Von der Entstehung des Christentums. Beate Braumann

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Название Von der Entstehung des Christentums
Автор произведения Beate Braumann
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783844244649



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Lehrer wussten keine Lösung. Im Buch beruht der Name daher auf einer Art zurück durch die Zukunft, indem ich den Stamm »ban« im späteren Arabisch aufgesucht, das passende Wort »mubanni«, was »stämmig« bedeutet, ausgewählt habe und damit einen Namen für das satirisch beschriebene weise Maultier gewonnen hatte (S. 299).

      Es waren Jahre vagabundierender Suche, und Ende der 80er konnte ich ein Sabbatjahr freischaufeln, so dass mein Mann und ich in unserem Audi 50 die überlieferten Routen des Paulus rund um die Ägäis abfuhren und auch erwanderten. Josephus, bis dahin eher eine Randfigur für mich, brachte mir mein zweiter Lehrer Steve Mason nahe, der klare Verbindungen zwischen diesem Juden und dem frühen Christentum aufzeigte, und überhaupt als nahezu Erster dessen Texte auf angemessene, wissenschaftliche Weise ernst nahm.

      Beim Lesen in der Josephus-Forschung standen mir oft genug die Haare zu Berge und ich ergrimme noch im Nachhinein. Meist wurde er als Renegat, Konjunkturritter oder bewusstlos vor sich hin schreibender Kompilator hingestellt. Das Schlimmste aber war, dass man seine Texte oberflächlich, arrogant und summarisch behandelte. Man rückte dem Text nicht mit den literaturkritischen Handwerkszeugen zu Leibe, wie es für andere antike Texte längst selbstverständlich ist, was umso eigenartiger dünkt, wenn man bedenkt, dass diese Bücher durch ihre wahrscheinlich recht getreue und vollständige Überlieferung (durch die Christen!) aus dem antiken Schrifttum herausgehoben werden.

      Ehe ich mich weiter fortreißen lasse, will ich zwei Beispiele geben. In keinem einzigen Artikel wurde der Frage nachgegangen, wieso ein verheirateter jüdischer Priester, dessen Frau im belagerten Jerusalem weilt, zusätzlich ausgerechnet eine Kriegsgefangene heiraten kann, die wenig später in Alexandria ausbüxt. Und wie kann dieser Priester vor den Mauern seine »erste« Frau erwähnen, wenn er fürchten muss, dass sie daraufhin umgehend ermordet wird? Als ich deswegen eine, wie ich fand, recht gut begründete Anfrage an die Fachleute von der Uni Münster richtete, bekam ich lediglich eine ebenso knappe wie lachhafte Auskunft, die in dem Verweis auf eine kleine, mir durchaus bekannte Fußnote bestand. Dabei läuft am Delitzschianum seit Längerem sogar ein Josephus-Projekt, dessen Veröffentlichungen zwar für das Umfeld wichtig und aufschlussreich waren, für Josephus selbst jedoch jedes Mal tief enttäuschend.

      Oder die singulären Bemerkungen und Einzelsätze, mit denen Josephus die Beleuchtung wichtiger Sachverhalte quasi herunterdimmt. Seinen Mitüberlebenden in der Zisterne von Jotapata erwähnt er so karg als möglich, man spürt, gewisse Dinge kann er unmöglich verschweigen, muss sie wenigstens erwähnen, wenn auch in einer Form, die ihre wahre Bedeutung umgekehrt proportional vermindert. Solche Einzelsätze sind wie kleine, unscheinbare Türchen am Fuße der glatten Stadtmauer und sie werden bislang übersehen. Dass das Kriegsbuch zunächst einmal in mehrfacher Hinsicht Hofberichterstattung ist, wird kaum beachtet. Dazu gehört auch das Flunkern, und wenn ein Autor sich augenzwinkernd seiner Schläue und Durchtriebenheit rühmt, so sollte man sich ihm nicht so naiv nähern und alles für bare Münze nehmen, wie das gewöhnlich geschieht. Was er über die Ereignisse in der Zisterne schreibt, ist offensichtlich Blödsinn (S. 55), und es ist ulkig, wenn ein General a. D. im Fernsehen ganz ernsthaft diesen »militärischen« Teil des Josephus erklärt. Ich habe versucht, durch die Figur des Jakobus dem Mitüberlebenden und seiner Bedeutung gerecht zu werden, den Namen deshalb, weil Josef zuvor von einem »Leibwächter Jakobus« spricht.

      Ende der 90er hatten sich so viele Forschungsansätze eingefunden, dass ich vor der Alternative stand, entweder das Ganze weiterhin als Hobby zu betreiben oder der Sache ernsthaft auf den Grund zu gehen mit dem Ziel, zu einem befriedigenden Abschluss zu kommen. Mit Zustimmung meines Mannes provozierte ich meine Entlassung als Direktorin einer VHS. Das war ganz einfach, ich forderte im Beirat einen Eigenbetrieb wie die Müllabfuhr, damals der letzte Schrei. Die Politiker waren richtig begeistert, der Leitende Beamte ganz und gar nicht. Ich bekam eine Abfindung von 210000 DM und deren behutsamer Verzehr ermöglichte es in den folgenden Jahren, sich ganz auf Josephus zu konzentrieren. Die Idee mit der Habilitation und einer Stelle als akademische Rätin stammt aus dem ersten Jahr fröhlicher Phantasien in der neu gewonnenen Freiheit. Als mir jedoch das wahre Ausmaß der Arbeit vor Augen trat, wurde mir klar, dass ich zu wenig Lebenszeit dafür besaß und für mindestens ein halbes Dutzend Assistenten das Geld fehlte.

