Название | Hema - Das Herz einer indischen Löwin |
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Автор произведения | Hemalata Naveena Gubler |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783991076667 |
3
Die Wochen danach
Zwei Tage später musste ich nochmals ins Spital. Ich hatte so starke Bauchschmerzen und Angst, dass etwas mit meinem Magen oder Bauch nicht in Ordnung war. Mein Mann fuhr mich abends in die Notfallaufnahme, obwohl ich wusste, dass ich dort wieder lange warten würde, alleine in einem Wartezimmer, aktuell mit Schutzmaske, unter dieser ich wieder weniger Luft bekäme. Aber ich brauchte Gewissheit. Leon schlief bereits, als Dave mich mit Lilly ins Spital fuhr. Eigentlich wollte ich selber fahren, aber kaum war ich aus der Garage, ging nichts mehr. Ich hatte Angst, dass ich den Weg nicht schaffe, dass ich ohnmächtig werden könnte, dass ich zu erschöpft und müde war, um mich auf die Straße zu konzentrieren. Früher hätte ich nie weggehen können, wenn eines der Kinder geschlafen hatte, weil es ja jederzeit hätte aufwachen können und dann niemand da war. An diesem Tag musste es sein.
Im Spital wurden diverse Untersuchungen gemacht. Ein Ultraschall vom Bauch wurde durchgeführt, die Leber- und Nierenwerte geprüft, Bakterienstatus analysiert, Herztöne abgehört und noch vieles mehr. Alles war gut. Ich sei eine gesunde junge Frau, hieß es. Aber nach der Meinung der Ärzte litt ich an einer enormen Überbelastung und ich müsste dringend eine intensive Psychotherapie in Anspruch nehmen. Ich bräuchte wirklich Hilfe. Das war nicht sehr ermutigend und ich wusste nicht, was ich denken sollte.
Zu Hause versuchte ich, mich irgendwie abzulenken, doch in meinem Kopf rotierte es weiter. Ich war traurig und enttäuscht. Enttäuscht über mich selber.
Was, wenn es wirklich wahr war? Was, wenn ich wirklich plötzlich unter Panikattacken und Angstzuständen litt? War ich wirklich überfordert und überlastet mit meinem Leben? Wäre es besser gewesen, wenn ich nicht Mutter geworden wäre? Meine Kinder verdienten eine Mama, die alles schaffte und die Kraft hatte, und keine, die plötzlich Angst vor den normalsten Dingen dieser Welt hatte. Ich war nicht gut genug für sie. Sie hatten etwas Besseres verdient. Dieses Gefühl schmerzte so sehr in meiner Brust, dass ich zwei Stunden am Stück weinte und so dann irgendwann voller Erschöpfung einschlief.
Wie die nächsten drei Wochen verliefen, ist kaum zu beschreiben. Ich war nicht mehr ich selber. Ich lebte jeden Tag mit der Furcht, dass sich dieser 4. Juli wiederholen könnte. Ich hatte täglich schlimme Magenschmerzen und verspürte eine innere Unruhe und Nervosität in mir, die ich bis vor diesem Tag beim Kinderarzt nicht gekannt hatte.
Zwei Mal kam May vorbei und hatte für mich eingekauft und bei uns zu Hause Lasagne gekocht. May hatte ich vor über zehn Jahren in Australien kennengelernt. Ich pflegte gerne zu sagen, dass sie das beste Souvenir war, das ich aus Australien mit nach Hause genommen hatte. Einige Jahre waren wir sehr eng befreundet, hatten uns jede Woche mindesten einmal gesehen, machten die Zürcher Tanzclubs und Bars unsicher und verbrachten Nächte damit, die Staffeln von Sex and the City zu schauen und Wein zu trinken. Zusammen hatten wir in Australien wie auch hier, zurück in der Schweiz, die verrücktesten Geschichten erlebt. Ja, May kannte viele meiner Sünden und während ich an das eine oder andere Abenteuer dachte, prustete ich lautstark heraus. May war wunderschön und ich kannte niemanden sonst in meinem Umkreis, der so viele Tätowierungen hatte wie sie. Blumen, Ornamente, Früchte, da gab es Allerlei, was ihren Körper schmückte. Sie arbeitete auch einmal in einem Tattoogeschäft als Piercerin und konnte später sogar die Funktion als Filialleiterin dort übernehmen. Ich war stolz auf sie. Was unter anderem einer der Gründe war, wie ich selbst auf den Geschmack von Piercings und Tattoos kam. In den letzten Jahren hatten wir uns zwar ein bisschen auseinandergelebt, aber das war auch absolut verständlich. Schließlich lebten wir zwei völlig verschiedene Leben und mit Arbeit und Familie war es für mich nicht immer so einfach, alle Freundschaften noch gleich intensiv zu pflegen. May hatte seit ein paar Jahren auch wieder einen Freund und zog mit ihm in eine gemeinsame Wohnung. May und ihr Freund hatten aber noch Zeit zu Reisen, Ferien zu buchen, auswärts essen zu gehen und das ganze Wochenende auch einmal faul auf dem Sofa zu gammeln. Das war der Unterschied zu meinem Familienleben mit zwei Kindern.
