Von der Entstehung des Christentums. Beate Braumann

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Название Von der Entstehung des Christentums
Автор произведения Beate Braumann
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783844244649



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krumm auf meinem Pferd. Was war mit der Klärung der Lage gewonnen? Im Sattel eine gute Figur zu machen, war eine Sache, die richtigen Befehle zu geben eine ganz andere. Ich versuchte, den Mahnungen der Presbyter der Friedenspharisäer treu zu bleiben. Mauern gegen Räubergesindel bauen, Vorräte anlegen, Mäßigung und Ruhe verbreiten. Jochanan, der Älteste, hatte es in die Worte gefasst: »Du solltest durch vorausschauende Selbstbeschränkung dem unausweichlichen Gang der Dinge einen friedlichen Verlauf ermöglichen.«

      Aber die Frage blieb nach wie vor: Was wollte Gott von mir? Tatsache war, dass meine anfängliche Verzweiflung noch bei Weitem übertroffen wurde durch die sich spätestens auf dem Weg nach Jotapata einschleichende Erkenntnis, dass eigentlich nichts anderes übrig bleibe, auch bei sorgfältigster und wiederholter Prüfung, was letzten Endes zu tun wäre, als in der Schlacht zu sterben. Also hatte ich mich entrümpelt in tiefer geistiger Nacht, bis ich leer war wie eine gut gefegte Geniza. Ich hatte akzeptiert, dass damit meiner Bestimmung eine Magerkeit zugewiesen wurde, die fast schändlich war, zutiefst verletzend, weil schmerzhaft ungerecht. Meine Bestimmung war so mager wie ich selbst. Bis hier nur sollte ich kommen und nicht weiter. Gott bedurfte meiner nur in minderem Ausmaß. Legen musste sich meiner Wogen Stolz. Grausame Erkenntnis, die aber gerade dadurch zusätzliche Katapulte von Lanzen der Selbstanklage aufrichten half: Was beschwerst du dich eigentlich? Du hast etwas an Gottes Verfügungen auszusetzen? Interessanter Gedanke! Zu wenig Selbstherrlichkeit für den großartigen Josef, was? Ja, ich war hart mit mir ins Gericht gegangen, und als ich auf diese Weise auch die letzten Körnchen Schmutz aus Ritzen und Ecken gefegt, hatte ich mein Schwert gezogen, um vor Gott zu treten. Ohne jede Hoffnung, mit nur wenig, eher gespannter, aufgeregter Furcht, hatte ich mich fortan immer mit den Ersten hinausgestürzt ins Gefecht, vom ersten Tag an, fast sieben Wochen lang. Jeden Augenblick hätte ich hinaufsteigen können, unter mir meine leere, bescheidene, zeitweilige Bleibe zurücklassend: durchbohrt, zerhackt oder eingedrückt. Jeder Herzschlag hätte der letzte sein können.

      Doch Gott hatte mich abgewiesen. Mit feiner Ironia hatte mich so mancher Pfeil beim Verfehlen am Hemd gezupft, mit krachendem Spott hatten Steine meinen Helm bloß gestreift, mit grobem Witz hatte ein Speer mich zwischen den Beinen am Rocksaum an eine Planke geheftet, sodass die Rede ging, die Römer, da sie mich sonst nicht anders zu fassen kriegten, hätten versucht, mich an der Vorhaut festzunageln, jedoch in der Hitze des Gefechts vergessen, dass ich beschnitten sei. Erst gestern hatte ich den Vorstellungen Jakobs nachgegeben, unserem verrückten Plan und meiner eigenen Idee zugestimmt. Gott schätzte keine Überheblichkeiten, er wollte nur eines, meine Hilfe, auch wenn mir als Konsequenz daraus schwindelig wurde. Denn wenn mein Dienst weiterging, so gab es nur noch eine einzige Möglichkeit dazu, einen einsamen Weg, der hinaufführte ins Gebirg, den kein Steinbock, der bei Verstand war, wagen würde. Schmal, gefährlich, nein halsbrecherisch, ein Aufstieg ins Blaue hinein.

      Jakob!

      Ich sah Jakob die Außentreppe des »Josias«, des linken Nordturms, heraufkommen. An den Wachen vorbei, die vor sich hin dösten, winkte er herüber. Jakob, keine zwanzig, stammte aus Leptis Magna und hatte im Fuhrunternehmen seines Vaters Reisende mit den Sehenswürdigkeiten des Drei-Städte-Landes bekannt gemacht. Von der Lektüre der Makkabäerbücher berauscht, insbesondere vom Schicksal der Witwe Hannah und ihrer sieben Söhne, hatte er sich bei Ausbruch des Krieges eingeschifft, dorthin, wo es aller Wahrscheinlichkeit nach zu den ersten Kampfhandlungen kommen musste, nach Galiläa. Anfangs kreiste er am Rande meiner Leibwächter. Je mehr von ihnen fielen, desto näher kam er mir. Seit einer Woche war er der Letzte meines privaten Gefolges.

      Anführer und letzte Leibwache waren während aller Kämpfe bisher ohne die kleinste Verletzung geblieben. Dafür hatten sich unsere Körper in alle Farben des Regenbogens gekleidet und auf den wunden Stellen half keine Salbe und kein Schwamm. An einem Tag wie heute, da das Schicksal Luft holte, einem Tag der Ruhe, meldeten sich alle Körperlichkeiten bis hin zu den feinsten Fasern und kleinsten Knöchelchen, von deren Dasein man nie etwas geahnt hatte. Angemessen war, der eigenen Befindlichkeit das an Augenmaß und Pflege zu widmen, was zum Erklimmen des ominösen Weges erforderlich schien.

