Von der Entstehung des Christentums. Beate Braumann

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Название Von der Entstehung des Christentums
Автор произведения Beate Braumann
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783844244649



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Mähne. Ich stellte mich vor ihn, schob die Hand breit unter den Kehlriemen, zwei Finger flach unter den Nasenriemen, und strich ihm die Stirnhaare über das hellblaue Kopfband. Ich legte meine Stirn auf seine Nüstern und sang ihm einen der Verse vor, die ich im Gürtel trug. Als ich mich zum Treppchen hin abwandte, tat mir Hektor den Gefallen, ein wenig Freude zu zeigen. Auf Stufen ein Pferd zu besteigen, ist natürlich eine dankbare Rolle, und ich suchte der Würde des Propheten eine schwungvolle Note zu verleihen. Nicht nur die Reiteraugen würden jede meiner Bewegungen mit fachkundigem Argwohn beobachten.

      Ich musste mein Pferd versammelt halten. Wenn ich gedacht hatte, die Reise würde gleich beginnen, so wurde ich eines Besseren belehrt. Die Nebendarsteller waren an der Reihe. Offiziere, die nach einem bestimmten Muster verteilt standen, brüllten sich kurze Sätze zu, die dazu führten, dass der rechte Block der Legionäre sich in Bewegung setzte und linksschwenkmarsch die Straße nach Süden gewann. Die übrigen Truppenteile folgten in schier endloser Reihe. Ich lugte verstohlen hinüber zur ersten Bühne. Der Alte hatte mich am Brunnen vor dem Tore empfangen. Der kühle Quell entsprang einem großen Meilenstein, der sich in einem Feigenhain versteckte und dessen Wasser von einem hoch gelegenen Rückhalt gespeist wurde. Hier hatte ich vor gut zehn Jahren Rast gemacht, auf meinem Weg nach Antiochia. Die Stätte konnte recht lauschig sein, ohne Heerlager drumherum.

      Aber der Flavier saß ja noch da! Und was machte er? Er schrieb etwas auf, unermüdlich, hatte keinen Blick für uns. Wenn er eines Tages seine Denkwürdigkeiten diktieren sollte, konnte er das Traumgeschenk wörtlich zitieren. Vielleicht würde er sein Schriftgut auch anderen Fachleuten vorlegen, denen vom Karmel zum Beispiel. Ganz gewiss aber würde er es seinem Sohn zeigen, der bestimmt zappelig in irgendeinem Zelt mit dem Frühstück wartete.

      Meine Stimmung hatte sich merklich verdüstert. Sollten wir im Schritt nach Caesarea? Hinter all dem Fußvolk? Noch mal so eine Tortur wie nach Ptolemais in meinem unerträglichen Kostüm? Die Reitergruppe, auch wir, schlossen uns den Marschkolonnen an. Hektor und ich ließen die Köpfe hängen, er latschte vor sich hin und ich wiegte mich in der neu gewonnenen Geborgenheit.

      Militärisch gesehen hatten wir uns einen Brückenkopf erobert, den es zu stabilisieren und auszubauen galt. Die Lage musste jeden Tag überblickt werden, mehr noch, ständig war Ausschau zu halten nach möglichen und unmöglichen Gefahren, gleich aus welcher Richtung sie kommen oder hinter welcher Ecke sie uns auflauern würden. War der Brückenkopf erst einmal ausreichend gesichert, konnten wir vorsichtig an die Ausweitung gehen. Mit dem bisher Erreichten durften wir zufrieden sein.

      Ein Nickerchen übermannte mich, aus dem ich hochschrak, als Hektor stehenblieb. Die Lage hatte sich verändert, ohne dass ich etwas davon mitbekommen hatte. Erst wohlfeile Selbstverpflichtung zum unermüdlichen Ausspähen und anschließend einschlafen, das fing gut an. Die Fußtruppen hatten sich zu den Seiten der Straße geteilt, wir ritten hindurch, vorneweg der Adler und ein paar Fahnen, hinterdrein unser Schwarm, Turma genannt, ein halbes Dutzend Centurionen und fünf Tribunen zum Schluss, die diverse Einheiten repräsentierten. Dazu Jakob und ich, die wir uns wie ausgestülpt vorkamen. Die X. Legion hatte zu Anfang des Marsches nach Caesarea ihren erbeuteten Schatz wie ein großer menschlicher Körper, wenn ich so sagen darf, noch einmal aus sich herausgetrieben und diese Geburt übrigens mit Geräuschen begleitet, wie man sie mittels Blech und Eisen erzeugen kann. Nach einer Weile steigerte sich mein Glück. Wir hielten an und sämtliche Reiter entledigten sich ihrer Paradesachen. Ich entkam dem beengenden Brutsack, und zwar für immer. Sogar die Ketten wurden mir abgenommen, und ich habe sie, bis auf eine Ausnahme, nie wieder anlegen müssen. Bereits bei diesem ersten Austausch unter Reitern, währenddessen mir diskret Wollfett angetragen wurde, entwickelte sich ein kameradschaftlicher Ton; alle fühlten sich sichtlich wohl als selbstständige Sondereinheit des kommenden Princeps, wie die Römer den Kaisar nannten.

