Nur ein Traum. Semira Sayer

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Название Nur ein Traum
Автор произведения Semira Sayer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783738058734



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leicht erahnen, dass er das Leben genoss, und man musste nicht darüber rätseln, dass er vom Süden träumte.

      Zwei grundverschiedene Menschen liebten sich hier also, hatten sich in ihrem Leben vereint und gestalteten es zusammen. Ob sie an unserer Freundschaft Freude hatten, wusste ich nicht, aber irgendwie hatte ich so das Gefühl und ich nahm an, dass sie mich akzeptierten.

      Ich hingegen brauchte einen ganzen Monat, um meiner Mutter von Thomas zu erzählen. Als ich vor ihrer Wohnungstür stand, war ich noch nicht sicher, ob ich ihr das alles berichten sollte. Ich läutete und war gespannt auf ihre Reaktion.

      „Ich komme“, hörte ich kurz darauf schon ihre Stimme hinter der Tür, sie ließ mich nicht lange warten. Als sich die Tür öffnete, sagte ich schon beim ersten Blick: „Hallo, Mam!“ Ihr strahlendes Lächeln verriet mir ihre Freude.

      „Komm herein, Kleines“, lud sie mich ein. Zögern trat ich herein. „Das ist eine schöne Überraschung, dass du kommst“, redete sie weiter.

      Das war diese Woche schon das zweite Mal gewesen, dass ich sie nach der Arbeit aufsuchte. Schon am Montag hatte ich versucht, mich richtig mir ihr auszusprechen, aber ich hatte es nicht geschafft.

      Sogar letzten Sonntag war ich bei ihr deswegen vorbeigekommen! Meinen Sonntagsspaziergang mit Thomas hatte ich ausgelassen, um mit meiner Mutter in aller Ruhe bei Kaffee und Kuchen unsere Beziehung zu bereden, was aber ohne Erfolg geblieben war. Heute war Donnerstag, der zweite August. Haargenau ein Monat nach unserer Verabredung in Café Romantico. Ich nahm meinen ganzen Mut zusammen und hoffte, endlich mit ihr über meinen Freund reden zu können.

      Obwohl sie schlechte Erfahrungen mit meinem Vater gemacht hatte, wobei ich mir alles hatte mit ansehen müssen, wie sie darunter litt, brachte sie nie ein böses Wort über Männer über die Lippen.

      „Was hast du denn, Kleines?“, fragte sie ein wenig besorgt über mein ruhiges, scheues Verhalten. Ach! Ja!, sie nannte mich immer noch Kleines, obwohl ich dreiundzwanzig Jahre alt war. Ich hatte sie nie danach gefragt, warum sie mich so nannte. Aber ich nahm an, es kam daher: Als ich noch klein war, und selbst später noch, sagte sie, ich sei ihre einzige Freude im Leben und ich blieb immer die kleine Tochter in ihren Augen.

      „Ist dir nicht gut?“, fragte sie mich mit dem gleichen besorgten Tonfall wie vorhin.

      „Doch, Mam, mir geht's gut, nur ...“

      „Komm, wir machen es uns erst einmal im Wohnzimmer gemütlich und reden darüber, was dich beschäftigt!“ Sie nahm meinen Arm und führte mich hinein.

      Wir gingen zusammen in den Salon. In jeder Ecke, sogar bei der blau-grau-weißen Polstergruppe, erwachten wie immer die Erinnerungen, auch heute. Ich dachte an die Zeit, als wir, meine Mutter und ich, noch alleine lebten. Sie hatte immer noch die gleichen Möbel und Vorhänge wie damals.

      Sie setzte sich aufs Sofa und zeigte auf den Platz neben sich. „Komm, setze dich neben mich!“ Ich folgte stumm. Meine Mutter wusste, dass mich irgendetwas beunruhigte, aber sie wusste nicht, was es war. Sie nahm in mütterlicher Liebe meine Hand in ihre. „Nun?“, damit erhoffte sie auf eine Aufklärung. Ich hob meinen Kopf auf und sah mir ihr Gesicht an. Darin entdeckte ich, wie schon früher in meiner Kindheit, ihren vertrauten, liebevollen Ausdruck, der mir ausreichend Sicherheit gab, um mit ihr zu reden.

      „Warum bist du so ruhig?“, drängte sie weiter besorgt.

      „Ich habe einen Freund, Mam!“ Endlich kam es heraus.

      „Einen Freund?“, fragte sie wiederholt und sah sie mich erstaunt an.

      „Ja er heißt Thomas. Ich habe ihn in Spanien während unserer Ferien kennen gelernt.“ Jetzt sah ich mir ihr Gesicht noch genauer an. „Und wir verstehen uns sehr gut“, versicherte ich ihr und fuhr fort, sie brauche sich keine Sorgen um mich zu machen.

      Zuerst erschien ein Hauch von Lächeln, dann folgte der Übergang zu einem richtigen Lächeln auf ihren Lippen.

