Nur ein Traum. Semira Sayer

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Название Nur ein Traum
Автор произведения Semira Sayer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783738058734



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reichte das völlig aus.

      „Deine Kochkünste werden immer besser“, lobte Thomas mich an diesem Tag zufrieden. Er lehnte sich im Stuhl zurück. „Susan, Liebes, du musst zugeben - das ewige Hin- und Herrennen zu mir oder zu dir sollte aufhören. Es ist Zeit, dass wir in eine Wohnung einziehen und dort gemeinsam miteinander leben!“

      „Ich denke, wir sollten noch ein wenig warten.“

      „Worauf sollten wir noch warten?“

      „Wir kennen uns doch erst zwei Monate. Wir brauchen Zeit!“

      „Zeit wofür?“

      „Um uns gegenseitig besser kennen zu lernen!“ Meine Eltern! Ich brachte nicht über die Lippen, woran ich dachte.

      „Ach! Liebes! Meine Eltern sind noch immer glücklich zusammen. Jetzt mache dir keine Gedanken! Wenn es mit uns nicht klappen würde, hätten wir das inzwischen doch schon längst gemerkt!“

      „Trotzdem bin ich der Meinung, dass die Zeit viel zu kurz dafür ist!“ Er stand mit zufriedenem Gesicht auf, weil er das Essen sehr genossen hatte, stapelte meinen leeren Teller über seinen, legte das Besteckt darauf und stellte das Ganze in das Waschbecken hinein, während ich noch am Tisch sitzen geblieben war.

      Tat er das alles, um mir beweisen zu können, dass er mir beim Haushalt helfen würde, indem er seinen guten Willen zum Helfen demonstrierte?

      „Du hast mir noch nicht geantwortet“, rief ich ihm von meinem Sitzplatz aus zu.

      „Susan, Liebes, wir sind zwei vernünftige, erwachsene Menschen und machen seit sechzig Tagen auch nichts anderes. Wir treffen und sehen uns jeden Tag und verbringen täglich viel Zeit miteinander!“

      Ich hatte irgendwie so ein Gefühl, als kämen damit noch andere Verpflichtungen auf mich zu außer Kochen und Putzen. Einfacher ausgedrückt: Ich hätte entschieden weniger Freiheit, was sich später bestätigen sollte.

      „Komm schon“, bat er mich und reichte mir seine Hand. „Draußen ist sehr schönes Wetter, lass das Geschirr einfach stehen! Wir machen einen Verdauungsspaziergang und lassen unsere Köpfe durchlüften, vielleicht habe ich dann Erfolg und kann dich umstimmen, und du kommst darauf, was ich meine!“

      Obwohl es Spätsommer war, trafen wir einen herrlich heißen Tag unten an.

      Unermüdlich liefen wir die lange Hauptstraße entlang, dann überquerten eine zu einem Spazierweg führende kleine Straße und erreichten einen von beiden Seiten mit eng nebeneinander stehenden Bäumen gesäumten Pfad.

      Ich verbrachte eine Zeit lang damit, die riesigen Bäume um uns herum zu betrachten mit ihren langen Ästen, und bemerkte den langsam sich einschleichenden herbstlichen Farbeinschlag, die dichten Blätter wurden bunt und tanzten in einem leichten Wind hin und her. Einige Bäume waren vermutlich schon sehr alt und krümmten sich deswegen, trotz ihrer gewaltigen Stämme. Ja! Wir konnten unter dem kristallklaren Himmel, begleitet von den, auf den Blättern reflektierenden goldenen Sonnenstrahlen, unsere Köpfe durchlüften.

      „Wie findest du das? Ist es nicht herrlich heute?“, sagte Thomas zu meiner Richtung gewandt im Gehen.

      „Ja. Das stimmt, es ist wirklich schön heute. Vielleicht ist das sogar der letzte schöne Tag des Jahres! Das hat das Fernsehen gestern berichtet, bevor dann demnächst der Regen kommt!“ „Komm, gib den Ball weiter, siehst du denn nicht, dass du nicht vorwärts kommst! Mensch, ist der Mann blöd!“ Thomas schüttelte aufgeregt den Kopf hin und her.

      Mir wurde erst dadurch bewusst, dass wir an einem Fußballfeld vorbeiliefen. Das laute Rufen der Leute bemerkte ich erst jetzt.

      Thomas, der ein großer Fan von Fußballspielen war, spielte ab und zu selbst gerne. Wenn er fernsah, schaute er nichts anderes als Fußballspiele. Anstatt mir zuzuhören, blieb er vor dem Feld stehen, sah sich das Spiel an und war in Gedanken mittendrin. Ich sah ihm schmunzelnd zu, wie er sich ereiferte, und ging langsam weiter.

      „Entschuldige, Schatz, ich komme! Hast du gesehen, wie er den Ball verpasste?“, ärgerte er sich, als er wieder bei mir war.

