Von der Entstehung des Christentums. Beate Braumann

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Название Von der Entstehung des Christentums
Автор произведения Beate Braumann
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783844244649



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an der sie qualvoll verendet war. Die Nachricht von ihrem Tod hatte meine drei befreiten Collegen und mich veranlasst, schnellstens Abstand von Italia zu suchen. Wir bestiegen das erstbeste Schiff. Es trug uns nach Malta, wo wir zu einem Heliosfest ankamen, bei dem, wie auf Rhodos, ein geschmückter Sonnenwagen über eine Felsklippe gestürzt wurde. Die Tiefe der Fahrrinnen zeugte vom Alter des Brauches.

      Was aber würde Nero zu Vespasians Provokation sagen? Würde der Princeps das Unkraut des Hochverrats an der Wurzel ausrotten, wie üblich, Vespasian abberufen und mit ihm kurzen Prozess machen? Durfte er darauf hoffen, dass der aus seinen Ämtern Entlassene sich ebenso willig in sein Schicksal fügen würde wie der vormalige Feldherr des Ostens, Corbulo, der mit befohlenem Selbstmord für seine Erfolge bezahlen musste? Die Begegnung mit Vespasian lebte mir wieder auf. Ich hatte untergebracht, dass es eine Friedenspartei gab, wer ihr Anführer war und dass ich diesem unterstand. Außerdem hatte ich die Vokabel »Rechtssicherheit« platziert, ein Keim, an dem mir sehr gelegen war. Bemerkenswert und auffallend, dass meine Rede vom »Einen und Einzigen Gott« so glatt, ja, wie geölt geschluckt wurde. Hatte ich deshalb die Wendung vielleicht einmal zu oft benutzt? Ich ging das gesamte Gespräch durch, wog jeden Satz, jede Formulierung. Gab es Möglichkeiten zur Verbesserung? Welches Wort konnte durch ein treffenderes ersetzt werden? Und so fort. Die Manie der Zergliederung, der unermüdlichen Wiederholung und Variation, rührte von meinen Schulen her, von den jüdischen und griechischen, in denen für Rabbi und Rhetor gleichermaßen jedes Wort Gewicht besaß und ich oft genug die beste Formulierung zur Erwiderung an einen dialogischen Partner erst auf der Treppe oder dem Heimweg gefunden hatte. So sinnvoll eine Nachbetrachtung als Quell des Lernens ist, kann sie gleichwohl zu einer stumpfen Tretmühle ausarten, wenn sie kein Ende findet. Ich hatte vor Jahren meinen inneren Archivar beauftragt, mir Bescheid zu geben, wenn ich wieder einmal mein Denken zu Schleifen gebunden hatte. Ich schrak hoch und schalt mich ob meiner wenig hilfreichen Erwägungen. Alles Klamüsern nutzte nichts, solange Nero das Diadem trug. Ich hatte vorausgesagt, dass er das irgendwann bald nicht mehr tat. Für sich genommen keine große Kunst, denn viele glaubten nicht an eine lange Regentschaft des Verrückten. Aber er würde nicht mir zu Gefallen von der Bühne abtreten. Nero hielt sich für den unverzichtbaren Hauptdarsteller in führender Rolle, wohl eher eine Einzelmeinung. Meine Prophezeiung war eine indirekte Aufforderung an all die Nerohasser, endlich tätig zu werden.

      In der politischen Arena bedeutete Vespasians Duldung meines Auspiziums eine öffentliche Ansage und Herausforderung für seine Rivalen, die direkten Anlieger und Nachbarn an den Aquädukten von Rom. Das war keine Verschwörung im Geheimen, keine pisonische Conspiration, die Bundesgenossen suchte, sondern ein stolzer Anspruch, der selbst mögliche Verbündete in die Schranken wies. Wer immer sich berufen fühlte, diesem entgegenzutreten, würde eilends den Staub von den eigenen Omina wischen, denn es gab wohl keinen unter den Senatoren, dessen Lebenshoffnungen nicht von ausgesuchten Glücksverheißungen alimentiert wurden.

      Unsere erste Rast an einem dahineilenden, von Lilien und Weiden gesäumten Bach half, die nutzlosen Gedanken zu verscheuchen. Jakob, an dessen Unbekümmertheit ich mich labte, raunte mir beim Tränken der Pferde zu:

      »Das ist nicht der echte Adler, das ist der Ersatz.«

      »Bist du sicher?«

      »An der linken Klaue ist die Spitze der ersten Kralle abgebrochen.«

      Klar, es konnte nicht anders sein. Die Legion würde niemals ihr schlachterprobtes Amulett hergeben, und sei es für ein paar Tage. Irgendwer war auf die pfiffige Idee mit dem Ersatzadler verfallen.

      »Gut, dass du ihn noch poliert hast.«

      »Und sie haben kein Imago von Nero dabei.«

      »Wirklich?«

      Im Laufe der Jahre war es mir versierter Usus geworden, Bilder oder sonstwie Figurines, Imagos oder Pictura, Eikonen oder Eidola oder wie immer man so ewas nennt, nicht wahrzunehmen. Sofern es nicht Flora und Fauna betraf jedenfalls. Wenn ich mich überwand, irgendeine figürliche Darstellung ins Auge zu fassen, so musste ein besonderer Grund dafür vorliegen, der einer bestimmten Aufgabe geschuldet war. Jakobs Entdeckung bedeutete, dass unsere Turma bewusst den neuen, heiligen Genius trug, den die Legion erhalten hatte. Ein würdiger Nachfolger für den geliebten Corbulo stand bereit. Ihr Sacramentum, ihr Fahneneid, wurde dadurch nicht verletzt, denn Gehorsam und Treue hatten nicht gelitten. Dass ein Bild des Nero nicht mehr zu den Augustalia gehörte, hatten nicht sie zu verantworten, sondern diejenigen, denen sie in ihrer Mitte das Geleit ins Hauptquartier gaben.

