Nur ein Traum. Semira Sayer

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Название Nur ein Traum
Автор произведения Semira Sayer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783738058734



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dahinziehende Freundschaft wollte. Ich hörte durch meine Überlegungen seine feste Stimme: „Absolut, und was denkst du?“, erklang es in sicherem Ton „Wann gedenkst du ...?“

      „Heute noch“, schlug er vor.

      „Heute?“, wiederholte ich seine Frage erstaunt.

      „Ja, heute, falls du nichts vorhast, andernfalls morgen, wenn es dir recht ist!“

      Der Großeinkauf könnte warten, dachte ich. Ich hatte sowieso einige Pfunde in den Ferien zugelegt. Auf diese Weise überzeugte ich mich, dass ein Wiedersehen mit ihm wichtiger sei. „Gut“, hörte ich mich antworten.

      „In einer Stunde in Café Romantico!“ So sicher wie sein Ton war auch seine Entschlossenheit.

      „Also gut, in einer Stunde!“

      Als ich den Hörer auflegte, worauf noch meine Hand lag, überlegte ich, ob mir eine Stunde reichen würde. Dann dachte ich: „Wozu brauche ich eine Stunde?“, und ärgerte mich über mich selbst. Das Café Romantico war in nur zehn Minuten von hier mit der Tram erreichbar, hielt ich mir selbst vor. Wenn mir einer sagen würde, ich benähme mich wie ein verliebtes, kopfloses Mädchen, hätte ich darüber gelacht. Aber so war es!

      Nach den bitteren Enttäuschungen, die ich in meiner Familie erlebt hatte, wollte ich mir meinen künftigen Mann besonders sorgfältig aussuchen. Ich strebte eine Art Entschädigung und einen Ausgleich meiner verlorenen Kindheit an und wollte endlich auch einmal Glück und Liebe erleben, einen Höhepunkt meines Lebens.

      Nach langem Suchen zog ich mir ein hübsches Kleid an. Mit Hilfe meines Föns drehte ich meine schulterlangen Haare nach hinten, sodass mein hübsches Gesicht, wie Thomas es schon am Anfang formuliert hatte, noch besser zum Vorschein kam, nur um ihm zu gefallen.

      Unterwegs versuchte ich mir einzuschärfen, ihn nicht wieder direkt anzustarren und unüberlegt in Gedanken einzutauchen wie beim ersten Treffen. Ich sah ihn vor mir. Er tastete jeden Winkel auf meinem Gesicht mit seinen hellblauen Augen ab, weil ihm schon im Flugzeug aufgefallen war, wie hübsch ich bin, und seine Neugier entbrannt war, als ich ihn mit meinem geheimnisvollen Lächeln ansah.

      Unwillkürlich glitten meine Gedanken zu Sarah. Meine Begegnungen mit Thomas wurden in den Ferien ihretwegen rar, ich hatte mir die größte Mühe gegeben, den beiden nicht zu begegnen. Wenn sie am Strand lagen, suchte ich mir einen anderen Platz, und wenn sie ausgingen, fand ich irgendeinen Grund, um mit ihnen nicht mitgehen zu müssen. Ich hatte so eine Ahnung, dass es Sarah sehr gefiel, dass sie allein mit Thomas ausgehen konnte.

      Schon zwei Tage, nachdem sie ihn kennen gelernt hatte, rief sie mich an, als ich im Begriff war, ins Bett zu gehen. „Kannst du bitte zu mir kommen?“

      Was ich vorfand, als ich bei ihr war, kann ich bis heute nicht vergessen. Sie hob langsam ihren Kopf, als ich durch die Tür hereinkam. Ihre rötlichen Haare hingen noch vor dem hübschen Gesicht. Sie lag auf dem Bauch, bekleidet mit einem rückenfreien Badeanzug, quer über dem Bett und wagte kaum, sich zu bewegen.

      „Was ist passiert, was hast du denn?“, fragte ich sie mit angstgeweiteten Augen.

      „Siehst du denn das nicht?“ Sie reagierte ärgerlich auf meine Frage. Ihre Stimme war schrill vor Schmerz. Ihr Rücken sah entsetzlich aus, vollkommen verbrannt und feuerrot. Bevor ich ihr ein „Wie siehst du denn aus, och mein Gott, das sieht ja schrecklich aus“ zurief, hielt ich mich zurück und redete ihr Mut zu.

      „Das kriegen wir schon hin!“

      „Wie willst du das anstellen?“, fragte sie mich verzweifelt.

      „Keine Sorge, überlass das nur mir!“ Als Antwort hörte ich ein schmerzliches Stöhnen. Beim Zimmerservice bestellte ich Eisstückchen und Naturjoghurt. Die Bedienung kam prompt, schnell war alles da. Mit den Eisstückchen beruhigte ich Sarahs verbrannte Haut, auf die abgekühlte Haut strich ich vorsichtig After-Sun-Creme und darauf gab ich noch das kühle Naturjoghurt. Es war erstaunlich, wie schnell sie sich erholte und die schrecklichen Schmerzen wenigstens ein bisschen nachließen.

