Von der Entstehung des Christentums. Beate Braumann

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Название Von der Entstehung des Christentums
Автор произведения Beate Braumann
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783844244649



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Feigen und Nüsse. Wir führten eben die letzten Bissen zum Munde, als sich ein geschmückter Querbusch vor uns aufpflanzte und einen Befehl für mich entbot. Ich habe vor dem Feldherrn zu erscheinen, sofort, und Jakob dazubleiben. Ich zögerte zunächst. Sollte ich mich zum ersten Mal von meinem Kameraden trennen? Das Wagnis konnte eingegangen werden, denn uns verband eine unsichtbare Fernwirkung. Was dem einen geschah, widerfuhr auch dem anderen. Ich zwängte mich mühsam in den sperrigen Ärmelrock, während Jakob mir die Stiefel band.

      Der Alte verlor wenig Zeit. Ob er ein Auge zugemacht hatte des Nachts? Ich lass mich doch nicht für dumm verkaufen, das musste ein ums andere Mal am Ende seiner Gedanken gestanden haben. Dieses zweite Zusammentreffen war weitaus gefährlicher als das erste. Er konnte beschlossen haben, beim kleinsten Zweifel Schluss zu machen mit dem Spuk. Er würde ausschließlich dem Urteil folgen, dem er am meisten vertraute, seinem eigenen. Ein Wink, und der im Sand rollende Kopf eines Aufschneiders würde allen von der Unbestechlichkeit eines Vespasian Kunde geben. Ich folgte dem Offizier und versuchte, wie ich es gelernt hatte, aller Achtung für die äußeren Umstände ledig zu werden. Nur was auf der Bühne spielte, war von Bedeutung. Ich fühlte, wie sich mein Körper beschleunigte, das »missionarische Fieber«, wie ich es bei mir nannte.

      Da saß er, allein, ein alter Mann, an einem reinen Tisch, unter einem Feigenbaum, eine leere Bank seiner Seite gegenüber. Nicht unvertraut die Szene für mich.

      »Setzt euch!«

      Während ich mich niederließ und er meinen Gruß knapp erwiderte, witterte ich die Bedrängnis und das Drängen seiner Seele. Sie hatte wenig zu melden in dem starken Trägertier und fristete ein eingehegtes Dasein. Aber sie war nicht völlig machtlos und lauerte auf diese Gelegenheit eines echten Kontaktes zum Göttlichen, um Sinn gutzumachen und ihren Einfluss zu vergrößern.

      »Ihr sagt, ihr hättet einen Traum gehabt. Was war das für ein Traum?«

      Seine Worte besaßen die Herzlichkeit einer funkelnden Schwertspitze.

