Von der Entstehung des Christentums. Beate Braumann

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Название Von der Entstehung des Christentums
Автор произведения Beate Braumann
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783844244649



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eine der beiden natürlichen Stärken, über welche die Menschen verfügen und für einen Agenten Gottes also eine naheliegende Notwendigkeit, sich in den Regeln der Komik zu üben. Was den militärischen Bereich betrifft, sind hier klare Traditionen anzutreffen, die lediglich bei intimer Kameradschaft aufgehoben werden. Zunächst obliegt es dem höchsten anwesenden Rang, durch unmissverständliche Signa klarzutun, dass sein augenblickliches Gemüt nach einer ironischen oder witzigen Bemerkung verlangt. Wenn der Oberste klug und verständig ist, lässt er zudem erkennen, wie stark seine serene Empfindung ist und welche Art der Reaktion er erwartet oder sich wünscht. Solche Hilfen sind besonders für den nächsten im Rang wichtig und maßgebend, denn er muss, als Anführer aller Untergebenen, den Zustand des Obersten einschätzen und für ein angemessenes lachhaftes Echo sorgen. Sämtliche anderen in der Befehlskette richten sich nach dem Zweithöchsten, wobei jeder sich an seinen direkten Vorgesetzten hält, sodass eine gewisse Verzögerung in der Abfolge eintreten kann und der Rangniederste noch ein Lachgeräusch abgibt, während der Taktgeber das seine bereits beendet hat. Das Grundmuster variiert jeweils nach Art und Anzahl der vorhandenen Ränge und gibt durch die Qualität seiner Durchführung profunde Auskunft über die Stimmung in der Truppe.

      Nachdem ich mich ein wenig erholt hatte, stach mich der Hafer, und es prickte mich, dieses unbekannte Gelände der Gelalogie, der militärischen Lachkunde, mit kleinen Schritten zu erforschen. Ich wählte dazu mit Bedacht einen langbärtigen Witz, der schon beim Bau des ersten Tempels als veraltet zurückgewiesen worden wäre, und lauerte auf eine passende Gelegenheit, ihn anzubringen. Die Eruption der Heiterkeit erfolgte prompt, ich erzielte sogar eine doppelt so lange Äußerungsdauer wie ehedem und, eine wohltuende Erfahrung, durfte erfreut feststellen, dass beim zweiten Erleben der Schrecken bereits nachgelassen hatte.

      *

      Am Nachmittag, als wir unsere Pferde zeitweilig am Zügel führten, holte mich mein halbes Jahr Galiläa ein. Länger hatte es ja nicht gedauert, wie ein Blitz war es in mein Leben gefahren. Nichts in meinem bisherigen Dasein hatte mich auf das vorbereitet, was mir vom Damaskustor an abverlangt wurde. Ein Rollenwurm und Schlaukopf war zum Strategen aufgestiegen. Warum gerade ich? Sicher, ich war beliebt, hatte Fürsprecher ob meines Erfolges in Rom, befand mich im richtigen Alter und gehörte zu den führenden Friedenspharisäern. Im Grunde verfügte unsere Partei kaum über einen anderen geeigneten Kandidaten. Schließlich hatte mich der Blick Jochanans getroffen, der mich weiteren Nachdenkens enthob. Aber warum hatten die Zeloten bereitwillig unserem Vorschlag zugestimmt? Erst nach ein paar Wochen meiner neuen Amtswaltung war mir klar geworden, dass die Kriegspartei Galiläa für einen verlorenen Außenposten hielt, der von der römischen Militärmaschine als Allererstes mit voller Wucht getroffen werden würde. Welcher Blödmann wollte sich darauf einlassen? Sie hatten einen solchen Trottel gesucht und in mir den richtigen Deppen gefunden.

      Seit ich von Bord der Thetis gegangen, war ich ein Getriebener, nicht mehr Herr meiner Entscheidungen. Ich hatte die unsägliche Euphoria nach der Niederlage des Cestius, des Statthalters in Syrien, erlebt und war in die hitzigen Auseinandersetzungen involviert worden, die vor allem im Tempel und in seiner Umgebung stattfanden. Im Ergebnis war ich zum Sterben geschickt worden. Allerdings verfiel man in Jerusalem nach gar nicht langer Zeit darauf, dass ich abberufen werden müsse, aus lachhaften Gründen, was mich gewaltig aufregte. Die Vorwürfe gipfelten darin, dass die von den Römern geduldete Alleinherrschaft mein angestrebtes Ziel wäre. Josef I., Tyrann von Galiläa! Welche Ehre! Ich spielte mit der Abordnung, zu der sinnigerweise auch Kriegspharisäer gehörten, kleine Spielchen, bis sich der Schwachsinn im Sande verlor. Hinter der Sache steckte nicht zuletzt Ananos, ein übler Schurke, Lügenmann und Frevelpriester, der die Würde des Hohenpriesters bekleidetete, als fünf Jahre zuvor der Prokurator Festus überraschend verstorben war und ein neuer Präfekt auf sich warten ließ. Er hatte die Machtlücke ausgenutzt und wider alle Gesetze Jakobus den Gerechten, den Presbyter der Essener, schon lange ein Dorn in seinem Auge, von den Treppen des Tempels stürzen und steinigen lassen. Zum Vorwand diente ihm, dass der Verehrte, der von den Essenern und vielen anderen als das Gewissen des Volkes angesehen wurde, das Allerheiligste betreten hatte. Das wiederum konnte gelingen, weil die Essener ihre Festtage nicht nach den Vorgaben der sadduzäischen Priesterschaft einteilten, sodass sich Verschiebungen zum gewöhnlichen Kalender ergaben.