      *

      Als es wieder der Küste zuging, erinnerte ich mich meiner Pflichten. Ich hatte ein Fazit meines Erdenaufenthaltes gezogen, einen Befund der hiesigen Gottsuche erhoben. Wenn ich in Jotapata gefallen wäre, hätte das ausreichen müssen, und ich wäre mit nichts anderem vor Euch getreten, liebe Seelen. Jetzt aber, da ich weiterlebte, hatte ich demnach weiterzudenken. Ich musste überlegen, was der Befund bedeutete und wonach er verlangte.

      Was er bedeutete, war ebenso einfach wie bestürzend: Beseelung war kein Vorgang, der von vornherein störungsfrei ablief. So wie bei anderem Werden in der Schöpfung konnten, als Preis der Freiheit, alle Entwicklungen mehr oder weniger beschädigt werden, bis hin zum Scheitern. Für mich am eindrücklichsten sind missgebildete Kinder, die zudem nicht die besondere Liebe, auf die sie ein Anrecht haben, empfangen, sondern gleichsam als Strafe für ihr schweres Los auf bestialische Weise ermordet werden. Ich habe es mir einmal angesehen, umgeben von spähenden Aussetzern, wie Raubzeug das weinende Bündel in seinem Fang davontrug.

      Von angenommen einer Million Erden mochte es vielleicht tausend geben, auf denen die Beseelung nicht so gelang, wie sie angestrebt war. Die Gründe konnten auf jeder Erde verschieden sein. Oder war eine allgemeine Ursache wie Dummheit plausibel, wie viele Denker vermuteten? Sicher, man erläuterte einem Schüler eine Woche lang das Alpha und wenn man ihn am Sabbath fragte, was dieses Zeichen bedeutete, antwortete er freudestrahlend: »Fisch!«. Doch waren Dummheit, Schwachsinn und Beschränktheit für einen Gottsucher sinn- und nutzlose Begriffe. Ich hatte sie des Öfteren verworfen. Sie erklärten nichts und vermochten keine Ursache für die mangelnde Kraft der Vernunft namhaft zu machen. Welche schädlichen Einflüsse auch immer den Prozess der Beseelung störten, festzuhalten blieb, dass die daraus folgenden schweren Missbildungen im Denken nicht als Regelfall anzusehen waren, sondern als Ausnahme. Alles andere hätte mein Denken zusammenbrechen lassen, und ich wäre erstarrt, um auf meine Zerstäubung zu warten.

      Es konnte keinen komplett oder maßgeblich wahnsinnigen Kosmos geben. Es mussten Gesetze herrschen, die sicherstellten, dass dem Wahnsinn Grenzen gesetzt waren. Gott wollte keine Schöpfung, die verrückt spielte. Sonst wäre er ja selbst nicht ganz dicht. Ein Gott mit Dachschaden für eine unbehauste Welt.

      Die Ursache für das Entstehen falschen Denkens auf meiner eigenen Erde barg keine Geheimnisse. Ich hatte mich, nicht nur in meinem Studium am Museion von Alexandria, in die Schriften der Völker des Altertums vertieft und war ubiquitär auf Erzählungen und Berichte von zerstörerischen Eingriffen aus dem Himmel gestoßen. Vor etwa zwölfhundert Jahren mussten, über einen Zeitraum von mehreren Jahrhunderten, Verderben bringende Cometen, die anscheinend aus Richtung der Plejaden kamen, verschiedene Teile der Welt immer wieder verheert haben. Möglicherweise ist ein Hauptcomet zerbrochen und die hohe Trefferzahl damit zu erklären. Bei oberflächennahen Erzadern kam es zur Metallschmelze, die zusammen mit großen Mengen glühender Holzkohle das erste Waffenschmieden ermöglichte. Hier ist Kupfer im Besonderen zu nennen, weil es auch ohne Reinschmelze Härte und Formbarkeit vereinigt. Eisen, das Metall der späteren Waffen, zeigt sich dagegen spröde und unzugänglich. Philosophen wie Platon machten in dieser Phase vier große Kataklysmen aus und führten sie auf die Abweichung der am Himmel kreisenden Körper zurück, was Planeten einschließen würde. Sein Schüler Aristoteles stimmte ihm in den Zerstörungen der Kulturen zu, wenn er auch, weil er an Furcht vor den Weiten des Kosmos litt, Cometen in die Sphäre zwischen Erde und Mond einsperrte, eine recht alberne Vorstellung. Manche Regionen waren nach örtlichen Berichten bis zu fünfmal heimgesucht worden. Ich konnte über sechshundert Flutsagen von mehr als zweihundertfünfzig Völkern und Stämmen auflisten.

      Wenn auf einer Erde die Beseelung nicht wie von Gott erhofft ablief, war als Nächstes nach der Schwere der Störung zu fragen. Hielt