      »Es sind mir insgesamt drei Träume gegeben worden. Der erste vor gut einem Jahr im Morgengrauen, noch an Bord der Thetis, vor dem Landfall in Caesarea, als ich von einer Reise nach Rom zurückkehrte. Mir wurde befohlen, nach Jerusalem zu eilen und mich dem Anführer der Friedenspartei zu unterstellen. Den zweiten Traum erhielt ich am Ende der Nacht, nach der mich die Volksversammlung zum Strategen wählen sollte. Mir wurde befohlen, das Amt anzunehmen und in seiner Ausführung auf die Friedenspartei zu hören. Der dritte Traum traf mich in der Frühe des Tages, welcher der Eroberung Jotapatas vorausging. Er teilte mir Auftrag und Botschaft der Gottheit mit. Der Auftrag ist erfüllt. Die Theoria der Eidola, die Anschauung der Bilder, war in allen drei Träumen dieselbe. Ich schritt in meinem Priestergewand einen breit gepflasterten, mählich ansteigenden Weg entlang, der beiderseits von hohen Schwarzpappeln begleitet wurde. Deren Blätter drehten und rieben sich in einem milden, sanft wehenden Wind, als tuschelten sie miteinander. Aber ich bemerkte links und rechts lange Hüttenreihen und ich erkannte, dass hier die Großen der Geschichte auf das Ende aller Tage warteten, und was ich für Gespräche unter Bäumen gehalten hatte, waren in Wirklichkeit die leisen Unterhaltungen der Verblichenen, die über die Zukunft mutmaßten. Nach sieben Stadien endete der Weg an einem mächtigen, von Eichen umstellten Felsen, aus dessen rosenberankter Seite ein lebhafter Quell hervorsprang, der in ein weiträumiges Tal mit wogenden, gelben Gerstenfeldern hinunterfloss. Es war vor Sonnenaufgang. Unter dem hohen, hellen Himmel, an dem der zunehmende Mond stand, sah ich, dass die Spitze des Felsens von einem Adlerhorst gekrönt wurde, der jedoch jedes Mal verlassen war. In diesen Augenblicken vernahm ich in allen drei Träumen eine tiefe Stimme, die von überall herzukommen schien. Sie erfüllte mich ganz und gar. Beim ersten Mal sagte sie: ›Eile und unterwirf dich deinem Lehrer.‹ Beim zweiten Mal: ›Sag Ja zum Amt und führe es nach dem Rat deines Lehrers.‹ Beim letzten: ›Geh in das römische Lager und übergib dem Feldherrn das Evangelium meines Willens.‹ Ich muss dazu sagen, dass ich ansonsten bis vor einem Jahr keinerlei irgendwie prophetischen Träume hatte. Ich benötigte auch noch nie die Hilfe eines Deuters, denn meine Traumgesichte waren alle stets von gewöhnlichster Art. Wenn ihr mir an unerschrockener Aufrichtigkeit einen Anteil einräumt, so will ich nicht verhehlen, dass ich dem Wahrsagegewerbe grundsätzlich mit Skepsis gegenüberstehe. Ich bin kein Opferpriester, sondern ein Schriftgelehrter im Dienste der Einen und Einzigen Gottheit. Als solcher betrachte ich es mit Missfallen, wenn an jeder Straßenecke, auf allen Marktplätzen und Festen billigste Verlockungen der Zukunft hochgestapelt werden, wenn den Wahrheitsuchenden mit dubiosem Scheinwissen das Geld aus dem Beutel gezogen wird. Dieser faule Zauber beruht auf simplen Vortäuschungen und bedient die Mirakelsucht des Volkes. Eingebildete Großmäuler verkaufen ihre Schaumschlägerei als gottgesandten Bescheid, obwohl jede genaue und vernünftige Prüfung deren mantische Wertlosigkeit erweist. Von Wahrsagerei lässt sich gut leben, vom Wahrheitsagen eher nicht. Auch das Orakelwesen ist mir nicht geheuer. Ich will nicht unerbietig erscheinen, aber mir war es seit jeher nicht leicht verständlich, dass ein Stück Leber klüger sein soll als ein erfahrener Feldherr. Ich möchte mir jedoch kein Urteil darüber anmaßen, in welcher Weise die Gottheit den auf der Erde Wimmelnden ihren Willen kundtut, dass sie sich aber in jede Einzelheit des Alltags einmischen will, halte ich für eine abwegige, in höchstem Maße unangemessene Vorstellung. Mein Lehrer, Jochanan ben Zakkai, der Anführer der Friedenspartei, hat mich gelehrt, dass die Gottheit die menschliche Geschichte wie ein Stratege überblickt und lenkt. Sie greift ein an strategischen Wegmarken, wenn eine Richtungsentscheidung erforderlich wird, wenn die Dinge aus dem Ruder laufen. Außerdem wurde mir eingeschärft, dass die Gottheit in den seltenen Fällen, in denen sie ihre Sophia mit ihren Geschöpfen teilt, sich unbedenklicher, reiner Kanäle für ihre Weisheit versichert. Wenn es also bei einer angeblichen Verlautbarung göttlichen Willens bereits beim Träger der übernatürlichen Botschaft irgendetwas Unangemessenes, Unschickliches oder Unwürdiges zu entdecken gibt, so verdient der Bote keinerlei Glaubwürdigkeit. Es besteht natürlich die Gefahr, dass bei dem vielfältigen Scheinangebot an Prognosen und deren religiöser Unreinheit das Echte schwer zu bestimmen ist. Wie findet man die Perle der Wahrheit in einem Berg aus Unrat? Die Lehren meines Meisters geben mir das Selbstvertrauen, dass ich kein Spinner bin, kein Fabulierer, dass ich nicht einer magischen Selbsttäuschung erlegen bin. Ich finde nichts Unangemessenes an dem Gedanken, dass die Gottheit immer wieder in der Geschichte neue Männer wählt, welche die alten Werte, Kräfte und Sitten wieder beleben. Das Evangelium, das ich euch überbracht habe, verlangt nach der Autorität des Alters, dem Schatz der Erfahrung, der Reife des Urteils, der Garantie römischer Rechtssicherheit, entsprechend der Fülle an Verantwortung. Darin vermag ich keine Missweisung zu erkennen, nichts Unschickliches oder Unwürdiges. Die Absicht der Gottheit ist, das ist meine private Meinung, klar ersichtlich und über jeden begründeten Zweifel erhaben.«

      Die Miene des alten Mannes hatte eine noch schärfere Fassung gewonnen, doch seine Augen blickten träumerisch, eines weiten Horizontes nicht ungewohnt, wie ihre Krähenfüße erzählten. Seine Seele hatte den Kreis, den er für sie gemacht hatte, überschritten. Sie hatte meine Worte aufgeleckt wie das Kätzchen die Milch. Ich empfand mit, wie sie ihr Tier umschnurrte.

      »Was ist wirkmächtiger, das Schicksal oder der menschliche Wille?«

      Oh alte, viel geliebte Frage, und in welch bescheidenes Gewand gekleidet! Vertrauensvoll war sie gestellt worden, wie von einem Gottesfürchtigen, gerichtet an einen Rabbi. Eine wertvolle Bestätigung für die Richtigkeit des eingeschlagenen Kurses. Ich gab ihm die Antwort, leicht abgewandelt, die ich von meinem ersten Lehrer Gamaliel erhalten hatte:

      »Eine Feige fällt niemals nach oben vom Baum. Das ist verfügt als Schicksal. Die Gottheit weist ihr für ihr Fallen einen bestimmten Umkreis zu. Das ist der Bereich menschlichen Willens, in dem Freiheit zum Herrschen gewährt wird.«

      Und als ob es vom Bühnenhaus der Natur eingeplant gewesen wäre, löste sich just in diesem Moment eine Feige vom Baum. Sie knallte unglaublich laut auf den Tisch und kullerte auf den Alten zu. Es gibt Augenblicke im Leben, da beschleicht einen das Gefühl, dass Gott vielleicht doch bei der einen oder anderen Gelegenheit ein klitzekleines bisschen nachhilft. Ich möchte meine kurzzeitige seelische Verwirrung jedoch nicht als magisches Kränkeln verstanden wissen. Ich war mir vollkommen darüber im Klaren, dass die Feige und ich zwei Agenten Gottes waren, die zusammenarbeiteten, nichts Ungewöhnliches also. Auf der