Название | Hema - Das Herz einer indischen Löwin |
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Автор произведения | Hemalata Naveena Gubler |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783991076667 |
Er bemerkte sofort, dass etwas nicht in Ordnung war, und sagte, ich solle mich kurz hinsetzen. Ich beobachtete mich selber wie in Zeitlupe, wie meine Hände von Leons Armen glitten und der Kinderarzt übernahm. Ich machte zwei kleine Schritte zum Stuhl und setzte mich hin. Ich sah dem Kinderarzt zu, wie er Leon auf seinen Arm nahm und eines der Fenster öffnete, und hörte ihn wieder aus weiter Entfernung sagen, dass die Luft hier etwas stickig sei. Ich rutschte vom Stuhl auf den Boden hinunter, weil ich dachte, ich könnte vom Stuhl fallen, kroch zum Wickelrucksack hinüber und öffnete ihn. Mit zittrigen Händen drehte ich den Verschluss der kleinen Wasserflasche auf und trank sie bis zur Hälfte leer. Leon schrie unterdessen bereits, es tat mir im Herzen weh, ihn so zu hören. Er spürte, dass etwas nicht gut war und ein fremder Mensch ihn im Arm hielt. Leon konnte mich weder sehen, hören noch riechen. Ich saß am Boden und fühlte mich wie ein kleines Kind, als der Kinderarzt mich frage, ob ich heute Morgen schon etwas gegessen hätte. Ertappt verneinte ich. Ich sagte aber auch, dass das wieder vorbei gehen würde und ich solche Schwächeanfälle kannte. Der Kinderarzt und Leon verließen das Zimmer und ich saß alleine auf dem kalten Boden. Und dann kam sie, die Panik. Unangemeldet, unerwünscht und in voller Wucht. Mit aller Macht brach sie über mich herein. Mein Herz raste, es drohte buchstäblich aus meinem Brustkorb herauszuspringen und angsterfüllt riss ich meinen Mund auf, um mehr Sauerstoff zu bekommen. Nun fiel mir das Schlucken auf einmal schwer, es tat richtig weh. Was passierte mit mir, was war da bei mir los? Wo war der Kinderarzt und wo war mein Baby? Eine Arztgehilfin kam rein. Sie gab mir ein Glas Sirup. Nervös suchte ich nach Traubenzucker im Wickelrucksack, fand aber keinen, egal wie oft ich jedes Fach darin durchwühlte. Wann hatte ich das letze Mal solch einen Schwächeanfall, dass ich keinen Traubenzucker dabei hatte? Das musste ewig her sein. Und obwohl ich einerseits die Schwindelgefühle kannte und wusste, dass das aufgrund des niedrigen Blutdrucks und des geschwächten Kreislaufs war, wusste ich genau, dass es heute anders war als sonst. Auch Monate später konnte ich dieses Gefühl nicht beschreiben und in Worte formulieren, ich spürte es einfach. Etwas war anders. Ich wusste, dass ich nervös war, weil die Impfung ausstand und ich noch nicht mal erzählt hatte, wie es Leon überhaupt ging, wie viel er zur Zeit trank und wie die ersten Monate verliefen. Und als der Kinderarzt mit Leon endlich wieder bei mir war, fragte er mich etwas völlig Neues: „Haben Sie Panik?“ Ich starrte ihn verdattert an und war fassungslos. Panik? Ich hatte niemals Panik, weil ich immer alles im Griff hatte. Ich wusste, was ich wollte und was ich machte. Ich hatte also nie Panik. Ich dachte, dass ich jetzt Ruhe bewahren musste, wir waren schon länger da, als ich es geplant hatte. Obwohl der Kinderarzt meinte, es sei vielleicht besser, wenn ich mich auf die Liege legen würde, blieb ich auf dem Boden, mittlerweile jedoch nicht mehr sitzend, sondern auch liegend. Ich hatte Angst, dass ich bei diesem starken Schwindel von der Liege herunter fallen würde. Ich sollte meinen Mann anrufen, hieß es. Also rief ich ihn an. Ich konnte kaum sagen, was los war. Nur, dass es mir nicht gut ginge und er sofort herkommen solle. Lilly musste er natürlich mitnehmen. Sie müssten sich zuerst anziehen, da sie erst gerade aufgestanden wären und beide noch im Pyjama seien, sagte Dave. Die Magen- und Schluckbeschwerden waren mittlerweile ziemlich heftig. Ich klammerte mich mit schwitzigen Händen am kühlen Stuhlbein fest. Die Zeit, bis mein Mann mit Lilly auftauchte, kam mir wie eine Stunde vor. Angeblich waren es nur knappe zwanzig Minuten. Lilly legte sich zu mir auf den Boden und fragte mich, ob ich Bauchaua hätte. Sie meinte natürlich Bauchschmerzen. Ich nickte müde. Mein Mann kümmerte sich mit dem Kinderarzt um Leon. Die Impfung ging schnell und wir konnten endlich gehen. Der Kinderarzt sagte meinem Mann, dass er sich am Nachmittag bei uns melden würde, um sich zu vergewissern, dass es mir gut gehe. Lilly nahm mich bei der Hand und wir gingen zum Auto. Wie die Kleine mich an der Hand nahm und mir so signalisieren wollte, dass sie jetzt für mich stark war und für mich da war, das war unglaublich schön und gleichzeitig tat es so weh, weil ich doch diejenige von uns war, welche stark sein musste.