Ich liebte Mays Lasagne und war ihr sehr dankbar dafür, dass sie Zeit hatte, mit Lilly herumzualbern und uns etwas Feines zu kochen. Leon war wie immer zufrieden in seiner Wippe und noch glücklicher, wenn er seiner Schwester zuschauen konnte. Sobald Lilly nämlich aus seinem Blickfeld verschwand, begann er zu weinen. Zuckersüß und eine Verbindung, die es so von Anfang an und mit dieser Verbundenheit wohl nur bei Geschwistern geben konnte. Wie es später einmal zwischen ihnen sein würde, wusste ja noch keiner.
Meine Kreislaufprobleme waren beinahe den ganzen Tag vorhanden. Ich hatte auch keinen Appetit mehr, ich kochte zwar für meine Tochter und meinen Mann, aber ich selber brachte keinen Bissen hinunter. Ab und zu versuchte ich sogar einen Löffel von Leons Babybrei, und das auch nur, damit ich überhaupt irgendetwas für meinen Magen unternahm. Ich hatte nämlich sehr wohl Hunger, ich hatte Lust auf meine geliebte Pasta, ich wollte Pizza bestellen und Gemüse kochen. Doch sobald ich ein bisschen davon auf der Gabel hatte, brachte ich die Gabel letztlich nicht mehr in den Mund. Ich wusste nicht, was mich blockierte. Es kam mir vor, als wäre ich zu müde, zu erschöpft, um zu kauen und zu schlucken. So kam es, dass ich zuerst einen Tag lang nichts aß, dann zwei Tage, dann drei Tage, bis schließlich mehr als eine Woche so verging. Dann schaffte ich es wieder einmal, ein paar Löffel Joghurt zu schlucken, mehr nicht. Auch das machte mich nervös, ich musste doch endlich wieder essen. Wie lange konnte ein Mensch ohne Nahrung überleben? Ich wusste, dass diese Frage natürlich etwas übertrieben war. Aber ich machte mir dennoch langsam Sorgen beziehungsweise wusste, dass ich endlich wieder einmal richtig essen sollte. Ich trank dafür sehr viel Wasser und erhoffte mir davon, dass es gegen meine Kreislaufprobleme half. Drei bis vier Liter an einem Tag waren es. Es gab Tage, da ging es mir etwas besser und ich funktionierte einfach. Aber im Hinterkopf war immer die schlimme Vorstellung: Was, wenn ich wirklich ohnmächtig würde und ich alleine mit den Kindern wäre? Mein Mann arbeitete die ganze Woche und ich war noch im Mutterschaftsurlaub.
Gleichzeitig war noch die Eingewöhnung in der neuen Krippe mit beiden Kindern in meinem Kopf. Das stresste mich schon im Voraus. Was, wenn es Lilly in der neuen Krippe nicht gefiel? Was, wenn sie die anderen Betreuerinnen vermisste und sich nicht auf die neuen und unbekannten Kinder einlassen wollte? Leon war auch noch einen Monat jünger, als es Lilly damals war, als sie in der Krippe startete, weil mein Mutterschaftsurlaub dieses Mal einen Monat kürzer war als der letzte. Die Eingewöhnung in der Krippe gestaltete sich so, dass man die Kinder brachte, anfangs als Elternteil noch etwas dort blieb und dann immer länger und öfter wieder wegging, sodass die Kinder lernten, auch ohne Mama oder Papa zu sein, aber dabei die Gewissheit hatten, dass sie wieder kommen. Lilly kannte den Krippenalltag ja bereits aus der ersten Krippe, für Leon war es neu. Sie machten es beide wirklich großartig. Aber für mich war es dennoch ein Stress: beide bereitmachen, beide hinbringen und dann nur für eine kurze Zeit wieder nach Hause oder einkaufen gehen, dann wieder abholen und schlussendlich zwei übermüdete und quengelige Kinder zu Hause beschäftigen, bis es abends wieder ins Bett ging. Ich wusste, dass die Eingewöhnung nur eine Phase war, und vor allem eine sehr wichtige, und deshalb wollte ich das natürlich auch gut überstehen. Die Kinder sollten nicht spüren, welche Gedanken und Sorgen ich teilweise hatte.
An einem Mittwochmorgen, als ich die Kinder in der Früh in die Krippe bringen wollte, hatte ich auch wieder auf der Autofahrt Kreislaufprobleme. Der Schwindel war schlimm und ich wusste, dass es eigentlich fahrlässig war, in diesem Zustand selber zu fahren, zumal ich auch noch meine Kinder dabei hatte. Was, wenn ich während der Fahrt ohnmächtig würde? Es gäbe einen Unfall, im schlimmsten Fall wäre es nicht nur ein Blechschaden, sondern es gäbe Verletzte. Meine Kinder könnten verletzt werden, ich könnte tot sein und sie würden mich verlieren, ihre leibliche Mutter. So, wie es mir passierte, als ich in Indien war. Während ich das erste Mal diese Tatsache so bewusst wahrnahm, kämpfte ich mit den Tränen und versuchte mich am Lenkrad festzuhalten und mich weiter auf den Verkehr zu konzentrieren. Ich stand an der Ampel und wusste, dass ich nur noch links abzubiegen hätte, dann läge die Krippe auch schon vor uns. Ich musste es schaffen. Aber ich