      Jakobus war mit den Worten gestorben: »Herr, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.«

      Ananos war drei Monate nach seiner Einkleidung vom Nachfolger des Festus wegen seiner Eigenmächtigkeit aus dem Amt entfernt worden und zog seitdem im Hintergrund die Fäden.

      Vor der Abreise nach Galiläa hatte man mir eine Liste mit über zweihundert Städten und Dörfern in die Hand gedrückt, für die ich zuständig sein sollte, und den militärischen Auftrag erteilt, die Römer so lange hinzuhalten, dass sie einen Angriff auf die Hauptstadt ins nächste Jahr verschieben mussten. Wie aber würden die Befehlshaber in Jerusalem die Zeit des Aufschubs nutzen? Ich hegte da keine großen Hoffnungen. Meine Mitgesandten unterstützten mich meist, bisweilen jedoch nicht. Einer hatte sich noch im Winter, kaum dass wir uns um erste Ordnung bemühten, erheblich verletzt und seinen Amtspflichten nicht länger nachkommen können. Er hatte sich bei dem Versuch, einen der selbst gefüllten Beutesäcke eigenhändig auf seinen Wagen zu wuchten, einen schweren Bruch gehoben. Eine große Anzahl der jüdischen Einwohner Galiläas hatte das Weite gesucht, sich meist auf die Flucht nach Süden gemacht. Wenn ich auf Flüchtlinge traf, ließ ich sie vorüberziehen. Neben ihrem bisschen Habe führten viele ihr Wichtigstes mit sich, jüdische kanonische und andere fromme Rollen, die bis Kriegsende in den Höhlen nahe Jericho versteckt werden sollten, wo ich mein Essenerjahr verbracht hatte. Sie gehorchten einer Aufforderung aus der Schrift, die sinngemäß lautet: Nimm die Worte Gottes und stecke sie in ein Tongefäß, damit sie lange Zeit erhalten bleiben. Auf meinen mehr oder weniger sinnvollen Kreuz- und Querzügen war mir aufgegangen, dass ich als eine Art Räuberhauptmann fungierte. Ich nahm plündernde Banden in meine Dienste, die ich mit Geld von denjenigen bezahlte, welche ansonsten überfallen worden wären. Ich hatte schwere Fehler gemacht. Aber was war falsch und was war richtig im Krieg? Was heute gut erschien, konnte sich morgen als schlecht erweisen. Die Hoffnung auf Beherrschbarkeit der Lage wurde oft genug bitter enttäuscht. Mein Handeln konnte den Verfügungen planerischer Vernunft nicht folgen. Und meine Stellung als Stratege? Sie half mir manchmal nicht im Geringsten. Wenn ein Anführer sich auf diese seine Eigenschaft berufen und in ihr beweisen wollte, hatte aber keine ausreichenden Machtmittel an der Hand, so war jede Autorität von den Interessen der Umgebung abhängig. Die Schar meiner unmittelbaren Leibtrabanten zwang mich, in schwierigen Lagen ihr Verlangen zu dulden. Dass ich vom Volk in ein Amt eingesetzt worden war, kümmerte die wenigsten. Ich wurde verantwortlich für Dinge, die andere verfügt hatten, und musste immer wieder fremdem Willen gehorchen. In Justus von Tiberias und Johannes von Gischala erstanden mir gefährliche Feinde aus dem eigenen Volk. Der erste, ein auf allen Schicksalswogen oben schwimmender Abschaum, sollte mir dereinst mein Alter vergällen, der zweite trug wesentlich zum Untergang des Landes bei, wovon später zu sprechen sein wird.

      Das Erscheinen des römischen Feldherrn Vespasian in Galiläa setzte meiner kurzen Statthalterschaft ein jähes Ende. Ich hatte meine Truppen in der Nähe von Sepphoris, dem Hauptort der Griechen, gesammelt und war aus dem Staunen nicht mehr herausgekommen, denn Zehntausende strömten zusammen. Was sollte ich davon halten? Es war in hohem Grade unheimlich für mich, konnte es doch keinen Zweifel darüber geben, dass meine Volksgenossen sich der Illusion hingaben, jetzt stünde die Ankunft eines messianischen Helden unmittelbar bevor. Wann sollte der Messias sonst vom Himmel steigen, wenn nicht zu Beginn des Krieges, beim ersten ernsthaften Angriff des Feindes? Logische Momente, die unerfüllt blieben. Kein Wunder geschah, keine himmlische Hilfe deutete sich an. Die Massen zerstreuten sich, nicht etwa kurz vor dem Kampf, sondern ehe sie die Römer überhaupt zu Gesicht bekommen hatten. Mit wenigen Truppen sich selbst überlassen, sah ich, dass eine offene Feldschlacht sich erübrigt hatte. Ich setzte ein Schreiben an die Befehlshaber in Jerusalem auf, schilderte ihnen wirklichkeitstreu die Lage der Dinge und verlangte Auskunft über das weitere strategische Vorgehen. Wollten sie Frieden schließen, sollten sie es mir umgehend mitteilen; hätten sie die Absicht, mit den Römern entschlossen Krieg zu führen, sollten sie mir ein Heer senden, das dem Kampf gewachsen sei. Anschließend zog ich zunächst nach Tiberias, dann nach Jotapata. Die mir Verbliebenen konnte ich nicht enttäuschen, sie vertrauten