Mein Auto mussten wir hier stehen lassen. Dave sagte, dass er dieses später mit einem Kollegen holen würde. Wir fuhren los. Ich saß auf dem Beifahrersitz und krallte meine Fingernägel in das Sitzpolster. Ich fühlte mich wie im freien Fall und hatte keinen Halt. Ich dachte, ich würde jeden Moment ohnmächtig werden. Mein Mann löste vorsichtig meine versteiften Finger vom Sitzpolster und hielt meine Hand in seiner. Ich konnte nichts sagen und Dave versuchte die angespannte Stimmung etwas zu überspielen, indem er sich mit Lilly unterhielt. Das war nämlich das Letzte, was ich wollte, dass Lilly zu spüren bekam, wie schlecht es mir ging. Ich versuchte, mich auf meine Atmung zu konzentrieren. Ich dachte, dass, wenn ich möglichst schnell und oft einatme, ich mehr Sauerstoff bekäme. Gleichzeitig versuchte ich, angestrengt aus dem Fenster zu sehen, die Dinge anzuschauen, an welchen wir vorbeifuhren, um bei Bewusstsein zu bleiben. Zu Hause in der Garage stieg ich sofort aus und ging hinauf in unsere Wohnung. Dave sagte, er würde mit den Kindern nachkommen, ich solle mich hinlegen. Torkelnd ging ich hoch, zog mir benommen die Kleider aus und legte mich auf den Rücken in unser Bett. Ich konnte jedoch keine zwei Sekunden liegen bleiben, stand sofort wieder auf, lief durch die Wohnung hin und her und fragte mich, wieso es mir noch nicht besser ging. Die zwanzig Minuten, die es jedes Mal dauerte, waren längst vorbei. Ich riss die Balkontüre auf und ging nach draußen auf unseren Sitzplatz. Die Sonne schien, es war bereits sehr warm, doch ich fror. Also kehrte ich wieder um und ging zurück ins Wohnzimmer. Wo blieben mein Mann und die Kinder? Wieso waren sie noch nicht bei mir? Ich öffnete die Wohnungstüre und hörte meinen Mann mit einer Nachbarin im Treppenhaus sprechen. Also war alles gut, sie würden gleich hoch kommen. Ich lief von der Küche durch das Wohnzimmer, ins Schlafzimmer und wieder zurück, immer schneller, bis ich rannte. Mir tat alles weh und ich hatte ein heftiges Stechen in meiner Brust. Das Schlucken schmerzte nach wie vor und der Magen brannte. Als mein Mann dann hochkam, sagte ich zu ihm, dass ich das Gefühl hätte, fast keine Luft mehr zu bekommen. Also ging ich wieder in den Garten hinaus, mit der Hoffnung, draußen besser atmen zu können. Leon schlief friedlich in seinem Maxi-Cosi und Lilly setzte sich auf die Couch und spielte mit ihrem Teddy. Gott sei Dank bekamen die Kinder nichts mit. Ich ging wieder hinein und wieder hinaus. Als ich dann ein erneutes Mal drinnen war und vor dem Spiegel stand und mich ansah, war es, als blickte mich eine Fremde an. Das war nicht ich. Dieser verzerrte Blick, die Augen von Angst und Panik erfüllt, unwissend, was vor sich ging und was noch geschehen würde. Ich torkelte wieder zurück ins Wohnzimmer, mein Blickfeld war mittlerweile so verschwommen, dass ich nicht mehr richtig einschätzen konnte, wo die Wand war. Mein Mann sah mich an, sagte aber nichts. Ich war froh, dass er so gelassen bleiben konnte. Ruhig war er bestimmt nicht, aber er wirkte so. Und das war gut so. Denn ich war genug nervös für alle zusammen. Mein Herz schmerzte so sehr, dass mir plötzlich bewusst wurde, dass ich gleich einen Herzinfarkt haben könnte. „Du musst die Ambulanz rufen. Ich weiß nicht, ob ich es schaffe.“ Endlich konnte ich sagen, was ich seit über einer Stunde fühlte. Ich war mir nämlich überhaupt nicht sicher, ob ich diesen Tag überstehen würde, lebend, meine ich. Vielleicht konnten die mich reanimieren, wenn ich wirklich zu wenig Sauerstoff hatte oder ich einen Herzinfarkt hatte, dachte ich. Mein Mann rief an. Ich bewunderte ihn, wie ruhig er am Telefon sprach. Ich selber hatte in dieser Situation nämlich sogar die Telefonnummer vergessen und sagte mir, dass, wenn ich das Ganze hier überlebte, ich die Notfallnummer in meinem Handy unter den Favoriten abspeichern würde, falls dies nicht bereits systemtechnisch so erfasst war. Ich stand vor meinem Mann, hielt seine Hand und schaute ihn an. Ich hörte, wie er am Telefon sagte, dass ich mich nicht hinlegen konnte und Schmerzen in der Brust hätte und immer wieder erwähnte, dass ich zu wenig Luft bekäme. Dann war wieder eine Pause. Die Person am anderen Ende der Leitung schien zu sprechen. Was sagte sie? Wieso wollte sie so viel wissen? Hatte sie zumindest schon eine Ambulanz losgeschickt? Was, wenn diese zu spät kam? Ich würde sterben, hier und heute in meiner Wohnung, vor den Augen meiner eigenen Kinder. Tränen schossen mir in die Augen und rannen über die Wangen hinunter. Es würde zehn Minuten dauern, sagte mein Mann, als er mit dem Telefonieren fertig war. Als ich erneut beinahe schrie, dass ich keine Luft bekam, sagte mein Mann, ich solle wieder in den Garten gehen, wenn das besser sei. Also ging ich wieder nach draußen und legte mich dort auf die Platten auf den Boden. Ich hatte Gänsehaut, und obwohl es nun bereits heiß wurde und die Sonne auf mich niederbrannte, war mir kalt. Mein Mann brachte mir