Von der Entstehung des Christentums. Beate Braumann

Читать онлайн.
Название Von der Entstehung des Christentums
Автор произведения Beate Braumann
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783844244649



Скачать книгу

der Übernatur Widerpart bot. Schauspiel und Drama entfalteten sich ebenso wie körperlicher Wettstreit, wie er heute noch etwa in den olympischen Kämpfen anzutreffen ist, die übrigens ausgerechnet von einem König der Juden in ihrem Bestand gerettet worden sind.

      Der an einem Pfahl aufgehängte Leichnam eines Opfers mit seiner Schreckensmaske war die erste Götterstatue auf meiner Erde. Dann wurden Götterpersonen aus Holz geschnitzt, später aus Stein gemeißelt. Der geformte Gott trat in Erscheinung. Er wurde, wie die Opferdarsteller, ornamentiert und mit Fett eingerieben. Die Griechen nennen eine solche Statue »christos«, was »gefettet« oder »eingeschmiert« bedeutet. Wir Juden nennen sie »Ölgötze«. Die Bildnisse wurden als Heilbringer mit Ehrenbezeugungen überhäuft, ihre Opfer durch ausgiebiges Üben auf das wohltätige Ableben vorbereitet, und ihre Verwalter durften sich über Reichtum und Einfluss freuen. Die Scham der Gläubigen, ohne das Tötungsritual nicht auskommen zu können, vermochte nur ertragen zu werden, wenn tatsächlich alle beim Morden mitmachten. Opferverweigerer, welche die Hostien, die Sühneopfer, ablehnten, mussten selbst im nächsten Spiel eine tragende Rolle übernehmen oder wurden anderweitig bestraft, denn sie hatten sich außerhalb der blutvergießenden Gemeinde gestellt. Außerdem sagte man gerade ihnen die schlimmsten Opferpraktiken nach. So hat sich ein gewisser Apollonius von Molon für den jüdischen Tempel einen goldenen Eselskopf imaginiert, dem jährlich in großer Heimlichkeit ein üppig gemästeter Griechenjüngling darzubringen war.

      Das Denken der Menschen ist durch die Kataklysmen der Sintflut von Grund auf umgestülpt worden. Die ursprüngliche Friedfertigkeit und Faulheit verwandelte sich in ihr Gegenteil. Seitdem sehen sie die Welt weniger als Lebensraum denn als Schlachtfeld an, auf dem ein immerwährender Krieg herrscht zwischen guten und bösen Kräften, zwischen den Heerscharen des Lichts und der Finsternis. Die körperlich Stärksten und Leistungsfähigsten rückten überall an die Spitze und beherrschten die Gemeinwesen, womit gleichzeitig in der Regel auch die Unreifsten und geistig Ärmsten zur Macht befördert wurden. Sie pflegten die Grundlage ihrer Herrschaft, den Massenwahn, und nahmen ihn in Dienst für ihre kriegerischen Unternehmungen. Hervorzuheben sind die Nordvölker, die längere Zeit unter Dunkelwolken leben mussten und daraufhin erbleichten. Deren Männer bekamen eine außergewöhnlich gewalttätige Natur, weshalb sie bevorzugt als Legionäre verwendet werden. Das niedere Recht des Stärkeren fasste nachhaltig Fuß und ist bis in meine Tage Triebkraft der Geschichte.

      Die für einen Gottsucher wichtigste Frage stellte sich nach dieser Diagnose: Wonach verlangte der Befund, den ich erhoben hatte? Hier wies Jeremias, von den Propheten derjenige, der meinem Herzen am nächsten steht, die Richtung. Der Mensch war als Einzelner ins Auge zu fassen. Er bedurfte einer Verinnerlichung des Gesetzes. Sein privates Verhältnis zu Gott musste neu begründet werden, ohne vermittelnde und makelnde Instanzen dazwischen. Die Gotteserkenntnis konnte reifen und zu lebensdienlichem Verhalten führen, wenn der Mensch gleichsam mit einem gewandelten Herzen nach inniger Verbindung zu Gott strebte. Unter dieser Voraussetzung vermochte der Einzelne klare Einsicht in die Gebote des Lebens zu gewinnen und den Vorrang geistiger Werte zu erkennen. Er wurde zur Selbsterziehung befähigt, denn ihm wurde damit der Keim zur Vernunft eingepflanzt. Seine Furcht und sein Irren brauchte er dadurch nicht mehr per Körperkraft oder Waffengewalt zu bewältigen; eine neue Religion des Herzens, auf das private Gewissen gegründet, würde die Gottsuche beflügeln und zur Weisheit der Lebensliebe führen. Aus dem aufrichtigen Verlangen nach Vernunft und Bildung würde unmittelbar die Annäherung an das Wesen Gottes erwachsen, an die Liebe. Gott hatte seinem Geschöpf ein Herz zum Denken gegeben, damit es in der ihm geschenkten Wahlfreiheit für sein Wollen den richtigen Weg finden konnte. Und wenn die Menschen von ganzem Herzen nach Gott forschten, so ließ er sich gern finden, darauf war Verlass, das war so sicher wie das Amen in der Synagoge.

      Jeremias mit seiner feinfühligen Natur hatte sich nach einem Leben in Stille und Liebe gesehnt und musste doch mit Worten kämpfen. Er hatte den Untergang Jerusalems vorausgesagt und die unfähigen Könige umsonst gewarnt. Er war als Verräter beschimpft und aufs Äußerste gequält worden. Er war in seiner Sendung gescheitert. Trotzdem war seinem Beispiel zu folgen.