      Kapitel II

      Unterwegs

      Die Entfesselung machte mich wie trunken, und in den würzigen Schatten des lieblichen Karmel begann mein Herz zu singen. Es wandte sich mit überschwänglichem Dank an Daniel, meinen Leitstern, den ersten Rabbi. Eine Ansicht nebenbei, mit der ich in bestimmten Jeschiwoth mühelos Augenbrauen in schnelle Bewegung versetzen könnte, für die ich gleichwohl lang bedachte und wohlerwogene Gründe habe, die ich an geeigneter Stelle vorlegen werde. Daniel und seine drei Freunde hatten, damals in Babylon, in nur einer Nacht unter größter Belastung ein Traumgesicht erarbeiten müssen, von dem Wohl und Wehe abhingen. Alle anderen Traumgelehrten ließen ihnen zu gern den Vortritt. Die vier hatten ihre herausragende Stellung und ihren Ehrfurcht gebietenden Ruf erworben, indem sie alte babylonische Sintflutängste mit ihren Zackensternen beschwichtigten, welche die stabilen Umläufe von Venus und Merkur sowohl geometrisch als auch magisch beglaubigten. Schon auf dem Schoß meiner Mutter, wenn sie mich fragte, ob sie mir ein Rabbimärchen erzählen solle, wünschte ich mir am liebsten ein Abenteuer der vier Freunde. Meine Anhänglichkeit hat sich in den Zeiten seither nicht vermindert. Zu Daniel also später. Weiter im Vortrag!

      Als Nächstes galt mein inniger Dank Apelles, meinem Ausbilder im Lächeln, der mich gelehrt hatte, dass bürgerliches römisches Leben vor allem ein einziges Theaterspielen sei, auf vielen Bühnen, die sich nach Ansicht der Römer alle zusammen auf dem Theatrum Mundi befanden. Er war ein berühmter und wohlhabender Schauspieler, der von vielen Aliturus genannt wurde. Er hatte mich in Puteoli erwartet und entsetzt wie beglückt in die Arme geschlossen, denn die Nachricht vom Untergang meines Schiffes, der »Atropos«, war meinen Schritten vorausgeeilt.

      »Lass dich anschauen«, hatte er gesagt, sich aus der Umarmung gelöst und mich im Ganzen betrachtet. Ich lächelte ihn an, mir war leicht ums Herz nach den überstandenen Fährnissen. Apelles beobachtete mich fassungslos, wie mir schien.

      »Mach das noch mal.«

      »Was denn?«

      »Lächle.«

      Ich tat es unwillkürlich.

      »Versprich mir, dass du deiner Mutter meine Verehrung bezeugst, eine solche Begabung geboren zu haben.«

      Später, bei einem Verführungsessen, einem himmlischen Lammbraten, war er richtig zur Sache gekommen.

      »Welcher Schatz wurde dir mit diesem Lächeln verliehen! Aber du musst es ausbilden! Du musst in eine gute Schule gehen, ach was, in die beste, die meine! Sonst bleibt es in seiner Wirkung weit unter seinen Möglichkeiten, und du wirst es nie zu wahrer Meisterschaft bringen.«

      Er schlug mir ernstlich vor, nach Erfüllung meines Auftrags die Bühnenlaufbahn einzuschlagen, ich könne jede Menge juvenile und virile Liebhaber spielen und ein gut gepolstertes Leben führen. Fehlte nur noch, dass er mir von leckeren Verehrerinnen vorschwärmte, aber das fiel ihm nicht ein, denn Apelles war vom anderen Ufer. Es gibt auf meiner Erde mitunter eine kuriose Vertauschung der Geschlechter, sodass Gleiche sich lieben. Im Tierreich scheint sich Ähnliches abzuspielen, und zuverlässige Quellen berichten, dass manche Tiere ihr Geschlecht sogar hin und her wechseln. Es spricht nichts dafür, dass durch derartige Launen der Natur die Gottsuche irgendwie beeinträchtigt wird. Ich erhielt unter dem Duktus des Apelles eine gründliche Einführung in die Welt des Theaters und spielte einige Male Nebenrollen in Komödien, als Anfänger leider ziemlich derbe Figuren. Meine naturwüchsigen Anlagen erfuhren eine Disziplinierung, ähnlich derer in meiner Zeit bei den Essenern, wo ich meine körperlichen Gelüste beherrschen gelernt hatte, was als Grundausbildung für alles Weitere betrachtet werden kann. Vor allem die Kunde meines Lehrers über das Lächeln sollte feine Früchte tragen.

      »Wer ein Lächeln wie deines gesehen hat, ist versucht, irgend-etwas zu tun, das es wieder hervorlockt. Er möchte es zu gerne wiedersehen. Du kannst ihn damit füttern, bis er tut, was du willst.«

      Im Plausch mit Neros Frau Poppäa hatte sich das aufs Schönste bestätigt. Mit der Schwangeren über die Heiligkeit des Lebens zu sprechen, gelang zwanglos, weil das Lächeln, das wir eingeübt, alle hohen, schweren Türen aufgestoßen hatte. Begleitet wurde es von dem Donativ eines kleinen, schmucken Libellums, gefüllt mit philosophisch gewürztem Lesefutter, angerichtet von Magister Musonius, Apelles wusste um ihre Schwäche dafür. Sie hatte ihr Kind mit stolzer Anmut getragen, und ich brauchte mich in meiner Bewunderung nicht anzustrengen. Mir war in jenen