      Jakob brachte Abendbrot. Die Pampe, von der wir uns ernährten. Sie wurde auf ärztliche Anweisung angerührt, weil so die Flüssigkeit am längsten im Körper verbleiben würde. Unser Wasser ging zur Neige, auch aus blindem Kampfeseifer. Wenn man den Feind entmutigen will, lässt man sich zu manch einer Verschwendung hinreißen, die man im Nachhinein bitter bereut. Unsere Kehlen waren trocken wie Tonscherben, und die Zungen klebten an unseren Gaumen. Wenn man die Haut vom Brustbein abhob, brauchte sie immer länger, um zum Körper zurückzukehren. Jakob reichte mir einen Henkelmann, äugte zum Römerlager hinüber und setzte sich neben mich.

      »Gute Luft heute.«

      Die Anzüglichkeit dieser Bemerkung speiste sich aus dem Bemühen, mir, dem »Alten«, wenigstens einmal am Tag ein Grinsen abzuringen.

      Ich grunzte zustimmend und begann das zu schlabbern, was aussah, als hätte ich es schon ein- oder zweimal gegessen. Der Junge legte nach.

      »Na, was heckt das Strategenherz wieder aus? Müssen die Römer zittern?«

      »Das sollten sie ..., aber ...«

      »... aber?«

      »... ich fürchte, sie schätzen ihre Lage völlig falsch ein.«

      »Gott weiß, wie dämlich sie sind.«

      »Ja, das ist unser größter geheimer Vorteil.«

      Meinem Schwanken hatte Jakob zugesehen wie ein Zimmermann der Zeder im Libanon, die der Axt zu trotzen versuchte. Ächzend und knarrend hatte ich nachgegeben. Der zwingende Logos der Konklusionen meines Leibtrabanten ließ sich nicht länger abweisen, es gab diesen Weg. Vorausgesetzt, wir wären in unserem wassersüchtigen Zustand nicht gänzlich verblödet oder herzalbern geworden. Fraglich war, wohin der Weg führte, ob in ein Tal, ob zu einer hohen Felswand, die lotrecht abfiel und deren Füße von weißer Brandung beleckt wurden. Die Römer sahen gern jemanden vom Felsen fallen. Wenn unsere Erzählung auf taube Ohren stieß, wenn sie uns auf die Schliche kamen, würden sie uns auspeitschen, bis wir unsere Knochen einzeln zählen konnten. Dann würden sie uns nach Korinth verfrachten und Nero würde seinen abendlichen Schweinebraten mit uns beleuchten. Für einen kaisartreuen Feldherrn gab es ohnehin keine andere Handlungsweise. Wie treu war mein Gegenüber, dieser Römer Vespasian? Was galten ihm die Mores der Väter?

      Mit dem Aufwachen hatte ich meinen Entschluss bestätigt. Die Sonne begrüßte ich festen Sinnes, das Morgengebet wie ein Abschiednehmen von Jotapata. Immerhin hatten wir unseren Plan nach einer alten Rezeptur entworfen, deren Quintessenz sich bereits für meine kindlich lauschenden Ohren zu dem Merkvers verdichtet hatte: Geh ins Zelt des feindlichen Feldherrn und triff ihn privat. Nicht mit der Sica, in unserem Fall, sondern mit dem Wort. Eine Vergiftung durch Übertragung des Wahns, der einem selber drohte. So wahr die Heiden von Gott keine Ahnung hatten, so wahr gab es diese Möglichkeit. Wenn die bis auf Knochen und Eingeweide abergläubischen Barbaren den geringsten Anflug von geistiger Kultur besäßen, sie müssten sofort merken, wie sehr sie verhöhnt wurden. Du willst sie verblenden, mein Gott, jubelte mein Herz, und es soll an meiner Dienstbarkeit nicht fehlen! Ebenfalls nicht am Vermögen. Als Meisterstück hatte ich nichts weniger als eine Cäsarengattin und Augusta vorzuweisen, die ich um die Finger gewickelt hatte, ganz so, wie die Vielduftende es mit ihrer kleinen bunten Schlange getan. In Jakobs Ergründung zeigte sich die Lage so klar wie die Wassersuppe der Essener, und er hielt einen zu erwartenden Folgeauftrag für eine ausgemachte Sache zwischen Gott und seinen Gefolgsamen. Ob dem Jungen annähernd bewusst war, was unser geplantes Drama an Fertigkeiten verlangte? Wenn wir den misstrauischen Wilden nicht überzeugend gegenübertraten, wäre es besser, wir wären uns auf der Stelle beim Heimgang behilflich. Jakob besaß womöglich eine zu hohe Meinung von mir, und ihm war nicht deutlich, was es bedeutete, dass unser Stück auf der Theaterbühne römischer Politik gegeben wurde.

      »Sag mal, wenn Gott die Römer tatsächlich in unsere Hand gibt ... dann ...«

      »Dann?«

      »... dann muss doch der neue Auftrag, den wir bekommen werden, ein ... hm ... ein ziemlich bedeutender sein, oder?«

      Nun gönnte ich dem Kleinen und mir ein Grinsen.