      Auf jeden Fall ließ sich das Heil nicht von irgendeinem Anführer erwarten. Nicht von Gefolgschaftsversprechen oder Glaubensbekenntnissen ließ sich Hilfe erhoffen, sondern allein von der Treue zum Gesetz der Liebe. Die Zeitalter eines Noah, Abraham und Moses waren vorbei und vergangen, ebenso die der Propheten, darin waren sich die meisten Rabbis einig. Auf solch altertümliche Weise würde es nicht mehr gelingen, die unreifen Kinder Gottes zur Mündigkeit zu erziehen, auf dass sie das Gebot der liebenden Zuwendung zu allen Geschöpfen erlernten. So konnte sich der gerettete Rest nicht an Erkenntnis sättigen und in den rettenden Rest verwandeln.

      *

      Auf die Küstenstraße einschwenkend, die an einer fruchtbaren Ebene entlangführt, wurden wir bald des mittelländischen Meeres ansichtig, des Untiers, das mich hatte verschlucken wollen. Heute lag es wie ein blauer Lappen, mimte auf schlapp und harmlos, kaum kräftig genug, den Strand zu belecken. Ich hatte mir, vor meiner ersten großen Seereise, tagelang die verschiedenen Schiffe mit dem Ziel Italia angeschaut, unschlüssig und ängstlich, wem ich Landhase mich anvertrauen sollte. Schließlich hatte ich mich für die Atropos entschieden, eine Corbita, tiefschwarz gestrichen, schöngeborded mit schlanken Linien, nicht so rundlich wie die üblichen länglichen Schüsseln des marinen Handels. Es hieß, sie sei vormals als Kriegsschiff gegen Piraten eingesetzt worden, was mir ebenfalls auf Seetüchtigkeit hinzudeuten schien. Am Bug imponierte eine gigantische rote Schere: Bugspriet und Vorstenge waren als Scherenblätter gestaltet, das Eselshaupt als Schwenklager, die Griffe waren beiderseits auf die Bordwand gemalt und liefen in böse starrenden Augen aus. Vermutlich eine magische Vorrichtung das Ganze, um widrige Winde abzuschneiden. Leider hatte sich meine Wahl als falsch erwiesen. Die Reise war zuerst erfreulich rasch verlaufen und die meiste Wegstrecke geschafft, als urplötzlich wuchtige Böen einsetzten und uns ein kalter Sturm aus Nordost packte, der von Epiros herunterfegte. Klug wäre es gewesen, beizudrehen und dem Wind nachzugeben. Das jedoch hätte bedeuten können, womöglich wochenlang in einer libyschen Syrte gefangen zu sein, was viel Ärger und erhebliche Kosten verursacht hätte. Der Nauarch hatte sich entschieden, schräg zum Wind durchzuhalten, um in Lee von Bruttium zu gelangen, was aber missriet. Eine gewaltige Woge drückte das Schiff auf die Seite bis zum Kentern und zerschlug es dann. Ich erhielt meine erste ernsthafte Lektion darin, was das Wort Angst bedeuten konnte. Wenn der Sommer nicht bereits begonnen und das Meerwasser erwärmt hätte, Mitte Juni, wäre es den Überlebenden wohl kaum möglich gewesen, sich bis zum nächsten Tag zu halten, da Rettung nahte.

      Ich hatte bis dahin Angst in physischem Sinne noch nicht kennen-

       gelernt, sondern vielmehr unter seelischen Erschütterungen gelitten. Die langsam reifende Erkenntnis, auf was für eine Art von Erde es mich verschlagen, hatte mich oft genug das logische Entsetzen gelehrt. In Galiläa verbanden sich körperliche und seelische Furcht auf eine Weise, die ihre Wirksamkeit gegenseitig verstärkte. Und auch auf unserem Ritt nach Caesarea sollte mir ein letzter Anfall von Angst und Schrecken nicht erspart bleiben, der völlig unerwartet über mich hereinbrach, wie eine verspätete Bö, ein letzter Blitz nach überstandenen Unwettern.

      Es passierte anfangs der Hauptrast, die Sonne im Zenit, nach dem Absitzen, als die Tribunen und ich in zwangloser Runde beieinanderstanden. Man hatte es für bedeutsam gehalten, mich darin zu unterrichten, dass beileibe nicht nur dem wilden Eber der Zehnten Legion der Ruhm für die Eroberung Jotapatas gebühre, sondern auch diversen anderen Heeresverbänden, die mir namentlich aufgezählt wurden. Ratlos hatte ich, um ebenfalls etwas zum Austausch beizutragen und von mir zu erzählen, eine meiner Meinung nach völlig harmlose Bemerkung gemacht, über mein des Reitens lange entwöhntes Gesäß. Was daraufhin geschah, traf mich wie eine neue Waffe bis ins Mark und stürzte mich in Augenblicke höchster Panik. Die mich umstehenden Tribunen warfen ihre Köpfe in den Nacken, rissen ihre Mäuler auf und brüllten los, ein halbes Dutzend Augenblicke lang, dann brach die Eruption ab, wobei der Jüngste etwas nachklappte. Erstarrt, wie vom Donner gerührt, bedeckt von Gänsehaut, durchlebte ich das unbekannte Schrecknis. Wochenlang hatte ich furchtlos gegen die Römer gekämpft, aber das erste Mal richtig Angst vor ihnen bekam ich, als sie anfingen zu lachen.

      Dieses Begebnis erwähne ich, weil ich in den folgenden Jahren viel mit militärischen Dienststellen