Hema - Das Herz einer indischen Löwin. Hemalata Naveena Gubler

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Название Hema - Das Herz einer indischen Löwin
Автор произведения Hemalata Naveena Gubler
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783991076667



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Autofahrt dann doch noch hinter mich. Die Krippenleiterin bemerkte sofort, dass es mir nicht gut ging, und brachte mir Wasser. Als ich ihr sagte, dass der Kreislauf mir Probleme machte, suchte sie nach Schokolade, Gummibärchen und Traubenzucker. Ich setzte mich vor die Krippe auf den Parkplatz. Lilly verstand natürlich nicht, weshalb ich morgens bereits Schokolade essen durfte und draußen saß. Sie blieb die ganze Zeit bei mir und freute sich wohl einfach über die Süßigkeiten. Ich wollte nicht, dass sie bemerkte, wie schlecht es mir ging. Doch mittlerweile wusste ich, dass ich ihr nichts mehr vorspielen konnte, auch wenn sie erst zweieinhalb Jahre alt war. Lilly kannte mich. Und ich kannte sie. Sie streichelte meinen Bauch und sagte, dass ich mir keine Sorgen machen müsse, dass Lilly da sei und dass das Bauchaua weggehen würde. Ich müsste auf dem Sofa eine Pause machen. Ich war so unglaublich stolz auf meine Tochter, wie viel sie mitbekam und wie fürsorglich sie war. Aber es machte mir auch Angst. Ich konnte ihr nicht erklären, was ich hatte, und ich wollte ihr auf keinen Fall sagen, dass Mama traurig war. Mama war schließlich immer fröhlich und tröstete die Tränen der Kinder, wenn diese traurig waren. Ich traute mich nicht mehr nach Hause zu fahren, obwohl die Kinder ja für den Vormittag in der Krippe bleiben konnten.

      Ich rief meinen Mann an und er musste kommen und mich nach Hause fahren. Ich war ihm sehr dankbar, auch dafür, dass er mir keine Schuldgefühle gab, weil er bei der Arbeit alles stehen und liegen lassen musste. Ich war vor allem froh, dass er mich dafür nicht verurteilte. Aussagen wie, dass es ja nur zehn Minuten nach Hause wären oder dass ich mich zu Hause jetzt ja ausruhen könnte, weil die Kinder betreut waren, hätten mir in dieser Zeit nicht geholfen. Ich war Dave sehr dankbar dafür, dass er Verständnis hatte. Aber ich selber hatte diese Gedanken und Schuldgefühle natürlich schon. Es tat mir alles so leid und ich wusste nicht, wie ich das alles erklären und entschuldigen konnte. Zu Hause war jedoch keine Rede davon, mich hinzulegen. Ich tigerte durch die ganze Wohnung und wollte endlich eine Erklärung dafür und eine Antwort darauf, was in mir vorging, weshalb ich plötzlich vor so vielen Dingen Angst hatte. Ab diesem Tag hatte ich nämlich auch Angst, in ein Auto zu steigen. Und von selber fahren konnte sowieso keine Rede mehr sein.

      Ich rief meinen Vater an. Er war vor einigen Jahren in die verdiente Frühpension gegangen und arbeitete deshalb nicht mehr. Er hatte seine ganze berufliche Tätigkeit dem Lehrersein gewidmet. Meine Mutter war auch Lehrerin, sie stand jedoch noch immer im Berufsleben. Manche dachten wohl: eine Lehrertochter, dann ist alles klar. Diesen Spruch hatte ich nämlich schon zur Genüge gehört. Ich hatte diese Aussage aber nie wirklich nachvollziehen können. Einen Bezug dazu gab es aber dennoch, diesen erkannte ich jedoch auch erst etwas später. Ich war froh, dass mein Vater Zeit hatte, um vorbeizukommen. Mein Vater war schon immer mein Vorbild gewesen. Oder wie man so schön sagt, ein Papa ist stets die erste Liebe einer Tochter. So war das auch bei mir. Ich liebte meinen Vater und sah zu ihm hoch, auch wenn ich heute selbst erwachsen und Mama war. An dieser Beziehung hatte sich nichts verändert, Papa ist und bleibt mein Held. Wie ich anfangs erwähnt hatte, bin ich adoptiert. Und somit ist er natürlich mein Adoptivvater und meine Mutter meine Adoptivmutter. Sie sind für mich meine Eltern, hatten mich groß gezogen, erzogen und mir ein Leben ermöglicht, dass ich nie hätte leben können, wenn ich damals, am 24. Februar 1994 nicht von ihnen adoptiert worden wäre.