      „Wie findest du Thomas?“, fragte sie mich auf einmal. Ohne eine Antwort von mir abzuwarten, fuhr sie fort, in der Stimme noch immer einen schmerzlichen Tonfall.

      „Ach, ich finde ihn hübsch, er sieht gut aus, nicht wahr?“ Dann wurde ihre Stimme trauriger. „Ich hasse meine Sommersprossen und meinen weißen Teint!“ Sie drehte ihren Kopf in meine Richtung. „Siehst du, wie ich aussehe, siehst du das! Wie halte ich das morgen in der Sonne mit ihm aus? Er mag die Sonne doch so sehr“, fügte sie hinzu. Genau wie ich, dachte ich im Inneren. Ich mochte die Sonne auch sehr.

      Sarahs nachdenkliches Seufzen hörte ich auf dem Weg zum Badezimmer. Nachdem ich mir die Hände gewaschen hatte, sah sie mich anders als vorher. In ihrem Gesicht war deutlich ein großes Fragezeichen zu erkennen.

      „Komm, Sarah, versuche ein wenig zu schlafen, damit du morgen mit Thomas etwas unternehmen kannst!“, schlug ich vor.

      „Was denn?“, fragte sie.

      „Was immer du willst.“ Ich half ihr, sich gerade ins Bett zu legen, und vernahm mit Schrecken ihr schmerzerfülltes „Ach!“ und „Och!“

      „Meinst du, es heilt bis morgen? Geht das so schnell?“, fragte sie mich verzweifelt.

      „Du wirst es sehen!“, gab ich zur Antwort. „Vielleicht musst du dich in den nächsten Tagen ein wenig besser vor der Sonne schützen und im Schatten sitzen, dann geht es wieder!“

      „Danke, du bist eine echte Freundin.“ Sie seufzte.

      „Ich habe es gern getan für dich, gute Nacht!“ Meine Gedanken über Thomas behielt ich lieber für mich und ging rasch aus Sarahs Zimmer.

      Ich mochte meine langjährige rothaarige Freundin seit meiner Kindheit sehr und wollte auf keinen Fall vor ihrem Glück stehen. Wenn sie Thomas mochte, dann sollte sie ihn haben.

      Nach der Schule wechselten wir die Wohnung, aus zwei Zimmern zogen wir in drei Zimmer um. Meine Mutter meinte damals: „Du musst ein eigenes Zimmer haben, Kleines!“ Sie arbeitete den ganzen Tag, uns ging es finanziell langsam wieder besser. Dadurch verloren Sarah und ich uns jedoch aus den Augen, bis ich sie eines Tages zufällig im Tram wieder traf. Wie jetzt habe ich darin gesessen und fuhr in die Stadt. Als ich nach zwanzig Minuten Fahrt von meinem Platz aufstand und aussteigen wollte, entdeckte ich sie neben einer Frau, auf einem Zweiersitz am Fenster.

      „Entschuldigung! Bist du nicht Sarah Tanner?“, redete ich sie mit unsicherer Stimme an. Sie hatte sich nicht so viel verändert, nur einige Sommersprossen mehr waren in ihrem Gesicht zu sehen. Ihre roten Haare waren unverkennbar geblieben. Sie betrachtete mich einige Sekunden lang überrascht. Dann stieß sie unverhofft hervor: „Susan! Bist du es wirklich?“

      Wir umarmten uns unbekümmert nach der langen Trennung. Die anderen Fahrgäste sahen gerührt zu, wie wir beiden Freundinnen uns darüber freuten. Sie stieg mit mir aus. Bei einer Tasse Kaffee hatten wir uns einiges zu erzählen.

      „Ich hätte dich fast nicht wieder erkannt, du hast dich zu einer jungen Frau entwickelt in den ganzen Jahren, in denen wir uns nicht gesehen haben! Was machst du so?“, fragte mich Sarah aufgeregt.

      Ich hatte noch ihre kindliche Stimme in den Ohren. Der Klang hatte sich verändert, war fester geworden, das fiel mir sofort auf.

      „Ich habe die kaufmännische Schule besucht, nachdem wir uns trennten. Jetzt bin ich gut versorgt in einem Büro bei einer Speditionsfirma und lebe nicht schlecht!“, kam aus mir spontan heraus, die kurze Fassung meiner Lebensgeschichte. Sie sah tiefer in meine Augen, als ob sie nach den Spuren suche aus der Zeit, in der wir noch klein gewesen waren.

      „Sind deine ... ich meine, sind deine Eltern ...“, sie verstummte, ihre Lider sanken nach unten. Dann hob sie den Blick wieder zu mir hoch. „Es tut mir Leid, Susan, wenn ...“

      „Schon gut, du musst dich deshalb nicht entschuldigen!“, sagte ich. „Ja, sie sind geschieden.“ Mit tiefem Seufzen erzählte ich ihr davon.

      „Das tut