Truppen, Befehlshaber von Jotapata, und die Brise fächelte mir sachte den Duft von Bratspießen herüber, von großen Obelisken, auf denen sich ganze Ochsen drehten. Die Feuer glühten in knapp einer Meile auf der Anhöhe vor dem einzigen Zugang zu unserem Adlernest. Oben auf einem leicht abschüssigen Felsgrat erbaut, schwebte Jotapata erhaben, tiefe Schluchten rings im Rücken, die, ihrerseits von Hügeln dominiert, keine Möglichkeit zum Angriff boten.

      Die Römer hatten rabiat die Zufahrt verbreitert und geglättet, um ihre Angriffe vortragen zu können. Ihre Belagerungswerke und Maschinen schienen heute nur von Wachmannschaften besetzt zu sein. Eigentlich ein Anblick, der einen energischen Ausfall förmlich herbeischrie. Wenn ich noch genügend Männer gehabt und wenn die noch über irgendwelche Kräfte verfügt hätten, ich hätte nicht gezögert. Auch am ersten Tag und noch einmal danach hatte es dort draußen eine ausschweifende Feier gegeben, mit reichlich Hörnertuten und Blechmusik, den grellen Posaunen als Höhepunkte. Jetzt begann auch der Widerschein der Feuer in den Himmel zu leuchten. Der Seewind hatte sich früh aufgemacht, als trage er Sorge, der Geselligkeit den heißen Sonnenglast vom Halse zu schaffen. Vielleicht wollte er aber auch bloß nach Art fahrender Sänger von saftdurchtränkten, kräutergewürzten Genüssen künden, die jede Vorstellung übertrafen und anderen, Glücklicheren vorbehalten blieben. Dabei kam uns nur etwas zu, wenn die von West einfallende Brise mal zufällig ein wenig nach Süden schlenderte. So wurden wir von der lässigen Beiläufigkeit des Boten, der vom ebenso unbekümmerten Treiben der Feinde kündete, zusätzlich verspottet. Ich wandte mich ab und hockte mich in den Schutz der Brüstung. Ich hatte meine Nase genug über die Mauer gehängt. Heute Nacht würden sie kommen. Satt, ausgeruht, mit kalten Herzen und frisch geschliffenen Waffen. Ich wischte ein Plätzchen sauber, zielte mit dem Hintern und lehnte den Rücken an.

      Seit meiner Rückkunft aus Rom und erst recht seit der Wahl zum Strategen hatte sich der Sinn meines Lebens verloren wie eine Kamelspur in den arabischen Dünen. Wohin sich wenden? Ratlosigkeit war die schlimmste aller Sorgen. Denn was bedeutete sie? Von Gott verlassen zu sein! Nein, nicht verlassen natürlich, allein gelassen. Das war eine Premiere und sie war entsetzlich. Immer war bisher in meinem Leben rasch klar geworden, was Gott von mir wollte, welche Saat auszubringen, welche Ernte einzuholen war. Das hatte sich in Galiläa gründlich geändert. Von einem Sabbath auf den anderen war ich ausgesetzt worden. Tag um Tag hatte ich mich wirklich verlassen gewähnt und im Geheimen kläglich nach Gott geschrien, für mich einsame, elende, ängstliche Seele wenigstens Trost erfleht um der Unschuld und Redlichkeit willen. Erst spät war mir aufgefallen, dass ich zu wenig nachdachte und entschieden zu viel den Jeremias gab. Ich dachte nicht als Stratege, der ich doch angeblich war. Gott hatte mich ausgesetzt. Gut. Das bedeutete: Nun hilf dir selbst! Also hatte ich selbstständig aus eigener Beurteilung aller Umstände Gottes Willen zu erschließen, Schritt für Schritt. Das