      Die Meinung meines Vaters war mir sehr wichtig und ich hatte ein sehr enges Verhältnis zu ihm. Ich konnte ihn stets um Rat fragen und es erfüllte mich mit Stolz, seine Tochter zu sein. Ich wollte deshalb immer alles machen und erreichen, damit er stolz auf mich sein konnte. Ich liebe es auch, meinen Vater mit meinen Kindern zu sehen. Er ist ein stolzer und fürsorglicher Nonno. Meine Eltern nennen sich als Großeltern Nonno und Nonna für meine Kinder. Das tun sie, weil wir in der Familie italienische Wurzeln haben und sich das meiste eigentlich immer um Italien dreht. Angefangen natürlich bei meinem geliebten Fußballverein, der AS ROMA, über unser Landhaus im Piemont und meinem Nonno, der in Süditalien lebt. Ich genoss die Gespräche mit meinem Vater jedes Mal, wir konnten uns vieles erzählen, über Gott und die Welt diskutieren und philosophieren. Er konnte mir von seinen Erfahrungen erzählen und ich ihm davon, was mich beschäftigte. Auch an diesem Tag war das so. Ich erzählte ihm, wie es mir ging, und auch wenn ich oft nach Worten suchte, um ihm in irgendeiner Weise verständlich zu machen, was in mir vorging, konnte er mich verstehen. Er erzählte mir, dass auch er einmal eine solche Krise hatte, jedoch aus anderen Gründen wie bei mir. Gründe? Ich kannte meine Gründe ja gar nicht. Wenn ich gewusst hätte, wo das Problem lag, wäre ich dieses gezielt angegangen und hätte dafür eine Lösung gefunden, das wusste ich. So, wie ich nun mal jedes Problem anging. Mir ging es bald etwas besser. Es tat mir sehr gut, dass er bei mir war, und es war schön, von ihm verstanden zu werden. Am Nachmittag holten wir gemeinsam wieder die Kinder ab und abends ging er zusammen mit meinem Mann dann mein Auto holen, welches ja noch immer vor der Krippe auf dem Parkplatz stand. Einmal mehr musste man mein Auto holen, weil ich nicht nach Hause fahren konnte.

      Die nächsten Tage waren schlimm. Ich konnte nicht mehr alleine sein. Und damit meinte ich nicht, ganz alleine. Auch das Alleinsein mit den Kindern machte mir Angst, etwas ganz Normales, was bis dahin Gewohnheit und auch mein Alltag war. Meine Eltern kamen fast täglich vorbei, kümmerten sich um die Kinder, während ich nur da saß, immer wieder versuchte, etwas zu essen, wenn auch mit sehr mäßigem Erfolg, oder mich aufgrund von Schwindel und Magenschmerzen weinend ins Bett verkroch. Ich war energielos und hatte den Eindruck, dass mein Körper nicht einmal die Kraft hatte, meinen kleinen Sohn herumzutragen, dass meine Beine oder meine Arme nachlassen würden und er dann zu Boden fallen könnte. Ich traute mich kaum, ihn hochzuheben. Selbst wenn Lilly nur nach mir rief oder etwas trinken oder essen wollte, war das schon zu viel für mich. Ich tat oder gab ihr, was sie brauchte, innerlich zerbrach ich jedoch fast. Und ich stellte mir immer wieder dieselbe Frage: Wie viel konnte ich noch ertragen?

      Ein paar Mal kam auch eine Nachbarin vorbei und schaute auf die Kinder, damit ich mich etwas hinlegen konnte, und ich war ihr sehr dankbar dafür. Ich rechnete mir bereits morgens die Stunden aus und plante, wer bei uns sein konnte, bis mein Mann abends wieder nach Hause kam. Aber auch wenn jemand da war, ich fühlte mich immer einsam, alleine und gefangen mit und in dieser Situation. Und die Schuldgefühle darüber, dass ständig jemand für mich da sein und mich unterstützen musste, waren eine schwere Last für mich. Ich wusste, dass mir alle gerne halfen, vor allem auch meine Eltern genossen es, so viel Zeit mit den Kindern zu verbringen. Wovor ich die ganze Zeit Angst hatte? Ich glaube, es war die schlimme Vorstellung, dass mir etwas hätte passieren können und die Kinder dann ihre Mutter nicht mehr hätten. Und das, obschon ich wusste, dass mir wirklich nichts passierte. Das war mir durchaus bewusst und auch im Spital vergewisserten sie mir ja, dass alles gut war. Und dennoch waren diese Gedanken und Gefühle da. Diese große Angst und Panik, die enorme Nervosität und diese angespannte innere Unruhe. Sie hielten mich gefangen, sie bestimmten seit diesem 4. Juli meinen Alltag, zwangen mich in die Defensive und schüchterten mich mehr ein, als jemals irgendetwas anderes, was mir bis dahin in meinem Leben geschah.

      Es gab in dieser Zeit nur einen einzigen Tag, an welchem ich mich besser fühlte. Es war ein heißer Sommertag. Am Nachmittag kam Mario, ein guter Freund von mir, mit seinem kleinen Sohn vorbei. Wir kannten uns schon viele Jahre. Einige Jahre lang war der Kontakt jedoch nur auf ein „Happy birthday“ oder „Frohes Neujahr“ beschränkt. Seit wir beide jedoch Eltern wurden und so auch vieles über die kleinen Knöpfe auszutauschen hatten, wurde der Kontakt wieder intensiver und es entstand auch eine sehr schöne und für mich auch wichtige neuauferstandene Freundschaft. Der Kleine war nur vier Monate jünger als Lilly. Ich betete den ganzen Morgen dafür, dass es mir an diesem Tag gut gehen würde und dass es auch am Nachmittag so bleiben würde. Und falls nicht, dass Mario mir zumindest nicht anmerken würde, wie ich mich innerlich fühlte. Wir hatten uns schon sehr lange nicht mehr gesehen und ich freute mich riesig, auch darüber, dass der Kleine mitkam und Lilly jemanden zum Spielen hatte. Die Kleinen aßen Eis, tobten im Garten herum und warfen die Spielsachen in unseren Pool. Leon saß dabei in seinem Kinderstuhl und beobachtete alles mit seinen großen Augen. Ich genoss es, den beiden beim Spielen zuzuschauen. Es war ein schöner Tag, ein Tag ohne Bauchschmerzen und ohne Schwindel und ich war einfach dankbar dafür, dass alles gut ging und ich mich wieder einmal besser fühlen durfte.

      Ich hatte auch Angst, ein Bier oder ein Glas Wein zu trinken, dabei liebte ich Bier und Wein oder selbstgemixten Erdbeermargarita. Aber ich wollte nicht herausfinden, wie sich