      „Also das war deine große Sorge!“

      „Es ist nur so ...“ Ich suchte nach Worten, die nicht unbedingt leicht zu finden waren.

      „Ich finde das schön für dich!“

      „Wirklich, Mam?“

      „Ja!“ Sie bestätigte es mit einem leichten Kopfnicken und setzte ihren Satz fort. „Es ist dein Recht, jemanden kennen zu lernen und glücklich zu werden!“

      Meine Mutter legte ihre rechte Hand auf mein Haar, steckte es hinter meinem Ohr fest, dann streichelte sie meine linke Wange zärtlich. „Bist du auch glücklich mit ihm?“, fragte sie mich mit besorgter, weicher Stimme.

      „Ja, Mam, ich bin glücklich mit Thomas. Er ist ein guter Mensch. Es war nicht einfach, mich von seiner Freundschaft zu überzeugen. Aber je besser ich ihn kennen lernte, umso mehr Vertrauen habe ich zu ihm ...Nur fühle ich im Inneren noch einen leeren Raum von Gewünschtem, das sich bis heute noch nicht erfüllt hat!“

      Sie betrachtete lange mein Gesicht, versunken in ihre Gedanken, ohne mir etwas zu sagen. Dann fand sie mit abfallender Stimme: „Das kann ich mir denken. Die fehlenden väterliche Gefühle“, sagte sie überzeugt, gezeichnet von Spuren des Leidens. „Er war kein schlechter Mensch, aber er hat versagt“, betonte sie ausdrücklich, was sie von ihrem früheren Ehemann hielt.

      „Ich nahm es dem Leben sehr übel, dass ich ohne meinen Vater aufwuchs, ich war sehr einsam, als er uns verließ. Ich träumte von einem Prinzen, der mich holt und von hier fortbrächte in ein fernes Land, und ich würde seine Prinzessin, so wie in deinem Märchen. Mit diesem Glück wollte ich vergessen, wie unglücklich ich war!“

      „Es waren kindliche Träume von dir. Heute bist du eine erwachsene Frau. Dein eigenes Glück kannst du selbst steuern, ohne zu träumen.“ Sie sah mich immer noch mit ihrem warmen Lächeln an.

      „Du hast Recht, Mam, danke!“ Ich war sehr aufgeschlossen ihr gegenüber. Als wir uns in tiefer Stille beobachteten, wusste jeder von uns, dass wir uns in unserer Mutter-Tochter-Beziehung sehr nahe standen, aber jeder lebte dennoch in seiner eigenen Welt. Sie gab ihr Bestes, um mir eine gute Mutter zu sein, und ich auch, so dachte ich jedenfalls.

      Einmal hatte ich ihr gestanden: „Mam, ich wünschte, wir wären reich!“ Sie antwortete: „Du denkst wie dein Vater, Kleines! Er träumte auch immer vom vielen Geld, aber er besaß wenig davon und konnte mit dem Wenigen gar nicht umgehen!“ Sie schüttelte ihren Kopf verneinend und meinte: „Nein, Kleines, du musst das Leben akzeptieren und nehmen, wie es ist, und versuchen, darin deinen Platz zu suchen und zu finden“, wies sie mich auf das reale Leben hin. Sie war diejenige, die die Stille brach. „Lass mich das Abendessen vorbereiten, dann essen wir gemeinsam!“ Sie sprang auf und rannte schon Richtung Küche.

      „Mam!“ Gleich nach ihr stand ich auch auf, um sie aufhalten zu können. Auf mein Rufen drehte sie sich zu mir um.

      „Ja, Schatz? Es dauert nicht lange. Ich kann es allein vorbereiten!“ Sie dachte, ich wolle ihr helfen. Ich nahm sie an beiden Armen und hielt sie fest.

      „Mam, Thomas wartet auf mich! Ein anderes Mal komme ich auf deine Einladung zurück!“ Ihre Augen sanken nach unten, aber nicht für lange.

      War es eine Niederlage für ihre Gefühle? Sie zeigte es dennoch nicht. Wie tapfer!

      Sie sagte: „Schon gut, Schatz, ein anderes Mal!“ Ich küsste diese großartige Frau zum Abschied auf beide Wangen.

      Es tat so gut und ich war sehr zufrieden, dass ich mich mit meiner Mutter ausgesprochen hatte.

      Es war ein Zufall, dass wir unsere gemeinsame Wohnung fanden, wenngleich ich schon daran dachte, dass das vielleicht noch zu früh sei. Aber Thomas drängte immer mehr. Und die Wohnung entsprach überhaupt nicht meinen Vorstellungen von einer Landwohnung in einem Ort mit wenigen Einwohnern oder gar einem Dorfhaus, damit wir dem stressigen, lärmenden Stadtleben entfliehen konnten.

      Auch unsere Kinder hätten dort ein ruhiges Leben.

      Gegen Ende August unternahmen wir