      „Ehrlich gesagt, ich habe es nicht gesehen. Ich verstehe wenig vom Fußballspielen, noch weniger, weshalb zweiundzwanzig Beine die ganze Zeit hinter einem einzigen Ball herrennen!“

      „Das ist eine beliebte Sportart!“

      „Unter Männern natürlich!“

      „Jawohl!“

      Ich antwortete nicht mehr, sondern ließ ihn mit seinen männlichen Idealen allein.

      Tief atmend setzte ich den Weg neben ihm fort und dachte daran, dass ich nun vielleicht die letzte Gelegenheit hatte, warme Luft einatmen zu können, ehe die grauen, nassen und kalten Tage kämen. Einige Minuten lang liefen wir Seite an Seite, ohne etwas zu sagen. Wahrscheinlich war jeder von uns mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt. So war kein Laut von uns zu hören, nur unsere Schritte tappten gleichmäßig und die Stimmen der an uns vorbeilaufenden Menschen nahm ich flüchtig wahr.

      Da! Da war doch noch etwas. In Begleitung der vorbeigehenden Menschen zogen auch einige Hunde fröhlich schwanzwedelnd an uns vorüber und bereiteten mir eine große Freude. Wie zufrieden und friedlich sie waren! Besonders ein schwarzer Hund hatte es mir angetan. Nur eine weiße Linie führte von seinem Kinn über den Bauch hinunter. Ohne seine Leine näherte er sich mir vertrauensvoll und erschnüffelte meinen Geruch, der ihm nicht bekannt vorkam.

      Aber als er verstand, dass ich keine bösen Absichten ihm gegenüber hatte, näherte er sich mir. Er kam mir so nahe, dass ich ihn berühren konnte, und er erlaubte mir, seinen Kopf, sein Kinn und das flauschige Fell auf seinem Rücken zu streicheln.

      Lange beobachtete er mich mit seinen goldbraunen, treuen Augen, bis sein Herrchen seinen Namen rief. Ich folgte seinen Sprüngen mit meinen Blicken. Die warmen, weichen Gefühle für dieses kleinen Wesen fühlte ich noch lange mit einem Lächeln nach, während ich schon wieder an das Regenwetter dachte.

      Plötzlich blieb Thomas stehen. Seine Augen hefteten sich auf etwas. Er wurde auf ein Mehrfamilienhaus aufmerksam und sagte: „Siehst du, was ich sehe?“

      Ich folgte seinem Blick nach und sah nur ein Haus vor mir, einen aus sechs Stockwerken aufgehäuften Betonhaufen. „Da ist im vierten Stock eine Wohnung frei!“, rief er mir aufgeregt zu. Das durfte doch nicht wahr sein, so ein Zufall. Thomas sprach den ganzen Tag nur noch davon. Jetzt fand er endlich die Gelegenheit, seine Wünsche zu verwirklichen. Sofort machte er den Immobilienhändler bei der Nachbarschaft ausfindig.

      „Gleich morgen werde ich in seinem Büro anrufen und nachfragen!“ Thomas machte sein Wort wahr. Schon am nächsten Tag Punkt fünf Uhr am Nachmittag holte er mich von der Arbeit ab, und weniger später standen wir schon mitten in der Wohnung.

      Neben einem riesigen Wohnzimmer, mit einer offenen Küche fanden wir dort einen langen Flur vor, von dem die restlichen Zimmer abgingen.

      „Das ist so, wie ich es mir vorstelle! Es hat vier Zimmer!“ Seit kurzer Zeit beschäftigte sich Thomas erst mit der Idee einer Vierzimmerwohnung.

      „Unsere Kinder“, sagte er mit sicherem Tonfall, „ja, unsere Kinder sollten ihre eigenen Zimmer haben.“ Ich konnte ihn nicht davon abhalten und erklären, dass wir noch keine Kinder hatten, ja, wir waren noch nicht einmal verheiratet!

      Aber dafür war die Wohnung frisch gestrichen und bezugsbereit.

      „Sehr gut, dass unser Schlafzimmer ganz hinten liegt“, rief er vom hinterem Teil der Wohnung nach vorn zu mir.

      Er dachte noch vieles vor sich hin. Und ich malte mir die Bilder unseres zukünftigen Familienlebens vor meinen inneren Auge aus und sah Thomas, wie er zum Umfallen müde zur Wohnungstür hereinkam. Er konnte sich kaum auf den Beinen halten. Unser Ältester öffnet Papi die Türe und rief mir lauthals zu: „Mami! Papi ist da!“ Die mittlere Tochter zupfte an meinem Rocksaum. Ich trug den Junior auf meinen Armen und stand vor dem Kochherd.

      Ja, ein vollkommenes Familienalbum hatte ich vor Augen. Ich hörte fast das