      Deshalb kam es zu einem grundlegenden Kurswechsel, weg von der üblichen wissenschaftlichen Form. Das »Ich« war eine längere, schwere Geburt. Aber schließlich besann ich mich darauf, dass ich in meiner Dissertation die Kompetenz des Einzelnen als Experte für sich selbst gepriesen hatte. Nun konnte ich mich meinem Hauptlehrer zuwenden, Robert Eisenman, den ich zufällig via Qumran kennengelernt hatte (die wenigen Sätze im 2. Kapitel, die sich indirekt auf Qumran beziehen, verdanke ich Norman Golb.) Sein Text über Jakobus den Gerechten, in dem er Josephus bei jeder Gelegenheit scharf abkanzelt, ist der größte, steinigste, schwierigste, aber eben auch fruchtbarste Acker, den ich je zu Gesicht bekommen habe. Er lehrte mich, die Apostelgeschichte als Satire zu verstehen. Ich konnte mir jetzt vorstellen, wie köstlich sich der Autor amüsiert hatte, als er einen philosophischen Plausch zwischen dem römischen Chef und Blutsäufer, einer jüdischen Prinzessin und einem gesellschaftlichen Nichts wie Paulus schilderte. Das Unjüdische am Neuen Testament trat immer deutlicher hervor, und Steve Mason zeigte lockende Perspektiven auf. Die Autoren als zwar rechtschaffene, aber durchtriebene und abgefeimte Leute zu sehen, brachte den Erfolg.

      Als hilfreichste strategische Methode, welche die Arbeit enorm erleichtert hat, erwies es sich, einen graphischen Baum zu zeichnen, bei dem ausschließlich Texte in Erscheinung treten und alle menschlichen Akteure ausgeblendet werden. Der christliche Baum beginnt ca. 70 mit dem Markus-Evanglium, etwa 20 Jahre später folgen, zeitnah beieinander, Lukas und Matthäus. Um 100 tauchen in Antiochia erste Briefe auf und es kommt zur Ausbuschung bei der Textverzweigung. In diesem Baumbusch müssen alle Sorten christlicher, kollateraler und außenständiger Texte mit christlichem Bezug erfasst werden, auch die, von denen wir nur wissen. Allein aus dem sichtbar werdenden Geflecht von Abhängigkeiten wird u.a. eine gute Einsicht in die zeitlichen Abläufe ermöglicht.

      Das Johannes-Evanglium scheint sehr spät zu kommen, französische Forscher gehen bis 150. In der dritten Generation des Christentums kommt es zur Rivalität zwischen den jungen Gemeinden um Ansehen und Einfluss. Ephesos scheint die führende Rolle gewonnen zu haben, so dass nicht nur ein neues Evangelium, sondern auch im Windschatten dessen die Apokalypse kanonisch werden konnte, eventuell beides vom selbem Autor, allerdings durch Jahrzehnte Lebenszeit getrennt. Auch die Paulusbriefe bringen den Wettstreit um Autorität und Deutungshoheit zum Ausdruck, und die Briefe »an« die Korinther, um die ältesten zu nennen, verstehen sich als Briefe »von« den Korinthern an die anderen Gemeinden. (Dadurch lässt sich z. B. in Thessaloniki eine spannende Phase theologischer Entwicklung rekonstruieren.) Die Frage der »unechten« und »echten« Paulusbriefe muss wohl im Zusammenhang mit Marcion geklärt werden.

      Wenn man den graphischen Baumbusch anschließend in eine Synopse mit dem gesellschaftlichen, religiösen und wirtschaftlichen Umfeld einbettet, für dessen unterschiedliche Aspekte es eine Vielzahl von profunden Studien gibt, so entsteht das schlüssige Bild einer neuen sozialen Bewegung, die nach 70 als Epiphyt einer schon länger bestehenden, vitalen Struktur eine rasche Verbreitung finden konnte. Ursprungsort ist vermutlich Antiochia (S. 312), für das eine Reihe wichtiger Indizien sprechen, sowie seine ethnische und religiöse Mischung, die ein wenig an das heutige Syrien erinnert. Antiochia war die Drehtür zwischen Erdteilen und Kulturen, von dort expandierte die Mitras-Verehrung ins Reich, und die kleineren religiösen Gemeinschaften waren keineswegs an Verfolgungen der Juden interessiert, wie sie weiter südlich in Damaskus und anderswo stattfanden.

      In der berühmtesten Stelle des Josephus, dem »Testimonium«, von dem selbst Laien mitunter gehört haben, wird vom Idol der Christen Zeugnis gegeben. Der mainstream der Forschung sieht eine späte Einfügung von Josephus’ eigener Hand, die geraume Zeit danach um erklärende Hinweise ergänzt wurde. Gleichwohl bleibt die Diktion auch der gereinigten Fassung (S. 379) rätselhaft und wird erst verständlich, wenn man sie als die zitierte Antwort eines jüdischen Untertanen auf eine herrische, ja herrschaftliche römische Befragung auffasst. Dass bei der ersten, höchst selektiven Christenverfolgung unter Domitian auch die rabbinische Führung angehört wurde, wird viel zu wenig beachtet, wie überhaupt die religionspolitischen Maßnahmen dieses Kaisers noch einer detaillierten Aufklärung harren.